Benutzer:Oibelos/PostPrivacy

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Die Denkfehler der Post-Privacy-Fraktion

Erpressung und Fremdsteuerung

Die Antwort der Post-Privacy-Fraktion auf die vorhergesagte Post-Privacy-Welt ist eine tolerantere Gesellschaft und das Ende der Diskriminierung. Der Gedanke dahinter: Wenn alles toleriert wird, besteht keine Notwendigkeit mehr, etwas geheim zu halten. Wenn die katholischen Kirche toleranter wird, kann der Pfarrer auch gerne einen Gayromeo-Account mit Schwanzbild haben, ohne dass er was zu befürchten hat. Wenn Komasaufen gesellschaftlich akzeptiert ist, macht es auch nichts mehr, wenn Fotos mit meinem Namen getaggt sind, auf denen mein Kopf in einer Kloschüssel hängt. Wenn Promiskuität keinen mehr stört, dann stört es einen auch nicht mehr, wenn die Gesichtserkennung im sozialen Netzwerk einen auf den Fotos aus dem Swingerclub erkannt hat.

Nun kann man in Zweifel ziehen, ob es je soweit kommt, dass die katholische Kirche sich nicht mehr an schwulen Priestern stört oder dass das schnell genug geht. Und man kann zweifeln, ob das für alle Dinge so kommen wird, für die man diskriminiert werden kann.

Aber es gibt noch einen ganz anderen Aspekt:

Gerade im digitalen Zeitalter wird meine Umwelt mehr und mehr auf mich abgestimmt. Dies ist jetzt schon der Fall bei Werbung. Ich bekomme auf Website die Werbung angezeigt, von der Google "denkt" sie sei für mich besonders interessant. Wobei Google dabei nicht mein Wohl im Auge hat, sondern natürlich die Interessen des Anzeigekunden.

Denkt man das nun mal konsequent weiter in die Zukunft, dann wird jeder von uns in einer anderen Welt leben, zumindest online. Werbung, Medien etc. werden anhand der dank Post-Privacy gesammelten Daten perfekt auf einen abgestimmt. Impulse, mal in eine andere Richtung zu denken, bekommt man garnicht mehr. Stattdessen wird man ständig in seiner Meinung, in seinem Lebensstil, in seinem Geschmack bestätigt. Soweit, so gefährlich. Aber es geht noch schlimmer. Nämlich dann, wenn diese Möglichkeiten geschickt benutzt werden, Menschen zu manipulieren.

Letztendlich geht es wieder um die alte Weisheit: "Wissen ist Macht." Hat ein Staat, oder ein Konzern Wissen über einen Menschen, dann hat er Macht über diesen Menschen. Und es muss nichtmal irgendein Wissen sein, das den Menschen erpressbar macht. Es muss nur genug Wissen sein, damit man dem Menschen Meinungen unterschieben kann, zu denen er spontan sagt: "Stimmt! Das denke ich schon die ganze Zeit! Aber ich habe es nie so klar formulieren können!"

„„Das ist die größte Sache, an der ich jemals gearbeitet habe“, sagt er. „Es ist das Ende traditioneller Werbung.“ ‧Microstrategy plant nämlich eine Art hyper-personalisierte Werbung zu ermöglichen, mit Informationen aus der größten und aktuellsten Konsumentendatenbank der Welt: dem sozialen Netzwerk Facebook."“
[http://www.wiwo.de/technologie/valley-talk-prediger-stoesst-auf-goldmine/5326678.html

Altliberale Denkmuster: Der Staat als einzige Gefahr

Der Staat horcht uns aus mit Geheimdiensten, Telefonabhöraktionen, Hausdurchsuchungen, großem Lauschangriff und künftig vielleicht auch noch mit der Vorratsdatenspeicherung, die nicht nur verrät, wann wir mit wem wie kommuniziert haben, sondern auch noch, wo wir zu dem Zeitpunkt gerade waren. Der Staat ist es aber auch, der den Datenschutz durchsetzen soll. Und der Staat ist es, der z.B. Internetsperren anstrebt.

Angesichts der Bemühungen unserer Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner bezüglich Google Streetview und dem Versuch des Hamburger Datenschützers Facebook die Gesichtserkennung zu verbieten sind Befürchtungen berechtigt, der Staat könnte den Datenschutz als Vorwand verwenden, das Zeitalter des freien Internet zu beenden, so wie er auch schon KiPo als Vorwand nutzen wollte. Tatsächlich müsste man eine Firewall um Deutschland ziehen, um deutsche Gesetze, z.B. die zum Datenschutz, einfach und absolut im deutschen Teil des Internets durchzusetzen.

