Benutzer:Dadim/Sofademokratie

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Ein Pädoyer gegen Sofademokratie oder Basisdemokratie aus Sicht der Basis

Möglichkeiten der Entscheidungsfindung

Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Frage in wie weit es im Interesse der Basis ist bei möglichst vielen Fragen direkt eingebunden zu werden. Eine häufig vertetene Meinung lautet, dass die Basisdemokratie, bei der jede offene Frage an der Basis per Mehrheitsentscheid abgestimmt wird, für die Basis erstrebenswert wäre. Bevor wir jedoch diese Frage im Detail erörtern schauen wir uns doch einmal an, welche weiteren Verfahren zur Entscheidungsfindung momentan im Einsatz sind:

  • Schlichtung Wenn es um Minderheitenschutz oder die um Rechte des Einzelnen geht, dann ist der Mehrheitsentscheid ungeeignet. Dazu haben wir dann z.B. das Schiedsgericht.
  • Delegation Wenn es um langfristig konsistente Strategieen geht wird auf Delegierte zurückgegriffen. Würde man z.B. den Standort der Parteitage jedesmal über einen Mehrheitsentscheid wählen, dann hätten wir kaum eine solche regionale Abwechslung erreicht.
  • Aussitzen Wenn potentielle Streitthemen noch nicht voll ausformuliert sicht, dann ist Flügelbildung und Aussitzen das Maß der Wahl. Z.B. Eine Entscheidung zu einem BGE ohne konkreten Finanzplan ist einfach nur unnötig.
  • Wahl Wenn eine Entscheidung schnell erfolgen muss und der Ausgang kompromisslos ist dann muss gewählt werden. Dies ist immer beim Besetzen von Ämtern der Fall.
  • Abstimmung In allen anderen Fällen muss eine Abstimmung erfolgen. Abstimmen heißt sich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Es kann per Wahlverfahren erfolgen muss aber nicht.

Verfechter der uneingeschränkten Basisdemokratie würden nun behaupten alle Abstimmungen sollten soweit wie möglich direkt an der Basis per Mehrheitsentscheid abgestimmt werden.

Das Problem der Minderheit

Es ist bekannt, dass Mehrheitsentscheide nicht geeignet sind um Minderheitenschutz zu gewährleisten. Oftmals ist eine Mehrheit an einem Thema gar nicht so stark interessiert, während eine Minderheit ihre Interessen massiv bedroht sieht. Ein jüngstes Beispiel ist der Jugend-Medien-Staatsvertrag. Während Befürworter vor allem schnell in die Mittagspause wollten, schrien sich die Gegner die Kehle aus dem Laib.

Basisdemokratie aggressiv.png

Kooperatives Wählen

Bei politischen Fragestellungen werden wir alle einmal in der Minderheit landen. Deshalb würden wir uns alle einen Gefallen tun, wenn wir uns öfters mal enthielten. Wenn wir ein Thema mal nicht so gut verstehen oder es uns eigentlich gar nicht so wichtig ist, dann wäre es sinnvoll auch mal der Urne fern zu bleiben. Auf diese Weise könnten dann die Experten und Minderheiten öfters zu Wort kommen. In irgendwelchen Gebieten sind wir alle Experte oder Minderheit.

Basisdemokratie kooperativ.png

Das soziale Dilemma

Bei Wahlen hören wir öfters mal den Aufruf uns alle zu beteiligen. Eine hohe Wahlbeteiligung sei notwendig um eine gute Entscheidung sicher zu stellen. Steht dies nicht im Widerspruch zum vorhergehenden Absatz? Nicht wirklich. Wir müssen nämlich davon ausgehen, dass die anderen oder die Radikalen immer wählen gehen und immer versuchen bei jedem Randthema ihre Position durchzudrüchen auch wenn sie sich nicht auskennen. Deshalb bleibt uns nichts anderes übrig als auch radikal zu werden. Ansonsten würden wir in jedem Thema von den aggressiven Wählern überstimmt werden.

Mitte (Ich)
kooperativ aggressiv
Radikale (Andere) kooperativ Fair für beide Ich zocke ab
aggressiv Andere zocken ab Suboptimal für beide

Alle Wähler würden sich besser stellen, wenn sie zurückhaltend und kooperativ wählen würden. Fehlt aber das Vertrauen in die andere Seite das gleiche zu tun, dann verfällt der Wahlgang in den defektiven Modus. Das Ergebnis ist suboptimal für beide. Es kommt zu Entscheidungen, mit denen beide Seiten unzufrieden sind.

