Bundestagswahl 2009/Programmvorschlag Kernthemen/Bürgerrechte und Privatsphäre

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Privatsphäre und Datenschutz

Der Schutz der Privatsphäre und der Datenschutz gewährleisten Würde und Freiheit des Menschen, die freie Meinungsäußerung, demokratische Teilhabe und in der Folge unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaftsform, die in der Vergangenheit auch unter Einsatz zahlloser Menschenleben erkämpft und verteidigt wurde.

Jeder einzelne Schritt auf dem Weg zum Überwachungsstaat mag noch so überzeugend begründet sein - doch als Deutsche und Europäer wissen wir aus Erfahrung, wohin dieser Weg führt. Diesen Entwicklungen stellen wir uns entschieden entgegen und sagen dem Überwachungsstaat den Kampf an.

Das Recht auf Wahrung der Privatsphäre ist ein unabdingbares Fundament einer demokratischen Gesellschaft. Die Meinungsfreiheit und das Recht auf persönliche Entfaltung sind ohne diese Voraussetzung nicht zu verwirklichen.

kein Überwachungsstaat - das Recht in Ruhe gelassen zu werden

Systeme und Methoden, die der Staat gegen seine Bürger einsetzen kann, müssen der ständigen Bewertung und genauen Prüfung durch gewählte Mandatsträger unterliegen. Wenn die Regierung Bürger beobachtet, ohne dass sie eines Verbrechens verdächtig sind, ist dies eine fundamental inakzeptable Verletzung des Bürgerrechts auf Privatsphäre.

Die pauschale Verdächtigung und anlaßlose Überwachung aller Bürger hat generell zu unterbleiben.

Eine als 'präventive Strafverfolgung' verschleierte Abschaffung der Unschuldsvermutung lehnen wir unbedingt ab.

Die flächendeckende Überwachung des öffentlichen Raums durch Videokameras oder andere Maßnahmen darf nicht zugelassen werden. Wir fordern ein allgemeines Verbot der Überwachung des öffentlichen Raums, von dem nur einzelne, richterlich angeordnete Ausnahmen zulässig sind.

Jedem Bürger muss das Recht auf Anonymität garantiert werden, das unserer Verfassung innewohnt. Die Weitergabe personenbezogener Daten vom Staat an die Privatwirtschaft hat in jedem Falle zu unterbleiben.

Vertrauliche Kommunikation

Das Briefgeheimnis soll erweitert werden zu einem generellen Kommunikationsgeheimnis, das die grundgesetzlich geschützte Privatheit und Integrität von Kommunikation auch in elektronischen Medien wie dem Internet garantiert. Zugriff auf die Kommunikationsmittel oder die Überwachung eines Bürgers darf Ermittlungsbehörden nur im Falle eines begründeten und konkreten Tatverdachtes erlaubt werden, dass dieser Bürger ein Verbrechen plant oder begangen hat. In jedem Fall ist ein richterlicher Beschluss erforderlich. In allen anderen Fällen muß der Staat annehmen, seine Bürger seien unschuldig. Diesem Kommunikationsgeheimnis muss ein starker gesetzlicher Schutz gegeben werden, da Regierungen wiederholt gezeigt haben, dass sie bei sensiblen Informationen nicht vertrauenswürdig sind.

Speziell eine verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsdaten widerspricht nicht nur der Unschuldsvermutung, sondern auch allen Prinzipien einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft. Der vorherrschende Kontrollwahn stellt eine weitaus ernsthaftere und langfristigere Bedrohung unserer Gesellschaft dar als der internationale Terrorismus und erzeugt ein Klima des Misstrauens und der Angst. Flächendeckende staatliche Überwachung, fragwürdige Rasterfahndungen und zentrale Datenbanken mit unbewiesenen Verdächtigungen (Anti-Terror-Datei) sind Mittel, deren Einsatz wir grundsätzlich ablehnen.