Diese Befürchtung benutzen nun einige, um den Datenschutz einfach über Bord zu werfen.

Wir leben in einer Welt, in der unser Leben nicht mehr nur vom Staat bestimmt wird. Viel mehr noch wird unser Leben heute von Konzernen, von der Wirtschaft bestimmt. Und auch diese können unsere Freiheiten einschränken. Im Gegensatz zum Staat gibt es bei den Konzernen nichtmal eine demokratische Kontrolle (auch wenn diese dringend verbessert werden muss).

Natürlich können wir als Konsumenten theoretisch einfach z.B. das soziale Netzwerk wechseln, wenn uns z.B. die Datenschutzbestimmung des einen nicht mehr gefallen. Praktisch sieht es dann aber doch etwas anders aus. Denn mit dem Wechsel verliert man u.U. die Kontakte, die man in dem Netzwerk hatte. Oder man muss aus beruflichen Gründen in genau diesem Netzwerk sein. Ähnlich sieht es aus mit E-Mail-Dienstleistern, Instant-Messaging usw. Außerdem ist ja garnicht gesagt, dass wir erfahren, dass unser Anbieter für einen Dienst uns aushorcht und / oder unsere Daten weitergibt.

Wer soll hier die Macht der Konzerne beschneiden, wer soll hier den Menschen vor der Macht der Konzerne schützen, wenn nicht der Staat?

Den Staat als alleinige Gefahr der Freiheit zu sehen ist blauäugig. Und den Staat nur als Gefahr zu sehen ist genauso falsch wie den Staat nur positiv zu sehen.

vorauseilende Kapitulation

Ein ganz beliebtes Argument von Post-Privacy-Befürtwortern oder für-unvermeidlich-Haltern ist ja immer auch, dass man die Entwicklung hin zu einer Post-Privacy-Welt eh nicht verhindern kann. Das wird dann so in den Raum gestellt. Und es wird auf die Sache mit den "Raub"-Kopien verwiesen. Hier argumentiere die Piratenpartei ja auch, dass man sie eh nicht verhindern können und deshalb erlauben solle.

Es gibt eine ganze Menge Dinge, die man nicht mit Sicherheit verhindern kann und die trotzdem verboten sind, Diebstahl zum Beispiel. Soll man den jetzt erlauben, weil er ja eh nicht zu verhindern ist, weil er in Kaufhäusern rund um den Globus täglich millionenfach stattfindet?

Dieses Argument ist untauglich. Es ist untauglich für die Diskussion um "Raub"-Kopien genau wie als Argument gegen den Datenschutz.

Abgesehen von ihrer Wirksamkeit sind Regeln / Gesetze auch Audruck einer Ethik und Richtlinie für viele in ihrer persönlichen Ethik.

Und hier kann man das Argument nochmal wirksamer hervorholen: Wenn ein Gesetz allgemein von kaum jemandem mehr beachtet wird, weil die Gesellschaft sich in der Ethik weiterentwickelt hat, dann sollte das Gesetz vielleicht wirklich abgeschafft werden. Denn die Gesetze sind eben auch vor allem dadurch wirksam, dass sie ethische Richtlinien sind. Die Akzeptanz eines Regelsystems hängt auch davon ab, dass es keine (nur wenige) Regeln enthält, die mit der Ethik der Gesellschaft, für die es gilt, nicht übereinstimmen. Betrachtet man als Gesellschaft die Online-Generation, dann mag für das "Raub"-Kopierverbot (zum Teil) gelten, dass die Gesetze nicht mehr zu der Ethik der Gesellschaft passen. Beim Datenschutz bin ich mir sicher, dass das anders ist. Ich glaube nicht, dass eine Mehrheit der Deutschen (egal welcher Generation) damit einverstanden ist, dass z.B. über ein soziales Netzwerk jeder sehen kann, wieviel der andere verdient, mit wem er schon Geschlechtsverkehr hatte, welche Krankheiten er hat(te), ...

Außerdem ist noch lange nicht entschieden, ob Post-Privacy zu verhindern sein wird oder nicht. Wobei: Wenn wir jetzt vorauseilend schonmal vor den Datenkraken kapitulieren, dann haben wir natürlich schon verloren.

