DE-BTW/relative Mehrheit bei Landeslistenaufstellung

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Gestaltungsrahmen bei der Aufstellung von Landeslisten im Hinblick auf die relative Mehrheit

I. Einleitung:

Für die Teilnahme an der Bundestagswahl 2013 soll im folgenden untersucht werden, wie die Landeslisten mit möglichst hoher Rechtssicherheit "aufgefüllt" werden können. Unter "Auffüllen" soll die Wahl möglichst vieler Bewerber auf eine Landesliste verstanden werden, so dass im Falle des Ausfalls eines Bewerbers genügend Nachrücker zur Verfügung stehen.

Das letztendliche Wahlergebnis hängt von einer Vielzahl von Variabeln ab, die sich im Vorfeld nicht genau bestimmen lassen. Daher wurden oben die Daten der letzten BT-Wahl zugrundegelegt. Die Anzahl der Bewerber auf den Landeslisten sollte mE. wenigstens dem Fünffachen des zu erwartenden Wahlergebnisses entsprechen. Ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels wäre das Genügenlassen der relativen Mehrheit für die "hinteren" Listenplätze.

II. Problemstellung

1. Allgemeines

Für Wahlen und Beschlüsse bedarf es der Mehrheitsermittlung. Im Verbands- und Vereinsrecht besteht ein Gestaltungsspielraum ( § 40 BGB), der es ermöglicht, höhere oder niedrigere Anforderungen an die Mehrheit aufzustellen. Dabei ist die verwendete Terminologie häufig nicht "geeicht", so dass bei Gebrauch eines scheinbar feststehenden Begriffes keine Einigkeit oder Klarheit über den Inhalt desselben bestehen muss (Bsp.: Verwechslung der einfachen mit der relativen Mehrheit).


2. Arten von Mehrheiten

a)
Gemäß § 32 Abs 1 S 3 BGB entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Hiernach ist ein Antrag oder Wahlvorschlag angenommen, wenn die Zahl der gültigen Ja-Stimmen die der Nein-Stimmen um wenigstens eine übertrifft [1]. Dies schließt mit ein, dass mehr als die Hälfte der Abstimmenden für den Antrag oder Wahlvorschlag gestimmt haben. Entsprechungen finden sich in § 133 Abs 1 AktG, § 47 Abs 1 GmbHG, § 43 Abs 2 GenG.

Diese Mehrheit wird als einfache bzw. absolute Mehrheit bezeichnet[2].

b)
Gibt es mehr als zwei Abstimmungsalternativen ( zB. Kandidaten), kann der Fall eintreten, dass die einfache bzw. absolute Mehrheit nicht erreicht wird. Entfallen dabei - trotz Nichterreichen der absoluten Mehrheit - auf eine Entscheidungsalternative die meisten Stimmen, so wird dies als relative Mehrheit bezeichnet[3]. Eine solche relative Mehrheit ist im BGB nicht vorgesehen; soll sie - zB. für eine Wahl - genügen, so bedarf es einer ausdrücklichen Satzungsbestimmung[4].

Daneben gibt es noch weitere Arten von Mehrheiten, wie die qualifizierte Mehrheit ( zB. in unserer Satzung: 2/3-Mehrheit für Satzungsänderungen) oder die Einstimmigkeit. Die Verwendung des Begriffs absolute Mehrheit kann auch auf Zugrundelegung einer anderen Grundgesamtheit als der Mehrheit der abgegebenen Stimmen hindeuten (zB. Mehrheit der Anwesenden), was an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden soll.


3. Modifikation des § 32 f BGB durch § 15 Abs 1 PartG

Wortlaut:

§ 15 Willensbildung in den Organen 
(1) Die Organe fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit, soweit nicht durch Gesetz oder Satzung erhöhte Stimmenmehrheit vorgeschrieben ist.

a) Allgemeines
Die Normen des Parteiengesetzes sind Bestandteil der Grundordnung einer Partei; grundsätzlich modifizieren oder verdrängen sie einschlägige Vorschriften des bürgerlichen Vereinsrechts[5].

§ 15 PartG stellt damit eine Sonderreglung dar, die soweit ihr Regelungsinhalt reicht, dem § 32 BGB vorgeht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass § 15 PartG als abschließende Regelung aufzufassen wäre; Normen des bürgerlichen Vereinsrechts oder der Wahlgesetze können gleichwohl maßgeblich sein[6].

b)
Zum Streitstand bzgl. der relativen Mehrheit im Rahmen des § 15 Abs 1 PartG Gemäß § 15 Abs 1 PartG fassen die Organe ihre Beschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit. Nach vorherrschender Meinung gilt § 15 Abs 1 auch für Wahlen, da "Beschluss" lediglich den formellen Abschluss eines Willensbildungsprozesses bezeichnet, zu denen auch Wahlen gehören[7]. Im Hinblick auf die Berechnung der einfachen Mehrheit findet § 32 Abs 1 S 3 BGB Anwendung, der insoweit nicht verdrängt wird[8].

