Antrag:Bundesparteitag 2016.2/Antragsportal/RA001

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Tango-preferences-system.svg Dies ist ein Antrag für den Bundesparteitag 2016.2. Das Sammeln und Diskutieren von Argumenten für und gegen den Antrag ist auf der Diskussionsseite möglich

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Tango-dialog-warning.svg Dieser Text ist (noch) keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland, sondern ein an den Bundesparteitag eingereichter Antrag.

Antragsübersicht

Antragsnummer RA001
Einreichungsdatum
Antragsteller

Nick Haflinger

Mitantragsteller
  • Pakki
  • Rainer Thiem
  • Willi Hempelmann
  • Arne Pfeilsticker
Antragstyp Rootantrag
Antragsgruppe Keine der Gruppen
Zusammenfassung des Antrags Text eines politischen Manifestes als Vorschlag für die Piratenpartei
Schlagworte Manifest, Netzpolitik
Datum der letzten Änderung 29.08.2016
Status des Antrags

Pictogram voting keep-light-green.svg Geprüft

Abstimmungsergebnis

Pictogram voting keep-light-green.svg Angenommen

Antragstitel

Netzpolitisches Manifest für das Informationszeitalter

Antragstext

Link zum aktuellen pdf: http://wiki.piratenpartei.de/wiki/images/3/32/MF_Netzpolitik_v01.pdf


Netzpolitisches Manifest für das Informationszeitalter

Zitat

„Cryptography is not the real fight. All of the stuff that I've been talking about today, all of that tools that I want you to go used to make yourself private, no, that's not the real fight. Not being surveilled is not the real fight. The existencial threats to the human race are things like climate change, the refugee crisis, the growth inequities between the poor and the rich, growth inequality based on gender, racial identity and ethnic identity, those are real problems, but we will win or loose every one of those fights on the internet, and we will only win them if we have a free, fair and open Internet.“[i]

Cory Doctorow, republica 2015

Übers., J. Paul: „Verschlüsselung ist nicht der wirkliche Kampf. Alles das Zeugs, von dem ich euch heute erzählt habe, alle die Werkzeuge, von denen ich möchte, dass ihr sie benutzt, um eure Privatsphäre zu schützen, nein, das ist nicht der wirkliche Kampf. Nicht überwacht werden ist nicht der wirkliche Kampf. Die existenziellen Herausforderungen für die menschliche Rasse, das sind Dinge wie der Klimawandel, die Flüchtlingskrise, die wachsende Ungleichheit zwischen den Armen und den Reichen, die wachsenden Ungleichheiten, basierend auf Geschlecht, rassischer oder ethnischer Identität, das sind wirkliche Probleme. Aber wir werden jeden dieser Kämpfe im Internet gewinnen oder verlieren, und wir werden sie nur gewinnen, wenn wir ein freies, faires und offenes Internet haben.“

Vorbemerkung

Diese Bemerkung des kanadischen SF-Autors Cory Doctorow – gegen Ende seines Beitrags auf der Republica 2015 mündlich vorgetragen – ist ohne Zweifel eine Provokation. Erst erklärt Doctorow, dass Verschlüsselung und Privatsphäre nicht der wirkliche Kampf seien und nennt stattdessen eine knappe Auflistung der aktuellen existenziellen globalen Probleme, um dann wieder auf das offene und freie Internet als wesentliches Instrument zur Erlangung diverser Ziele und Problemlösungen zurückzukommen.

Eine Provokation deshalb, weil hier das Dilemma aller an „Netzpolitik“ interessierten Communities, Echo Chambers und sonstiger fragmentierter Gruppierungen adressiert ist.

Doctorow wendet sich damit explizit gegen eine internetzentristische Weltsicht, so wie sie von vielen netzaffinen Individuen gepflegt wird, die bisweilen die Wirklichkeit sogar in zwei räumliche Kategorien unterteilen, in Meatspace und Cyberspace.