Datenschutz als Freiheitsbeschränkung?

Teilweise liest man von Post-Privacy-Befürwortern Tweets wie: "Da steht ein Datenschützer hinter mir, der aufpasst, dass ich nicht zuviel von mir preisgebe." Das ist natürlich Unsinn. Total verdrehter Unsinn. Datenschutz, das ist die Summe der Maßnahmen, die sicherstellen, dass ich mein Recht auf informationelle Selbstbestimmung wahrnehmen kann. Das bedeutet, dass ich (weitgehend) entscheiden kann und darf, was über mich bekannt und gespeichert wird. Dazu gehört natürlich auch, dass ich das Recht habe, alles über mich zu veröffentlichen, was ich möchte. Der Datenschutz verhindert das doch nicht. Aber genauso gehört dazu, dass ich die Möglichkeit habe, zu bestimmen, welche Daten über mich nicht veröffentlicht und gespeichert werden sollen.

Zu behaupten, die Datenschützer wollten mir das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nehmen, ist polemischer, beleidigender, die Tatsachen verdrehender Unsinn. Und es entbehrt jeder Tatsache. Wo bitteschön hat ein Datenschützer jemandem verboten was über sich selbst zu veröffentlichen?

Der Datenschutz ist es, der die Ausübung des Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung überhaupt erst möglich macht.

informationelle Fremdbestimmung

Einige Personen aus dem Spackeria-Umfeld argumentieren, Ihnen gehe es ja gerade um die informationelle Selbstbestimmung, darum diese zu stärken / zu erhalten.

Diese Argumentation passt zu anderen Überlegungen aus dem gleichen Umfeld nicht. Die theoretische Grundlage der ganzen Post-Privacy-Ideologie ist doch die Filtersouveränität als das radikale Recht des anderen. Das heißt, dass nicht ich bestimme, welche Informationen ich von mir preisgebe, sondern dass der "andere" bestimmt, welche der zahllosen Informationen über mich er sich herausgreift, um sie sich näher zu betrachten. Das ist exakte Gegenteil von informationeller Selbstbestimmung, das ist die informationelle Fremdbestimmung.

Die Filtersouveränität der Geheimdienste

Auch bei der Spackeria spricht man sich oft gegen die Überwachungsfantasien des Staates aus wie z.B. die Vorratsdatenspeicherung. Was man dabei vergisst oder links liegen lässt, ist, dass der Staat in einer Post-Privacy-Welt ja überhaupt keine Vorratsdatenspeicherung mehr braucht. Er kann sich die Daten ja einfach bei Facebook, beim Mobilfunkprovider, bei der Krankenkasse, beim Hausarzt, beim intelligenten Kühlschrank oder sonstwo holen. Ohne Datenschutz / mit einem kastrierten Datenschutz ist das ja kein Problem mehr. Jeder kann auf alle Daten zugreifen.

Und auch der Geheimdienst kann sein radikales Recht des anderen ausüben, seine Filtersouveränität oder besser gesagt, die informationelle Fremdbestimmung über Dich.

OK, man kann einwenden, dass man den Geheimdienst abschaffen sollte. Oder dass man dem Geheimdienst verbieten sollte, was böses zu tun.

Selbst wenn man dem Staat, seinen Institutionen und all seinen Mitarbeitern verbieten würde, Daten von Menschen einzusehen, wäre es erstens utopisch, dass das funktioniert, zweitens wieder nichts anderes als Datenschutz und drittens absolut angreifbar. Jeder darf auf alle Daten zugreifen, warum sollte der Beamte XY das nicht? Die Schleusen der Post-Privacy wären geöffnet und eher früher als später würden auch der Staat / seine Institutionen / seine Beamten sich dies zunutze machen. Und auch wenn dieser Beamte nicht direkt etwas findet, was der untersuchte Mensch verbrochen hat, weswegen er z.B. strafrechtlich belangt werden könnte, so kann der Beamte doch Schwachstellen ausmachen, an denen der Mensch angreifbar ist. (siehe auch Teil 1)

Freiheit durch Datenschutz

Oft hört man von moderaten Post-Privacy-Anhängern, dass man eben Daten, von denen man nicht will, dass sie öffentlich sind, einfach nicht online stellen soll / nicht digital erfassen soll.

