Benutzer:Bzapf/Hessenbildung/Kommentar-2

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Liebe Piratenpartei,

gestern hast Du mir mitgeteilt, dass meine Mail "[X] Bildung 1&2" zu polemisch und sarkastisch geraten sei. Ich denke auch, dass man kleine Parteien, die später einmal ganz groß werden wollen, erst einmal Ernst nehmen sollte, und versuche daher, diese Mail etwas zu dämpfen.

Was mir zwischendurch noch eingefallen ist: Der Hagen hat mal davon gesprochen, dass Schule "begrenzt" werden müsse. Ich fand die Wortwahl toll. Recht hat er. Aber Schule ist ja erstmal noch nicht Thema.

Wenn Du denkst, dass ich mich nicht umstimmen ließe, tut mir das sehr leid, aber ich muss ehrlich sagen: so richtig versucht hast Du es noch nicht. Gewiß, Du kannst jede Menge sozialen Druck aufbauen und Leute so richtig ärgern. Das kenn ich von der Uni, übrigens. Argumente kommen von Dir aber ziemlich selten - anders in der Uni. Da hab ich neulich mit so einer alten, würdevollen Dame, ich glaube, sie ist Kunsthistorikerin oder sowas, gesprochen, die mir und ein paar anderen ganz aufrichtig und ehrlich und ohne jeden Sarkasmus erklärt hat, warum die bunte "Illumination" des Neubaus auf den Lahnbergen kein Kostenfaktor sein wird. Wegen LED's nämlich. Die sparen Strom. Die sind krass, diese Wissenschaftler. Sag, was Du willst: Unis machen etwas richtig, was Parteien und Schulen irgendwie versemmeln. Aber darum geht es ja hier auch nicht. Es geht, wie neulich auch schon, um Dein Programm. Fangen wir also an.

Frühkindliche Sozialisation

Das ärgert mich. Immer, wenn Du für denselben Begriff ein anderes Wort verwendest, denke ich, Du willst mich betrügen. Ich denke ehrlichgesagt auch, dass unsere Leute schlau genug sind, selber zu wissen, wie sie ihre Kinder notfalls "Sozialisieren". Deswegen ist es nicht verkehrt, ihnen zu sagen, wie sie das tun sollen. Es ist bloß ein bißchen Gefährlich: man tappt leicht in die Falle, so etwas zu ideologisieren. Aber genaugenommen ist das ja eine Unterstellung. Schauen wir uns mal an, was Du geschrieben hast.

Mir fällt bei dieser Debatte auch immer so ein Spruch von Thoreau ein. Aber ich komm grad nicht drauf.

Kinder und Jugendliche erschließen sich die Welt durch Neugierde.

Ja.

Sie benötigen dafür eine altersgerechte Beziehung in Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsverhältnissen.

Und schon durcheinander. "eine altersgerechte Beziehung"? "Man braucht ein ganzes Dorf, ein Kind großzuziehen" lautet angeblich ein afrikanisches Sprichwort. Kinder brauchen ganz viele Beziehungen, und wenn die nicht altersgerecht sind, ist das auch nicht gut, insofern hast Du recht - bis auf das "eine".

"dafür" ist auch ein bißchen unklar: die Neugier haben Kinder schon. Sie benötigen dafür nichts. Man kann die Neugier fördern oder ihre Befriedigung unterstützen. Ich glaube, das sollte man sogar.

Ich halte es auch wieder für ein bißchen unfair, dass Du hier so einfach dahinsagst: "Kinder brauchen X. X geht nur mit Y." Das klingt mir alles ein bißchen nach dem mürrischen, garstigen Tonfall eines mir wohl bekannten Piraten. Formulier das mal ein bißchen um, dann können wir alle besser miteinander leben.

Dafür müssen sie in einer geeigneten Umgebung gefördert werden.