Der Wortlaut des § 15 Abs 1 PartG lässt das Genügen der relativen Mehrheit im Parteienrecht nicht zu, da durch Satzung lediglich erhöhte Mehrheiten vorgeschrieben werden können[9]. Zudem nennt diese Vorschrift ausdrücklich die einfache Mehrheit als maßgebliches Kriterium.

aa)
Hiergegen werden in der Literatur gewichtige Argumente vorgebracht. Angesichts des Umstandes, dass es im Vereinsrecht anerkannt ist, dass vom Erfordernis der einfachen Mehrheit abgewichen werden kann, indem § 32 Abs 1 S 3 BGB durch Satzung abbedungen wird (§ 40 BGB), müsse diese Möglichkeit auch den politischen Parteien eingeräumt werden. Hierfür spreche auch, dass eine Erhöhung der Mehrheitserfordernisse zulässig sei[10]. Außerdem sei der Gesetzgeber - mangels rechtfertigenden Grundes - nicht zu einem Eingriff in die im Art 21 Abs 1 GG verbürgte Organisationsfreiheit berechtigt[11]. Zudem wäre eine Zulassung der relativen Mehrheit der Verbesserung des Minderheitenschutzes dienlich. Nach dieser Auffassung kann durch Satzungsbestimmung die Wahl mittels relativer Mehrheit ermöglicht werden.

bb)
Von einer anderen Ansicht werden die Bedenken geteilt, jedoch wird eine Änderung durch den Gesetzgeber für erforderlich angesehen; für Wahlen sei eine dem Art 42 Abs 2 S 2 GG entsprechende Regelung wünschenswert[12].

c) Zwischenergebnis
Insoweit wäre zumindest bei Wahlen zu Parteiorganen bei denen die relative Mehrheit ausreichen soll, eine dahin lautende Satzungsbestimmung zu fordern.


4. Anwendbarkeit des § 15 Abs 1 PartG im Rahmen der Bewerberaufstellung

Wortlaut des Abs 1 des § 21 BWahlG

§ 21 Aufstellung von Parteibewerbern
(1) Als Bewerber einer Partei kann in einem Kreiswahlvorschlag nur benannt werden, wer nicht Mitglied einer anderen Partei ist und in einer Mitgliederversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers oder in einer besonderen oder allgemeinen Vertreterversammlung hierzu gewählt worden ist. Mitgliederversammlung zur Wahl eines Wahlkreisbewerbers ist eine Versammlung der im Zeitpunkt ihres Zusammentritts im Wahlkreis zum Deutschen Bundestag wahlberechtigten Mitglieder der Partei. Besondere Vertreterversammlung ist eine Versammlung der von einer derartigen Mitgliederversammlung aus ihrer Mitte gewählten Vertreter. Allgemeine Vertreterversammlung ist eine nach der Satzung der Partei (§ 6 des Parteiengesetzes) allgemein für bevorstehende Wahlen von einer derartigen Mitgliederversammlung aus ihrer Mitte bestellte Versammlung.

Wortlaut des Abs 5 des § 27 BWahlG

§ 27 Landeslisten 
(5) § 21 Abs. 1, 3, 5 und 6 sowie die §§ 22 bis 25 gelten entsprechend mit der Maßgabe, daß die Versicherung an Eides Statt nach § 21 Abs. 6 Satz 2 sich auch darauf zu erstrecken hat, daß die Festlegung der Reihenfolge der Bewerber in der Landesliste in geheimer Abstimmung erfolgt ist.