Dass eine solche Trennung nicht zielführend ist, belegen die Entwicklungen um das sogenannte „Internet of Things“ so wie um die sogenannte „Augmented Reality“, die anschaulich zeigen, dass der Netzaspekt nunmehr alle Bereiche und Räume der Gesellschaften und ihrer Individuen durchdringt.[ii,iii] Dies kann auch als wesentliches Kennzeichen des Übergangs vom Industriezeitalter in ein Informationszeitalter gesehen werden.

Im Gegenzug instrumentalisierten multinationale Unternehmen und Nationalstaaten das Netz für eigene, zum Teil zweifelhafte Zwecke. 20 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung ist es definitiv vorbei mit dem Märchen von der Unabhängigkeit des Cyberspace.[iv] Die Durchdringung ist beidseitig und unauflöslich.

Wie weit sollte daher insbesondere der Begriff Netzpolitik gefasst werden? Welche Weite ist hier sinnvoll und förderlich – zum einen für das politische Bewusstsein und Erkenntnisinteresse von Gruppierungen und Individuen, zum anderen für den Möglichkeitsraum des praktischen politischen Handelns? Für das Organisieren politischer Mehrheiten?

Netzpolitik muss in größere Kontexte gestellt werden. Es gilt, sie an gesellschaftliche und politische Problemfelder anzuschließen, um zu zeigen, dass der Begriff über technologische Fragestellungen und solche eines „Cyberspace“ nicht einfach nur deutlich hinausweist, sondern ganz existentielle Fragen unseres Menschseins, unserer Identitäten als Individuen und Gruppen von Individuen berührt. Es geht um unser Verhältnis zueinander und zu unserer Technik, und um unser Verhältnis zu uns selbst.

1. Einleitung

Ein Gespenst geht um in der Welt – die Hoffnung auf eine freie, durch Teilhabe bestimmte egalitäre, Ressourcen schonende, nachhaltige Weltgesellschaft mit sicherer wirtschaftlicher Existenz und mit freiem Zugang zu kulturellen und Bildungsressourcen, mit freien Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Menschen. Seit Beginn der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts hat diese alte Hoffnung durch die rasante Entwicklung des weltumspannenden elektromagnetischen Feldes Internet als technisch dezentral konzipiertes Medien- und Kommunikationssystem neue Kraft gewonnen.

Alle alten Mächte der auf dem Energie- und Rohstoffregime basierenden globalisierten Industriegesellschaft haben sich – so kann es scheinen - zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet, die um ihre Exportüberschüsse und teilweise sogar um ihre nationalstaatliche Verfasstheit bangenden westlichen Industrienationen, die auf Bedrohungen mit massiver Überwachung und Gängelung ihrer freien Bürger reagieren, neoliberale Denktanks und -kollektive, die auf zunehmende Ungleichheit der Kapitalverteilung und der Produktionsvermögen sowie auf das Brot-und-Spiele-Prinzip und die Verteilung von Almosen durch die vermögenden Hände, auf steuerbefreites Stiften statt gerechtes Verteilen der Produktivitätsgewinne setzen, Monopole anstrebende global agierende Unternehmen und Investoren.

Des weiteren Blut-und-Boden-Gläubige, die das Fremde zum Zweck des Gewinnens politischer Mehrheiten als Angst Machendes instrumentalisieren, religiös, ethnisch oder ideologisch motivierte Fundamentalisten und Fanatiker, die die Welt in die dunkle Variante des Mittelalters zurückmorden, die das Zusammenleben der Menschen unter jeweils ein einziges herrschendes Prinzip subsummiert sehen wollen.