Müssen, sollen... Kennen wir alles, ja. Wieder dasselbe: "in einer geeigneten Umgebung"? Ich würde es so sagen: Wenn die "Förderung" sich darauf beschränkt, in *einer* Umgebung stattzufinden, läuft etwas schief.

Besondere Bedeutung kommt im Entwicklungsprozess dem Spiel zu, da das Spiel Grundlage allen selbstmotivierten Lernens und eines gesunden Selbstwertgefühls ist.

Wie wahr. Welche Spiele magst Du, liebe Piratenpartei? Poker und Monopoly am liebsten, nehme ich an? Ich hab früher ganz gern Skat gespielt und Schach auch mal. Spielst Du auch Musik?

"gesundes Selbstwertgefühl"... Da kommen mir wieder Zweifel. So wie ich Dein Programm kenne, hat das was mit "gesellschaftlichem Wert" zu tun. Bitte hör auf, Menschen zu bewerten.

Wieder bist Du so total: Ohne Spiel kein selbstmotiviertes Lernen. Stimmt natürlich, für gewisse Definitionen von "Spiel". Wenn Du so speziell wirst, solltest Du das Wort "Spiel" definieren. Formulier doch einfach ein bißchen behutsamer.

Kinder brauchen in dieser Zeit vor allem sinnliche Erfahrungs- und Bewegungswelten, Zeit für unmittelbare Erlebnisse, aufrichtige Zuwendung und ein Gefühl der Zugehörigkeit, um sich bestmöglich entwickeln zu können.

Ja, das "Gefühl der Zugehörigkeit". Das scheint dir wichtig zu sein. Ich sag's mal so: Wenn das trotz aller Bemühungen nicht entsteht, haben die "Betreuer" und "Erzieher" verkackt. Dass das so ist, sollte denen klar sein. Aber deswegen zu fordern, dass sie es erzeugen sollen - da liegt nur Unheil drin.

Im übrigen kannst Du bei der "Zuwendung" gleich was zur Begrenzung einfügen. Danke.

Erziehungsmaßnahmen und -stile müssen sich an den Bedürfnissen des Kindes orientieren und das Kind im Sinne einer ganzheitlichen Entwicklung fördern.

Da dieser Satz keinen wahrnehmbaren Inhalt hat, gehe ich davon aus, dass er überflüssig ist.

Woran, bitte, sollten sich Versuche, Kinder zu "erziehen", orientieren, als an deren Bedürfnissen? In der zweiten Satzhälfte schränkst Du das dann ein: der einzige Sinn ist die "ganzheitliche Entwicklung". Da mir noch kein Pädagoge wirklich erklären konnte, was das bedeuten soll, ausser "anders als die meisten es machen" [1], würde ich diesen Satz umformulieren wollen.

Alle Entwicklungsbereiche (geistige, körperliche, emotional-sinnliche, ästhetisch-kulturelle etc.) müssen gleichermaßen altersgerecht und situationsspezifisch gefördert werden.

Müssen, müssen... Da bist Du jetzt irgendwie gestolpert: Im Grunde reden wir hier fast nur von Prozessen, die in den Gehirnen der Kinder ablaufen. Ich würde diese erst einmal "geistig" nennen. Ich glaube, man kann das erste "geistig" ersetzen durch "kognitiv"?

Ausserdem hast Du Dich verhaspelt: dass alles, was da passiert, "altersgerecht" sein muss, hatten wir schon. Ich formuliere den Satz mal ein bißchen um. Ich hoffe, Du bist mir nicht böse.

Dies schließt soziales Leben in Gruppen und die Integration von Kindern in besonderen Lebenslagen und aus verschiedenen Lebenswelten ausdrücklich ein.

Hmm. Also, hier meinst Du, dass Kindergärten so funktionieren, dass man dort in einer Gruppe lebt, und diese Form als vorbildlich kennzeichnet? Das weiß ich doch, aber es ist verdruckst formuliert.