Der einzige Ausweg

Das soziale Dilemma ist eines der am besten untersuchten gesellschaftlichen Phenomänen an der Schnittstelle zwischen Spieltheorie, Psychology, Soziologie, Philosophie und der Wirtschaftswissenschaft. Es gibt nur eine bekannte Lösung diesem Dilemma zu entkommen. Es mag irrational klingen, aber die Lösung sind emotionale Beziehungen und Face-To-Face Kontakte. Keine der untersuchten Formen von Computer-Mediierter-Kommunikation konnte jemals eine ähnliche Wirkung beim Lösen von sozialen Dilemmata erzielen.

Man kann rational und inhaltlich über Stunden und Tage diskutieren. Wenn es aber darum geht sich zurück zu halten, und anzuerkennen, dass der anderen Seite etwas sehr wichtig ist, dann hilft nur der direkte soziale Kontakt. Zusammen feiern, ratschen, kiffen etc. Wenn nun Wahlbeteiligte nicht die Zeit aufbringen an diesen Tätigkeiten teilzunehmen, dann würden sie die Güte der Entscheidungen massiv beeinträchtigen. Es ist also für die Masse, sprich Basis, besser sich gleich geschlossen zu enthalten.

Interessanterweise ist sich die Basis in der Regel über diese Tatsache im Klaren. Basisdemokratie wird selten von der Basis gefordert. Es sind so gut wie immer die Hyperaktiven die nach ihr schreien.

Die optimale Entscheidung

[theory] Wenn es darum geht die optimale Entscheidung zu bestimmen, dann greifen Mathematiker auf die Bedingung der Pareto-Optimalität zurück. Diese Bedingung ist genau dann verletzt, wenn eine andere als die auswählte Alternative von allen Wählern bevorzugt wird. Stellen wir uns vor 1000 Wähler hätten lieber Variante A als B und trotzdem würde die Wahl B gewinnen, dann können wir sagen die Wahl war nicht pareto-optimal. Wenn hingegen nur 999 A präferieren und einer B, dann könnte B gewinnen, ohne diese Optimalität zu verletzen. Es könnte ja sein, das diese eine Person Verfassungsrichter oder Diktator ist.

Die meisten Wahlverfahren erfüllen die Pareto-Optimalität. Allerdings gilt dies nur, wenn sie einmalig angewendet werden, oder auf Themengebiete angewendet werden, die komplett getrennt sind. Bei politischen Fragen ist dies aber kaum zu erreichen, denn über das Budget hängen fast alle Themen indirekt zusammen.

Eine der umfangreichsten basisdemokratischen Experimente mit einem iterativen Verfahren wurde mit der Software LiquidFeedback unternommen. Es hat sich gezeigt, dass selbst widersprüchliche Entscheidungen getroffen wurden. Hierbei ist die Pareto-Optimalität offensichtlich verletzt. Nur ein schizophrener Psychopath würde eine widersprüchliche Entscheidung jeder beliebigen widerspuchsfreien Entscheidung vorziehen.

Auch andere theoretische Eigenschaften der Wahlverfahren gehen verloren, wenn zu viele Wahlgänge hintereinander stattfinden. Eine Eigenschaft des in LiquidFeedback verwendeten Schulze-Verfahrens ist die independence of duplicates. Dies besagt, dass man durch mehrfaches einstellen der gleichen Forderung die Chance ihrer Annahme nicht steigern kann. Obwohl LiquidFeedback diese Eigenschaft auf ihrer Webseite prominent herausstellt, wurde mir schon von Nutzern explizit geraten eine Initiative bei Ablehnung einfach nochmal einzustellen. Ups! [/theory]

Notwendige Schritte

Mehr Demokratie

  • Permanente Stimmungsbilder und Meinungsanalysen
  • Transparentere Entscheidungen der Delegierten

Softwareunterstützung

  • Erziehung, Heranführen an ausgefeiltere Wahlverfahren
  • Diskussionsplattform
  • Argumente und Expertenwissen einsammeln

Man darf dabei nicht vergessen, dass Wahlverfahren mit vielen Wählern oft schlechtere Ergebnisse liefern, bei denen alle Wähler unzufriedener sind. Dabei ist dies kein Argument gegen mehr Demokratie. Es ist nur ein Argument gegen die totale Demokratie.

Fazit

Ein iterativ durchgeführtes Wahlverfahren bei dem zusammenhängende oder überlappende Themengebiete in getrennten Wahlgängen abgestimmt werden, führt zu einem sozialen Dilemma. Dieses Dilemma kann nur durch Sozialkontakt, persönlichem Aufbau von Vertrauen und durch emotionale Beziehungen gelöst werden. Würde sich die Basis so zu sagen vom Sofa aus per Internet an allen Abstimmungen beteiligen dann stellt sie sich schlechter. Und ich wiederhole: Dies ist kein Argument gegen mehr Demokratie. Es ist ausschließlich eine rationale Begründung dafür, dass die Basis die totale Basisdemokratie ablehnt.