2. Zur Lage der Menschen im 21. Jahrhundert, eine Bestandsaufnahme [v]

Beginnend mit dem Ende des zweiten Weltkriegs sieht sich die Welt einer weiteren technologischen Revolution unterworfen, die in den 80er- und 90er-Jahren des 20sten Jahrhunderts erst richtig Fahrt aufnahm. Nach der industriellen Revolution des 18ten und 19ten Jahrhunderts, in deren Mittelpunkt die maschinelle Ersetzung von tierischer und menschlicher Muskelkraft sowie die Maschinisierung der Produktion von materiellen Gütern stand, begann eine neue technologische Revolution, in deren Zentrum die Informationstechnologien stehen, die materielle Basis der Gesellschaften in globaler Dimension umzuformen. Alle Volkswirtschaften der Welt sind heute abhängig voneinander. Diese Abhängigkeiten sind umfassend und global. Dies führte zu einer veränderten Form der Beziehungen zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Das letzte Fünftel des 20. Jahrhunderts sieht den Zusammenbruch des sowjetischen Etatismus und seiner Zwangskollektivierung und des Warschauer Paktes sowie das Ende der internationalen kommunistischen Bewegung. Dem historischen Gegenpart zum Kapitalismus ist vorläufig die Grundlage entzogen, nahezu überall auf der Welt ringt die politische Linke um Neuorientierungen und Einfluss. Parallel hat der Kapitalismus einen Prozess grundlegender Neustrukturierung durchgemacht, die sich kennzeichnet durch eine höhere Flexibilität des Managements, durch Etablierung dezentraler, netzwerkartiger Strukturen auch innerhalb von Unternehmen sowie zwischen Unternehmen. Damit einher ging ein beträchtlicher Machtzuwachs des Kapitals gegenüber den Anbietern von Arbeitskraft, eine fortschreitende Entmachtung gewerkschaftlicher Strukturen sowie eine Individualisierung und Diversifizierung der Arbeitsbeziehungen, die massenhafte Einbeziehung von Frauen in bezahlte Arbeitsverhältnisse, in der Regel jedoch unter diskriminierenden Bedingungen. Der globale Zuwachs der Macht des Kapitals hatte weitere Ursachen in staatlichen Interventionen zur selektiven Deregulierung der Märkte, durch Abbau des Wohlfahrtsstaats, insbesondere der Sozialleistungen – je nach Staat, seinem Institutionsgefüge und seiner Natur der jeweils in Regierungsverantwortung stehenden politischen Kräfte -, durch verstärkten und zunehmenden globalökonomischen Wettbewerb je zwischen Konzernen um Marktanteile und zwischen Staaten um Exportbilanzen, und durch geografische und kulturelle Ausdifferenzierung der Rahmenbedingungen für die Kapitalakkumulation und für das Management. Für abhängig Beschäftigte, viele Kleinunternehmen und Freiberufler ergab sich in vielen Industriegesellschaften ein zunehmender Druck auf die Löhne und Honorare, gepaart mit Verlängerungen der Wochen- und Lebensarbeitszeiten. Arbeit wird bis hin zur Unerträglichkeit verdichtet. Fernab selbstbestimmter Sinnstiftung geraten die beruflichen Tätigkeiten nicht selten zum wirtschaftlichen Existenzkampf. Ein gefährlicher Effekt dieser Entwicklung ist die reduzierte, für gesellschaftliche Teilhabe, für Tätigkeiten am Gemeinwohl, für ehrenamtliches und politisches Engagement zur Verfügung stehende Zeit. Demgegenüber herrschen in den neuen Industrierevieren der materiellen Produktion der ehemaligen Kolonien in der dritten Welt Arbeitsbedingungen wie im Frühkapitalismus zur Zeit des Aufkommens der ersten industriellen Revolution. Ungleichheit ist nicht mehr nur eine Sache von Arm und Reich, sie wächst auch – als Detroit-isierung - zwischen den Zonen, in denen investiert wird, und dem umgebenden „sozialen Brachland“.