Das pädagogische Personal ist Betreuer, Erzieher und Vorbild zugleich und muss für diese Aufgaben und Rollen qualitativ hochwertig ausgebildet werden.

Pfui. Bevor ich in ein Parteiprogramm schreibe, welcher Pfosten "ein Vorbild ist" (für wen? für ALLE? willst Du das echt schreiben?), muss schon noch etwas passieren. "Pädagogisches Personal"... Die werden sich bedanken. Nicht.

Also: formulieren wir das um, ok? "qualitativ Hochwertig" [2] ist gelaber... wie denn sonst...?

Die Piraten lehnen deshalb die geplante Verkürzung der Erzieher-Ausbildung ab.

Ähh. Jein. Ehrlichgesagt ist mir Wurst, wann sich diese Vögel als "ausgebildet" betrachten. Erfahrungsgemäß kommt da relativ wenig bei heraus. Die könnten es also auch gleich lassen. Aber wenn sie unbedingt Formulare und Stempel brauchen, nur zu. Warum wir jetzt sagen sollen, wie die Fristen für diese Stempelchen sind, leuchtet mir nicht ein... Wenn Du magst, nur zu, ich halt's für fraglich.

Wir wünschen uns eine Vielfalt von Einrichtungsformen und pädagogischen Konzepten, da diese zur Auseinandersetzung anregen und Kindern wie Eltern unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten eröffnen.

Ich musste lachen, als ich das gelesen habe. Wenn man das Ernst nimmt, könnte man auch sagen, dass die Piratenpartei zur Auseinandersetzung anregen sollte. Was ich in der letzten Woche von Dir gehört habe, spricht dem Hohn. Vielleicht fässt Du Dir erstmal an die eigene Nase?

"unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten" - ich seh's kommen: "Wir bieten ihnen an, für Ihr Kind einen Platz am Otto-Hahn-Kindergarten in der Elbestraße 9 zu reservieren. Wenn sie diesen nicht wahrnehmen, müssen wir sie leider vier mal im Jahr persönlich zur gesetzlich vorgeschriebenen Gesundheitsprüfung einladen."

Die meisten Menschen haben nicht einmal eine einzige Alternative. Da ist die Forderung nach "unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten" natürlich revolutionär. Ich bezweifele, dass Du das ernst meinst. Aber, gut, lassen wir es stehen.

Um eine konstruktive Erziehungsunterstützung zu gewährleisten, müssen alle Beteiligten eng zusammenarbeiten.

Das ist wieder bizarr. "Enge Zusammenarbeit", man kennt es. Da klingeln dann früh morgens irgendwelche Uniformierten und bieten einem persönlich eine Alternative an. Müssen, müssen, müssen. SOLLEN. Konstruktive Erziehungsunterstützung, was ist das denn bitte? In der Wikipedia steht das nicht, ich weiß nicht, was es ist.

Hierfür hat der Staat die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen und für kostenfreie Zugänge zu sorgen.

Aber hallo.

Jedes Kind soll mit Abschluss des Mutterschutzes das Recht auf kostenlose qualifizierte frühkindliche Betreuung haben.

Das Recht, wohlgemerkt, nicht die Pflicht!

Das Land muss verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass für jedes Kind ein Betreuungsplatz in direktem Wohnumfeld zur Verfügung steht.

Ja. Ich bin versucht, hier "ganztägig" einzusetzen - immerhin haben Schichtarbeiter auch Kinder.

Hat da jemand geraunt? Oh, die Damen und Herren Kindergärtner. Wie? Sie wollen nicht nachts arbeiten? Man müsse auch mal Feierabend machen? Na klar müssen Sie. Denken sie über folgendes nach: erstens brauchen wir für dieses Modell viel mehr Kindergärtner. Zweitens wird ein großer Teil der lieben Kleinen ohnehin später, wie ihre Eltern, in Schichtarbeit gezwängt werden. Was wollen sie im übrigen machen, wenn jemand aus ganz anderen Gründen nicht jeden Tag um 8 auf der Matte stehen will? Wie, der macht sich verdächtig? Oh, das wusste ich. Fragen Sie sich doch einmal, ob sie die Kinder zu gnadenloser Pünktlichkeit dressieren wollen, oder ob das vielleicht auch ein Spielraum für Erziehung sein könnte.