Das hat aber mindestens drei Haken:

1. Zur Abgabe mancher Daten werde ich gezwungen. Z.B. durch die Krankenkasse, durch das Finanzamt, durch den Arbeitgeber etc. Da habe ich keine Entscheidungshoheit, ob ich die Daten erfasst haben möchte / online stellen will. Der Datenschutz ist es hier, der dafür sorgt:

  • dass ich nicht mehr Daten abgeben muss, als unbedingt notwendig
  • diese nur für die bestimmten Zwecke benutzt werden dürfen
  • sie nicht an andere weitergegeben werden dürfen
  • ich ein Recht habe, Auskunft darüber zu verlangen, welche Daten das sind
  • ich darüber informiert werden, dass diese Daten erhoben werden und wofür

2. Viele Daten über mich stelle nicht ich selbst online / erfasse nicht ich selbst. Beispiele:

  • Bilder von Überwachungskameras
  • Krankenakten
  • Polizeiakten
  • Personalakten

3. Es kann einen Verlust von Freiheit bedeuten, wenn ich nur noch Daten veröffentlichen kann, bei denen es mir nichts ausmacht, wenn diese mit anderen Daten zu meiner Person verknüpft werden.

Beispiel A: Ich nehme an einer heiklen politischen Diskussion in einem Forum teil. Es geht um Kritik an der GEZ. Ich selbst bin bei der GEZ angestellt (natürlich nur in diesem Beispiel), aber GEZ-kritisch. Also möchte ich natürlich nicht, dass mein Arbeitgeber weiß, dass ich mich hinter dem Pseudonym verberge. Nun ist in dem Diskussionsforum ein Facebook-Like-Button. Da ich Facebook-Mitglied bin, weiß Facebook über Cookies (oder IP / User-Agent-Fingerabdruck etc.), dass ich das bin, der sich da GEZ-kritisch äußert. Oder sich vielleicht sogar als Whistleblower betätigt. In einer Post-Privacy-Welt, in der Datenschutz nicht mehr existiert / nur noch marginal vorhanden ist, wäre öffentlich, dass ich es bin, der sich da GEZ-kritisch äußert. Mit funktionierendem Datenschutz dagegen wüsste nichtmal Facebook, dass ich das bin (wenn ich das nicht möchte).

Beispiel B: Nehmen wir mal an, ich würde ein Profil auf einer Datingplattform für Erwachsene anlegen. In einer Post-Privacy-Welt sind ja alle Daten öffentlich, die Dating-Plattform kann also auch andere Daten abgreifen, z.B. aus anderen sozialen Netzwerken, so dass ich über E-Mail-Adresse, Cookies (oder IP / User-Agent-Fingerabdruck etc.) identifizierbar bin. Vielleicht haben auch Leute ihre Adressbücher, in denen ich stehe, hochgeladen wie bei Facebook. Oder dank der Datenoffenheit hat die Datingplattform die Liste der Leute, die ich kenne, aus anderen sozialen Netzwerken gezogen. Nun können interessante Dinge passieren. Z.B. könnten mir die Schwanzpics meiner Kollegen angezeigt werden, die auch bei der Datingplattform sind, so nach dem Motto: "Sie kennen doch auch ...". Und natürlich umgekehrt, werde ich denen angezeigt. Richtig unangenehm wird es, wenn ich z.B. katholischer Priester wäre und mein Arbeitgeber das mitbekäme.

OK, OK, eine Post-Privacy-Welt ist ja auch eine Welt ohne Diskriminierung, mit allgemein akzeptierter freier Liebe und totaler Toleranz gegenüber allen politschen Meinungen. Also ist es überhaupt kein Problem, wenn meine Kollegen und Verwandten meine Schwanzpics sehen, mein Arbeitgeber weiß, dass ich ihn scheiße finde und Whistleblowing betreibe etc. etc.

Aber ernsthaft: Eine Welt ohne Datenschutz bedeutet unter realen Bedingungen einen Verlust vieler Freiheiten. Gerade im digitalen Bereich. Denn genau das bedeutet der Rat: "Stell halt nichts online, von dem Du willst, dass niemand weiß, dass es von Dir kommt."

Wie schreibt Eric Schmidt so schön: "Wenn es irgendetwas geben sollte, von dem man nicht will, dass andere es wissen, sollte man es vielleicht besser erst gar nicht tun."