Informationelle Selbstbestimmung

Das Recht des Einzelnen, die Verwendung seiner persönlichen Daten zu kontrollieren, muss gestärkt werden. Jegliche kommerzielle Nutzung persönlicher Daten muss verboten sein, solange sie nicht ausdrücklich vom Betroffenen erlaubt wird. Dazu müssen insbesondere die Datenschutzbeauftragten völlig unabhängig agieren können. Neue Methoden wie das Scoring machen es erforderlich, nicht nur die persönlichen Daten kontrollieren zu können, sondern auch die Nutzung aller Daten, die zu einem Urteil über eine Person herangezogen werden können. Jeder Bürger muss gegenüber den Betreibern zentraler Datenbanken einen durchsetzbaren und wirklich unentgeltlichen Anspruch auf Selbstauskunft, Korrektur, Sperrung oder Löschung der Daten haben. Ausgenommen davon sind Fälle, in denen ein öffentliches Interesse zur Erfüllung der staatlichen Aufgaben vorliegt.

Erhebung und Nutzung biometrischer Daten und Gentests erfordern aufgrund des hohen Missbrauchspotentials eine besonders kritische Bewertung und Kontrolle von unabhängiger Stelle. Der Aufbau zentraler Datenbanken mit solchen Daten muss unterbleiben. Die Verwendung biometrischer Merkmale in Passdokumenten hat zu unterbleiben oder auf Freiwilligkeit zu beruhen. Es ist gegenüber Drittstaaten durchzusetzen, dass diese Pässe unabhängig von biometrischen Merkmalen vollständig gültig sind. Massengentests für polizeiliche Zwecke, bei denen die Vorgeladenen nicht individuell verdächtigt werden, müssen als anlaßlose Verdächtigungen gewertet und entsprechend untersagt werden.

Generell müssen die Bestimmungen zum Schutze personenbezogener Daten die Besonderheiten digitaler Daten, wie etwa mögliche Langlebigkeit und schwer kontrollierbare Verbreitung, stärker berücksichtigen. Gerade weil die Piratenpartei für eine stärkere Befreiung von Information, Kultur und Wissen eintritt, fordern wir Datensparsamkeit, Datenvermeidung und unabhängige Kontrolle von Stellen, die personenbezogene Daten verwenden. Wenn diese nämlich für wirtschaftliche oder Verwaltungszwecke genutzt werden, können sie die Freiheit und die informationelle Selbstbestimmung des Bürgers unnötig einschränken und den Überwachungsdruck verstärken.

Innere Sicherheit - die Sicherheit der inneren Gewissheit

Die Bekämpfung der Kriminalität ist eine wichtige staatliche Aufgabe. Sie ist nach unserer Überzeugung nur durch eine intelligente, rationale und evidenzbasierte Sicherheitspolitik auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zu gewährleisten. Um sinnvolle Sicherheitsmaßnahmen zu fördern und schädliche Maßnahmen beenden zu können, wollen wir alle bestehenden Befugnisse und Programme der Sicherheitsbehörden systematisch und nach wissenschaftlichen Kriterien überprüfen auf Wirksamkeit, Kosten, schädliche Nebenwirkungen, auf Alternativen und auf ihre Vereinbarkeit mit den Menschen- und Bürgerrechten.

Wir wollen, dass künftig jeder Vorschlag für neue Sicherheitsmaßnahmen noch im Entwurfsstadium von der Europäischen Grundrechteagentur oder einer entsprechenden deutschen Einrichtung auf diese Kriterien hin begutachtet wird. Nur durch einen solchen "Gesetzes-TÜV" kann weiteren verfassungswidrigen Angriffen auf unsere Grundrechte frühzeitig entgegen gewirkt werden. Der Grundrechteagentur müssen dafür alle nötigen finanziellen und personellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.

Um den fortschreitenden Abbau der Bürgerrechte seit 2001 zu stoppen, fordern wir ein Moratorium für weitere Grundrechtseingriffe im Namen der inneren Sicherheit ein, solange nicht die systematische Überprüfung der bestehenden Befugnisse abgeschlossen ist.