"in direktem Wohnumfeld"? "Im direkten Wohnumfeld", würde ich sagen.

Ab dem dritten Lebensjahr des Kindes soll den Eltern ein Kindergartenplatz aktiv angeboten werden.

Äh. Werbung für Kindergärten? Machst Du doch schon genug. Wie gesagt: das Unterschied zwischen "Angebot" und "Pflicht" ist die Freiwilligkeit. Also, nein, keine Kindergartenpflicht. Ich gehe mal davon aus, dass dieses "aktive Angebot" meine Grundrechte wahrt. Dann ist alles ok.

Darüber hinaus setzen wir uns dafür ein, dass das Land Anreize schafft, die den Kindergartenbesuch für Eltern und Kinder attraktiv machen und für seine  Vorteile wirbt.

Tut es nicht? Klang neulich noch so. Schön, dass Du "auf Linie" bist.

Negative Anreize wie ein Erziehungsgeld lehnt die Piratenpartei Hessen ab.

Äh ja. Reingeschmuggelt würd ich das nennen. Hat scheints kaum einer gemerkt in Gernsheim. Wie wär's gewesen, das allein zur Abstimmung zu stellen? Ach, da wäre es ja zu einer Diskussion gekommen. Sowas wollen wir ja nicht mehr sehen auf dem Parteitag. Einfach alles als Block einreichen, merkt schon keiner. Sind sich ja alle einig.

"Negative Anreize" halt ich hier für Falsch: Es verleiht dieser durch und durch politischen Forderung einen falschen Anschein von "Wissenschaftlichkeit" oder "Autorität durch Expertise" [3].

So, sind wir fertig mit diesem Absatz. Formulierung: 3- würd ich sagen. Lobbyismus: 1. Sind in Deinem AK Bildung ein paar Kindergärtner aktiv gewesen? Merkt man. Können sie ja machen...

Tut's weh? Na klar. Lang kein Grund, zu jammern. Ups, jetzt ist das Pad ganz schön grün geworden. Ich hab mal einen Satz unterstrichen, den ich für tatsächlich Diskussionswürdig halte. Das restliche Geblubber kann gern so bleiben. Apropos geblubber: Den totalen Kant les ich hier nur noch in Spuren. So wie Du das siehst, ist "frühkindliche Bildung" meistenteils Kindergarten. Da läuft zwar nicht ganz so viel schief wie an den Schulen, aber das Modell als das beste Ding seit geschnitten Brot zu verkaufen, scheint ein bißchen übermäßig. Schonmal von "Free Range Kids" gehört, liebe Piratenpartei? Ach was, ist ja alles Kappes, hauptsache Betreut, Erzogen und mit Vorbildern beimpft... Apropos Impfung, hast Du mal über eine Impfpflicht nachgedacht? Wahrscheinlich die einzige sinnvolle Maßnahme, die das Gesundheitssystem noch verbessern könnte im Sinne der Überlebensquote. Die zu diskutierende Frage ist, ob wir als Partei das überhaupt wollen, aber dieses Faß möchte ich nicht hier und jetzt aufmachen.

Naja, wieder mal ein Pad geworden:

http://piratenpad.de/xu915Ay7fO

So ist's Recht.

War das jetzt wieder sarkastisch und polemisch? Ich glaube, weniger. Sag's mir...

[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Ganzheitlichkeit_%28P%C3%A4dagogik%29 [2] http://www.amazon.de/Zen-die-Kunst-Motorrad-warten/dp/3596220203 [3] http://www.alfiekohn.org/books/pbr.htm