Da sich "Organe" iSd § 15 Abs 1 auf § 8 PartG bezieht, wäre die Anwendbarkeit dieser im Rahmen der Bewerberaufstellung ausgeschlossen, wenn es sich bei den Aufstellungsversammlungen um kein Organ iSd. des Parteiengesetzes handelt. Es stellt sich die Frage nach der Rechtsnatur von Aufstellungsversammlungen.

a) Rechtsnatur von Aufstellungsversammlungen
Der Bewerberaufstellung kommt grundsätzlich eine "Doppelfunktion" zu, da sie rechtssystematisch zum Parteienrecht und inhaltlich schwerpunktmäßig zum Wahlrecht gehört[13]. Sie ist Angelegenheit der inneren Ordnung der Partei und muss gemäß Art 21 Abs 1 S 3 GG demokratischen Grundsätzen entsprechen[14].Gleichwohl sind Aufstellungsversammlungen keine Mitgliederversammlungen iSd des § 9 PartG, also auch kein Organ iSd § 8 PartG[15]. § 17 S 2 PartG und auch § 27 Abs 5 iVm § 21 Abs 5 BWahlG enthalten nach allgemeiner Auffassung einen Regelungsauftrag an die Parteien[16]. Die Partei soll das Verfahren zur Aufstellung von Bewerbern satzungsmäßig festschreiben ( "durch Satzung").

b) Satzungsrechtliche Bestimmungen der Piratenpartei
Hinsichtlich der drei in § 21 Abs 1 aufgeführten drei Arten von Aufstellungsversammlungen kommt für die Piratenpartei (im Grunde) nur die Mitgliederversammlung iSd § 27 Abs 5 iVm § 21 Abs S 2 BWahlG in Betracht. Die Bundessatzung weist die Aufgabe der Bewerberaufstellung in § 10 Abs 1 den Gebietsverbänden zu. Dies wurde von den Landesverbänden unterschiedlich umgesetzt. Einige Landesverbände weisen diese einer Mitgliederversammlung zu; andere Landessatzungen weisen diesbezüglich keine explizite Bestimmung auf.

Enthalten die Satzungen einer Partei keine Regelung ist für Aufstellung gemäß § 32 Abs 1 S 1 BGB iVm. § 9 PartG der (jeweilige) Parteitag zuständig; dieser muss sich aber als Aufstellungsversammlung konstituieren und alle diesbezüglichen gesetzlichen Anforderungen erfüllen[17]. Das heißt, dass anstelle von Satzungsbestimmungen gegebenfalls gesetzliche Regelungen ( Art 21 Abs 1 GG) treten. Dies betrifft beispielsweise das Stimmrecht. Auch nichtzahlende Parteimitglieder sind in Aufstellungsversammlungen stimmberechtigt[18]. Anders lautende Satzungsbestimmungen sind insoweit unwirksam.

c) Zwischenergebnis
§15 Abs 1 PartG findet für Aufstellungsversammlungen keine Anwendung. Daraus folgt, dass jedenfalls für Aufstellungsversammlungen durch Satzungsbestimmung (s.o. II. 2. b) ) relative Mehrheiten eingeführt werden können.


5. Zur relativen Mehrheit in Aufstellungsversammlungen ohne satzungsmäßige Grundlage

a)
Ob in Aufstellungsversammlungen auf Grundlage von bloßen Beschlüssen oder unterhalb der Satzung stehenden Ordnungen, die mit der Satzung auch nicht verbunden sind und in ihr auch keine Grundlage finden[19], die relative Mehrheit zur Wahl von Bewerbern rechtswirksam für ausreichend erklärt werden kann, ist in Zweifel zu ziehen.

Auch hier ist mE. § 32 Abs 1 S 3 BGB anwendbar, da es sich regelmäßig um eine Mitgliederversammlung einer Partei in der Rechtsform eines (nicht) eingetragenen Vereins handelt. Diese Vorschrift ist ein einfaches Gesetz, das grundsätzlich zu beachten ist. Zwar ist diese Vorschrift disponibel. Jedoch bedürfte es hierbei einer Satzungsänderung, an der es aber gerade fehlte, wenn eine Festlegung durch bloßen Beschluss erfolgte. Andererseits könnte ein Wahlmodus, bei dem mittels einfacher Mehrheit gewählt werden soll, durchaus durch bloßen Beschluss festgelegt werden.

Gleichwohl wird dies in wahlzulassungsrechtlicher Hinsicht jedenfalls von Schreiber[20] für zulässig angesehen. Hiernach ergäbe sich insoweit aus dem Fehlen einer erforderlichen Satzungsbestimmung keine "negative" Rechtsfolge. Das Wahlverfahren könnte (zur Not) auch durch entsprechenden Versammlungsbeschluss festgelegt werden[21]. Der Grund hierfür ist in dem Prüfungsumfang zu sehen, der bei Wahlzulassungsentscheidungen zu Grunde zu legen ist. Nach wohl herrschender Auffassung erstreckt sich die Prüfung durch die Wahlorgane nur in Ausnahmefällen auf die Einhaltung der Vorschriften des bürgerlichen Vereinsrechts[22].