Zur Gewährleistung der Freiheitsrechte und zur Sicherung der Effektivität von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung treten wir dafür ein, dass eine staatliche Informationssammlung, Kontrolle und Überwachung künftig nur noch gezielt bei Personen erfolgt, die einer Straftat konkret verdächtigt sind. Zum Schutz unserer offenen Gesellschaft und im Interesse einer effizienten Sicherheitspolitik wollen wir auf anlasslose, massenhafte, automatisierte Datenerhebungen, Datenabgleichungen und Datenspeicherungen verzichten. In einem freiheitlichen Land ist eine derart breite Erfassung beliebiger Personen ohne Anlass und Verdacht inakzeptabel.

Die Sicherheitsforschung aus Steuergeldern wollen wir demokratisieren und an den Bedürfnissen und Rechten der Bürgerinnen und Bürger ausrichten. In beratenden Gremien sollen künftig neben Verwaltungs- und Industrievertretern in gleicher Zahl auch Volksvertreter sämtlicher Fraktionen, Kriminologen, Opferverbände und Nichtregierungsorganisationen zum Schutz der Freiheitsrechte und Privatsphäre vertreten sein. Eine Entscheidung über die Ausschreibung eines Projekts soll erst getroffen werden, wenn eine öffentliche Untersuchung über die Auswirkungen des jeweiligen Forschungsziels auf unsere Grundrechte (impact assessment) vorliegt.

Die Entwicklung von Technologien zur verstärkten Überwachung, Erfassung und Kontrolle von Bürgerinnen und Bürgern lehnen wir ab. Stattdessen muss die Sicherheitsforschung auf sämtliche Optionen zur Kriminal- und Unglücksverhütung erstreckt werden und eine unabhängige Untersuchung von Wirksamkeit, Kosten, schädlichen Nebenwirkungen und Alternativen zu den einzelnen Vorschlägen zum Gegenstand haben.

Weil auch die gefühlte Sicherheit eine wichtige Voraussetzung für unser Wohlbefinden ist, wollen wir zudem erforschen lassen, wie das öffentliche Sicherheitsbewusstsein gestärkt und wie verzerrten Einschätzungen und Darstellungen der Sicherheitslage entgegen gewirkt werden kann.

Konkrete Massnahmen

Konkrete Forderungen im Bereich der Privatsphäre und der Inneren Sicherheit sind:

  • Durchsetzung des Folterverbots
  • Bessere, wirksame Kontrolle von Geheimdiensten und Polizei national und europaweit
  • Solange kein europaweiter einheitlicher Datenschutz auf hohem Niveau existiert, dürfen die Hürden für den Informationsaustausch zwischen der deutschen Polizei und der anderer Mitgliedsstaaten nicht weiter abgesenkt werden.
  • Kein Informationsaustausch mit Staaten ohne wirksamen Datenschutz
  • Einführung einer Informations-/Auskunftspflicht gegenüber den Betroffenen beim Datenaustausch zwischen Polizeien der EU-Länder
  • Rücknahme des Gesetzes über die Vorratsdatenspeicherung
  • keine Vorratsspeicherung von Flug-, Schiff- und sonstigen Passagierdaten (PNR: Passenger Name Records)
  • keine Weitergabe von solchen Passagierdaten an Dritte
  • Rücknahme der Auslandskopfüberwachung
  • kein automatisiertes KFZ-Kennzeichen-Scanning
  • Abschaffung der biometrischen Daten in Pässen und Ausweisen. Verzicht auf RFID-Chips in Ausweisdokumenten.
  • Einrichtung einer unabhängigen deutschen Datenschutzbehörde mit Sanktions-Recht
  • keine 'präventive' Strafverfolgung (keine Aufhebung der Unschuldsvermutung)
  • keine Internierungslager (Gefängnis ohne Aburteilung) in Deutschland
  • Abbau von Echelon-Abhörzentralen auf deutschem Boden
  • Abschaffung der "Anti-Terror-Datei", der "Visa-Warndatei" und anderer unrechtmäßiger Datenbanken
  • Stärkung des allgemeinen Informantenschutzes
  • Abschaffung der Beugehaft für Zeugen
  • Wiederherstellung der Trennung von Polizei und Geheimdiensten. Rücknahme der geheimdienstlichen Befügnisse für das BKA.
  • Schutz von Ermittlungsdaten vor automatischem Austausch zwischen Polizeien verschiedener Staaten
  • Einführung eines eindeutigen, gut sichtbaren Identifikationsmerkmals (Nummer oder Name) für Polizisten bei Einsätzen zur Identifikation
  • Verzicht auf Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen etc., Videoüberwachung generell verstärkt ersetzen durch unbewaffnete Polizeistreifen.
  • Keine automatische Gesichts- oder Verhaltenskontrolle
  • Ausweitung des Persönlichkeits-Kernbereichs auf elektronische-Medien (z. B. Mail bei Webmailern, Laptop)
  • Keine geheimen Durchsuchungen - weder online noch offline!
  • Überprüfung und ggf. Aufhebung der unter dem Namen 'Anti-Terror-Maßnahme' eingeführten Regelungen, die seit dem 11.9.2001 installiert wurden

