Benutzer:Michael Ebner/Professionalisierung

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Professionalisierung der Piratenpartei und die Vorstandsarbeit

Ein Beitrag zur Diskussion.


Beim Bundesparteitag in #dings wurde auffallend häufig der Professionalisierung der Piratenpartei gefordert oder im Rahmen einer Kandidatur auch zugesagt, was damit genau gemeint ist, blieb aber meist im Ungefähren.

Im eigentlichen Wortsinn würde Professionalisierung bedeuten, dass wir unsere Arbeitsweise an diejenige von Berufspolitikern anpassen - wohlgemerkt die Arbeitsweise und nicht die inhaltlichen Positionen. Aber auch dann, wenn man nur die Arbeitsweise betrachtet, lohnt sich die Frage, ob die Piraten derzeit wirklich eine Professionalisierung wollen, ob sie wirklich dazu bereit sind, und wie weit diese Professionalisierung gehen soll - an anderer Stelle kehren wir ja gerne unsere Andersartigkeit heraus.

Dieser Frage soll am Beispiel der Vorstandsarbeit auf Bundesebene nachgegangen werden.

Die derzeitige Situation der Vorstandsarbeit ist dadurch geprägt, dass die Mitglieder der Vorstände in erheblichem Umfang selbst die Arbeit machen. Das ist historisch gewachsen aus der knappen Personaldecke (die ja noch lange nicht überwunden ist), es dient zu einem nicht unerheblichen Teil auch der Motivation der Mitglieder, wenn die Vorstände mit gutem Beispiel voran gehen, aber es ist eben nicht professionell.

Arbeit, die von Mitgliedern des Bundesvorstands erledigt werden soll, wird überwiegend schlecht oder gar nicht erledigt. Das liegt nicht etwa daran, dass diese Menschen dumm, faul oder ignorant sind, ganz im Gegenteil, sondern einfach an deren Überlastung. Und es ist noch nicht einmal ein Spezifikum der Piratenpartei, man kann das auch an anderen (nicht-professionellen) Parteien beobachten.

Professionalisierung würde hier bedeuten, dass der BuVo aufhört, die Sachen selbst zu erledigen, und sich wirklich für alles Beauftragte ernennt. Beim BuVo verbliebe, was sich nun einfach mal nicht delegieren lässt:

  • Über Anträge beschließen (wobei das nach Möglichkeit schon von Beauftragten vorbereitet wird)
  • Die Vertretung nach außen im rechtlichen Sinne
  • Die Vertretung nach außen im politischen Sinne (die Presse will nun mal den Vorsitzenden und nicht nur immer den Pressesprecher)
  • Die Budgetverwaltung als Sonderaufgabe des Schatzmeisters
  • Und vor allem die Ernennung und Überwachung der Beauftragten

Alles andere gehört dann nicht mehr zu den Aufgaben des Vorstandes, und wenn die Vorstände etwas selbst machen, dann wäre das nicht ein Ausweiß von besonderem Fleiß, sondern ein Fail, für den sie sich zu rechtfertigen haben. Selbst dann, wenn sie meinen, noch Zeit und Kräfte zu haben, sollen sie ausdrücklich nicht damit beginnen, Aufgaben an sich zu ziehen, im Zweifelsfall sollen sie sich einfach erholen, damit sie beim nächsten Pressetermin einen ausgeglichenen Eindruck machen.

Weitere Gründe

Neben der Arbeitsbelastung gibt es weitere Gründe, warum Vorstände alles delegieren sollen, was sie nicht zwingend selbst erledigen müssen:

  • In Vorstände werden eher Generalisten gewählt, die meisten konkreten Aufgaben werden jedoch besser von Spezialisten ausgeführt. Bei jemand, der - willkürliches Beispiel - Beauftragter für CiviCRM ist, spielt es überhaupt keine Rolle, wie er über LiquidFeedback denkt oder zum BGE steht, es kommt auch nicht darauf an, ob er in der Öffentlichkeit einen passablen Eindruck abgibt, es wird einfach der damit beauftragt, der sich (von denjenigen, die man kriegen kann) am besten mit der Aufgabe auskennt.
  • Beauftragte lassen sich leichter auswechseln, wenn sie ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen können oder einfach keine gute Arbeit machen, bei Vorständen braucht's dafür erst einen Bundesparteitag.
  • Beauftragte skalieren besser: Nimmt die Arbeitsbelastung zu - zum Beispiel im Vorfeld bundesweiter Wahlen - so erhöht man die Zahl der Beauftragten und fährt sie später wieder zurück. Um Vorstandsgrößen zu verändern, braucht man immer gleich Satzungsänderungen.
  • Und nicht zuletzt: Vorstandsmitglieder sind bezüglich ihrer Wiederwahl auch Konkurrenten und damit immer in Versuchung, sich durch ihre Arbeit zu profilieren, woran dann andere Vorstandsmitglieder auch nicht so ganz interessiert sein können. (Ein Problem, das im jetzigen Vorstand mutmaßlich deutlich weniger auftreten wird als im alten...). Wenn dagegen Beauftragte gute Arbeit abliefern, so nutzt das nicht einzelnen Vorstandsmitgliedern, sondern dem Gesamtvorstand (und natürlich auch der Partei insgesamt), so dass es hier nicht zu einem Interessenskonflikt kommt.

(Zu diesem Thema sei auch auf https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/831.html verwiesen.)

Sind die Piraten dazu bereit?

Nun zu der Frage, ob die Piratenpartei überhaupt (schon) dazu bereit ist, eine solche Professionalisierung mitzutragen:

  • Wenn Vorstände alles delegieren, dann werden etliche Piraten ihnen recht bald den Vorwurf der Faulheit machen. Ich kann nicht abschätzen, ob es so viele Piraten sein werden, dass diese Vorstände dann keine Chancen auf Wiederwahl haben. Interessant wäre insbesondere die Konstellation, dass da nicht alle Vorstände mitziehen: Die Aufgabe der Basis wäre es dann, solche "hyperaktiven" Ausreisser nicht wiederzuwählen.
  • Derzeit ist die Tätigkeit als Beauftragter nur mäßig interessant. Um eine ausreichende Zahl an hochqualifizierten Beauftragten zu erhalten, müsste man die Position der Beauftragten attraktiver machen. Möglich wäre dies mit hohen Gestaltungsfreiräumen, schmeichelhaften Titeln und/oder vermehrten Zugang zu Informationen.
  • Wenn die Basis eine solche Professionalisierung mitträgt, dann vor allem aus der Einsicht heraus, dass wir anders über das derzeitige Niveau unserer Wahlergebnisse nicht nennenswert hinaus kommen werden. Ob diese Einsicht schon mehrheitlich vorhanden ist? Ich weiß es nicht, hoffe aber, dass dieser Text diese Einsicht eher mehrt als mindert.