Die Prüfung der Wahlorgane beschränkt sich regelmäßig auf eine Evidenzkontrolle anhand der Formulare der BWahlO. Bestehen entsprechende Anhaltspunkte, ist eine weitergehende Prüfung jedoch möglich ( § 26 BWahlG). Wird ein Wahlvorschlag zurückgewiesen, kann erst nach der Wahl ein Wahlprüfungsverfahren eingeleitet werden. Auch im Hinblick auf die Wahlrechtsgrundsätze des Art 38 Abs 1 S 1 GG bestehen hinsichtlich des Rückgriffs auf die relative Mehrheit keine grundsätzlichen Bedenken.

b)
Mit der obigen gewichtigen Literaturauffassung wäre der Weg gangbar, bei der Aufstellung ohne satzungsmäßige Grundlage auf die relative Mehrheit zurückzugreifen, obwohl dies nach bürgerlichem Recht offensichtlich mit guten Erfolgsaussichten anfechtbar ist.

Da die Wahlausschüsse an diese Auffassung nicht gebunden sind und somit eine Zurückweisung des Wahlvorschlages möglich erscheint, wäre es gleichwohl empfehlenswert, dieses unsichere Terrain zu verlassen. Ferner stünde einem unterlegenen Bewerber der Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit offen.

III. Lösungsvorschlag

Zur Auffüllung von Listen, sollte § 10 der Bundessatzung um eine Bestimmung ergänzt werden, die die relative Mehrheit unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Anknüpfungspunkte wären insoweit das wiederholte Verfehlen der absoluten Mehrheit oder ............

Sofern eine hinreichend ausgereifte Wahlordnung besteht, könnte diese ähnlich der Schiedsgerichts- oder Finanzordnung mit der Satzung verbunden werden. Diese sollte jedoch fakultativ ausgestaltet sein, um bestehende Bestimmungen in Landessatzungen nicht zu "zerschießen".

Referenzen

  1. BGH NJW 1989, 1090
  2. Reichert in Hdb des Vereins- und Verbandsrechts Rn 1798; Sauter/Schweyer/ Waldner Rn 208; Schöpflin in Bamberger/Roth § 32 Rn 26
  3. Reichert in Hdb des Vereins- und Verbandsrechts Rn 1807; OLG München NZG 2008, 351, 352
  4. OLG München NZG 2008, 351, 352; Sauter/Schweyer/ Waldner Rn 208; Schöpflin in Bamberger/Roth § 32 Rn 26
  5. Reichert in Hdb des Vereins- und Verbandsrechts Rn 6097; vgl. auch Schöpflin in Bamberger/Roth § 21 Rn 61: "Sondergesetz"
  6. Augsberg in Kersten/Rixen, PartG § 15 Rn 4
  7. Ipsen in Ipsen PartG § 15 Rn 6; Augsberg in Kersten/ Rixen, PartG Rn 5
  8. Augsberg in Kersten/ Rixen, PartG Rn 6; Reichert in Hdb des Vereins- und Verbandsrechts Rn 6315 (12. Auflage)
  9. Augsberg in Kersten/ Rixen, PartG Rn 7 f
  10. Augsberg in Kersten/ Rixen, PartG Rn 24 f
  11. Henke in BK GG, Art 21 Rn 292
  12. Ipsen in Ipsen, PartG § 15 Rn 7
  13. Schreiber in BWahlG § 21 Rn 6
  14. Schreiber in BWahlG § 21 Rn 5
  15. Schreiber in BWahlG § 21 Rn 11
  16. Schreiber in BWahlG § 21 Rn 38; Frommer/ Engelbrecht in BWahlrecht Kennzahl 11.27 Rn 2 -Vorrang der Wahlgesetze betonend
  17. Schreiber in BWahlG § 21 Rn 9, S.466
  18. BVerfG E 98, 257; Frommer / Engelbrecht Kennzahl 11.27 Rn 4.4; Schreiber in BWahlG § 21 Rn 12
  19. dazu: Reichert in Hdb des Vereins- und Verbandsrechts Rn 463 f sowie 486; Sauter/Schweyer/ Waldner Rn 151 f
  20. Schreiber in BWahlG § 27 Rn 21 am Ende
  21. Schreiber in BWahlG § 27 Rn 25 "In jedem Fall muss den Teilnehmern der Versammlung klar sein, über wen, was und wie im Einzelnen abgestimmt wird." unter Berufung auf Bay. VGH Bay VerwBl 1963, S. 387 f
  22. Schreiber in BWahlG § 27 Rn 23 m.w.N.