Bürgerrechtsbündnis - gemeinsam sind wir stark

Gemeinsam mit dem deutschlandweiten Bürgerrechtsbündnis 'Freiheit statt Angst' fordern wir:

Überwachung abbauen

  • Abschaffung der flächendeckenden Protokollierung der Kommunikation und unserer Standorte (Vorratsdatenspeicherung)
  • Abschaffung der flächendeckenden Erhebung biometrischer Daten, sowie von RFID-Ausweisdokumenten
  • Schutz vor Bespitzelung am Arbeitsplatz durch ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz
  • Berücksichtigung des Datenschutzes für Bürger- und Arbeitnehmer/innen bereits in der Konzeptionsphase aller öffentlicher eGovernment-Projekte
  • Keine einheitliche Schülernummer (Berliner SchülerID)
  • Keine Weitergabe von Informationen über Menschen ohne triftigen Grund; keine europaweite Vereinheitlichung staatlicher Informationssammlungen (Stockholmer Programm)
  • Keine systematische Überwachung des Zahlungsverkehrs oder sonstige Massendatenanalyse in der EU (Stockholmer Programm)
  • Kein Informationsaustausch mit den USA und anderen Staaten ohne wirksamen Grundrechtsschutz
  • Abbau von Videoüberwachung und Verbot des Einsatzes von Verhaltenserkennungssystemen
  • Keine pauschale Registrierung aller Flug- und Schiffsreisenden (PNR-Daten)
  • Keine geheime Durchsuchung von Privatcomputern, weder online noch offline
  • Keine Einführung der Elektronischen Gesundheitskarte in der derzeit geplanten Form

Evaluierung der bestehenden Überwachungsbefugnisse

Wir fordern eine unabhängige Überprüfung aller bestehenden Überwachungsbefugnisse im Hinblick auf ihre Wirksamkeit, Kosten, schädliche Nebenwirkungen und Alternativen.

Moratorium für neue Überwachungsbefugnisse

Nach der inneren Aufrüstung der letzten Jahre fordern wir einen sofortigen Stopp neuer Gesetzesvorhaben auf dem Gebiet der inneren Sicherheit, wenn sie mit weiteren Grundrechtseingriffen verbunden sind.

Gewährleistung der Meinungsfreiheit und des freien Meinungs- und Informationsaustauschs über das Internet

  • keine Beschränkung des Internetzugangs durch staatliche Stellen oder Internetanbieter (Sperrlisten)
  • keine Sperrungen von Internetanschlüssen.
  • Verbot der Installation von Filtern in die Infrastruktur des Internet.
  • Entfernung von Internet-Inhalten nur auf Anordnung unabhängiger und unparteiischer Richter.
  • Einführung eines uneingeschränkten Zitierrechts für Multimedia-Inhalte, das heute unverzichtbar für die öffentliche Debatte in Demokratien ist.
  • Schutz von Plattformen zur freien Meinungsäußerung im Internet (partizipatorische Websites, Foren, Kommentare in Blogs), die heute durch unzureichende Gesetze bedroht sind, welche Selbstzensur begünstigen (abschreckende Wirkung).