Benutzer:Michael Ebner/Delegierte 1

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In einem Artikel in der Flaschenpost (http://flaschenpost.piratenpartei.de/2015/04/13/piraten-und-die-beteiligung-teil-2-netzpartei-ohne-firewall/) kritisiert Fotios Amanatides mit drastischen Worten ("hochgradig unfair, satzungswidrig, parteiengesetzwidrig und mutmaßlich grundgesetzwidrig") das derzeitige direktdemokratische Modell der Piratenpartei und wirbt mit ebenso deutlichen Worten ("unumgänglich erforderlich") für ein Delegiertensystem. Er führt natürlich auch Sachargumente an, die zu weiten Teilen auch nicht völlig unberechtigt sind, dennoch bleibt die Argumentation insgesamt fragwürdig und inkonsistent.

Der Ortsbias

Das zutreffendste Argument ist noch der Ortsbias - dass also aus der geographischen Nähe eines Parteitags mehr Teilnehmer kommen als aus weiter entfernten Orten. Wenn der Parteitag bei mir vor der Türe ist und ich keine Übernachtungskosten habe, dann komme ich eher zu einem Parteitag, als wenn er weit entfernt ist.

Die Einführung eines Delegiertensystems führt nun nicht dazu, dass mehr Piraten aus entfernten Gegenden anreisen. Ich habe in der ÖDP über 20 Jahre Erfahrung mit einem Delegiertensystem gemacht und keinen einzigen Parteitag erlebt, an dem mehr als 80% der Delegierten anwesend waren, und natürlich gab's auch dort einen deutlichen Ortsbias.

Allerdings führt das Delegiertensystem dazu, dass die Piraten aus der Nachbarschaft, die dann keine Delegierten sind, dann zwar kommen, aber nicht mitstimmen können. Das immerhin schwächt den Ortsbias ab.

Der Einkommensbias

Das Delegiertensystem führt jedoch zu einem stärker werdenden Einkommensbias, zumindest dann, wenn es so umgesetzt wird, wie argumentiert. Im Moment können auch Piraten mit geringem Einkommen zu einem Parteitag kommen. Die Anreise erfolgt dann über Bus oder Mitfahrgelegenheit, die Übernachtung bei Freunden oder Parteifreunden, in der Jugendherberge oder - sofern möglich - in der Schlafhalle. Ich habe immer wieder etliche einkommensschwache Personen auf unseren Bundesparteitagen gesehen, und in der Regel haben sie weniger als 100,- Euro dafür aufgewendet, und niemand hat es gestört.

Sollen nun die Reisekosten der Delegierten - wie vorgesehen - zu höheren Einnahmen über die Parteienfinanzierung führen, dann ist es zunächst einmal zwingend erforderlich, dass diese gespendet werden. Eine Auszahlung von Reisekosten, damit auch einkommensschwache Personen sich den Parteitag leisten können, führt nicht zu höheren staatlichen Mitteln, diese hängen nun mal an den Einnahmen und nicht an den Ausgaben.

Bei der derzeitigen innerparteilichen Aufteilung der staatlichen Mittel ist es auch keine Option, dass mindestens die Hälfte der Delegierten spendet und damit die Reisekosten der anderen Hälfte quersubventioniert - denn die Kosten fallen in voller Höhe bei der delegierenden Gliederung an, die aber nur einen kleinen Teil der staatlichen Mittel erhält. Zumal die Idee "die Hälfte wird schon zurückspenden" ein paar Mal bei Bundesparteitagen ausprobiert wurde, und die Rückspendenquote hat nie 50% erreicht.

Das ist dann der Punkt, an dem der Einkommensbias entsteht. Bei der Delegiertenwahl müssten die Kreisverbände darauf achten, nur einkommensstarke Personen zu wählen, damit nicht unbeabsichtigt Kosten für den KV durch unterbliebene Rückspenden entstehen - oder dass Delegierten dann einfach gar nicht fahren und so die so hoch beschworene demokratische Teilhabe dieses Kreisverbandes darunter leidet. Mehr noch: Piraten mit hohem Einkommen reisen im Durchschnitt teurer: Bahn oder Auto statt Bus, Hotel statt Schlafhalle, und über diesen Umweg erhöhen sie die staatlichen Mittel mehr als einkommensschwache Personen. Piraten mit geringem Einkommen zu Delegierten zu wählen wäre genaugenommen dann parteischädigend.

Natürlich darf man fordern, dass die geographische Nähe zu einem Parteitagsort einen geringeren und das Einkommen eine höheren Einfluss auf die getroffenen Entscheidungen haben soll - das ist eine politische Entscheidung. Aber das sollte man dann klar benennen und nicht so tun, als sei das eine quasi alternativlos. Und man sollte auch nicht behaupten, dass kein Aktiver ausgeschlossen wird - anders bekommt man den Ortsbias nicht weg (oder muss unrealistisch viel Geld in die Hand nehmen).

Die Sache mit der Vertretung

Ich bin nicht dezidiert ein Gegner jedes Delegiertensystems, aber ich bin klar dagegen, das klassisch über Delgierte der Untergliederungen zu organisieren, weil dies deutlich den Konformitätsdruck erhöht: Wenn ich eine konträre Meinung zur herrschenden Meinung in meiner Untergliederung habe, dann halte ich entweder brav den Mund, oder ich werde einfach nie Delegierter und andere stimmen für mich auf den Parteitagen und entscheiden konträr zu dem, wie ich entschieden hätte - Hurra, ich bin vertreten.

Wenn ich mir den Parteitag zeitlich oder finanziell nicht leisten kann, dann fällt meine Stimme wenigstens nur ersatzlos weg, aber es nutzt keiner mein Stimmgewicht, um für das Gegenteil zu stimmen. Abgesehen davon, dass diese Art von Vertretung mir wenig erstrebenswert erscheint, führt das einfach zu Duckmäusertum gegenüber der herrschenden oder auch nur gefühlten Mehrheitsmeinung (man google "Schweigespirale"...) - oder aber zu massenhaften Wechseln der Untergliederungen, als ob die GenSeks nicht bereits genug "Spaß" haben.

Kurz: Ich bin mit diesem Vorschlag und seiner Begründung nicht glücklich.