[vi] Der umsichgreifende Verfall der Verkehrs- und Gebäudeinfrastruktur in weiten Teilen auch der wohlhabenderen Industriegesellschaften ist eine Folge dieser Entwicklung. Infolge der wachsenden Kapitalmacht entwickelte sich eine globale Integration der Finanzmärkte, der Aufstieg der asiatischen Pazifikregion zum führenden globalen Industriezentrum (materielle Produktion), die mühsame wirtschaftliche Einigung Europas unter Abgabe nationalstaatlicher Souveränität in der Währungspolitik (Eurozone), die Schaffung einer nordamerikanischen Regionalwirtschaft (NAFTA), die Ausdifferenzierung mit anschließender Desintegration der ehemaligen dritten Welt, die Umwandlung Russlands und des vormaligen sowjetischen Einflussbereichs zu teilweise von Oligarchen beherrschten Marktwirtschaften sowie die Integration der wertvollen, bzw. kapitalintensiven Teilbereiche der Volkswirtschaften der ganzen Welt in ein hoch interdependentes in Echtzeit operierendes System. Eine weitere Folge dieser Entwicklungen war eine Verschärfung der Ungleichmäßigkeit in den Geschwindigkeiten und den Entwicklungsprozessen nicht nur zwischen Nord und Süd sondern auch zwischen den hochdynamischen Teilen und Territorien in den Gesellschaften und solchen Teilen, die diese Dynamik nicht zeigen. Die globale Ungleichheit wuchs, und ebenso die Ungleichheiten innerhalb der Volkswirtschaften. Das birgt die Gefahr, dass ganze Systemteile und geografische Territorien für die Funktion des Gesamtsystems irrelevant werden. Auf der einen Seite entwickelt die Informationsrevolution gewaltige Produktivkräfte, auf der anderen Seite konsolidieren sich Zonen des menschlichen Elends innerhalb der globalen Wirtschaft – und das überall in der Welt. Ausgestattet mit den technologischen Mitteln der Informationsrevolution entwickeln parallel dazu kriminelle Aktivitäten und mafiaartige Organisationen globalen Charakter und traurige globale Relevanz, sei es im internationalen Drogenhandel, im Waffenhandel oder im Handel mit menschlichem Fleisch. Ebenso integriert das neue Kommunikationssystem auf globaler Ebene die Produktion von Wörtern, Tönen und Bildern zu universalen digitalen Codes [vii] und passt die Töne, Bilder und Texte zugleich individuellen Geschmacksrichtungen und Gemütslagen an. Die Zahl der interaktiven Computernetzwerke nimmt exponentiell zu. Diese schaffen neue Formen und neue Kanäle der Kommunikation, formen das Leben der Menschen und werden zugleich durch das Leben geformt.[viii] Der soziale Wandel steht dabei der Dramatik und dem Tempo der technologischen und wirtschaftlichen Transformationsprozesse in nichts nach. Die Lage der Frauen durchläuft einen Veränderungsprozess. Ungeachtet aller Schwierigkeiten, die diesem Prozess anhaften, ist der Patriarchalismus ernsthaft angegriffen und zumindest in den westlichen Industrienationen erheblich erschüttert. Infolgedessen sind die Geschlechterbeziehungen in einem großen Teil der Welt zu einem umstrittenen Bereich geworden. Daraus ergibt sich eine grundlegende Neudefinition der Beziehungen zwischen Frauen, Männern und Kindern, bzw. der Familie, der Sexualität und der Persönlichkeit. Das Umweltbewusstsein hat globale Relevanz gewonnen und ist bis in die Institutionen der Gesellschaften vorgedrungen. Seine Werte besitzen nunmehr eine breite politische Anziehungskraft, die allerdings in der täglichen Praxis auch der Gefahr ausgesetzt sind, von Großunternehmen und staatlichen Verwaltungen für kurzfristige monetäre Vorteile verraten und manipuliert zu werden. Nahezu alle politischen Systeme werden regelmäßig von Skandalen erschüttert und stecken in einer strukturellen Legitimitätskrise. Sie sind abhängig von den in den Gesellschaften jeweils vorherrschenden Systemen der Medienberichterstattung sowie personalisierten Führungsformen in Politik und Mediensystemen. Im Zusammenwirken mit einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft und der Dominanz ökonomischer Zwänge über die Möglichkeiten des politischen Mitbestimmens führt dies zu einer wachsenden Entfernung der politischen Sphären und Entscheidungsräume von den Bürgern. Politik wird als etwas von Bürgerinnen und Bürgern Isoliertes erlebt. Soziale Bewegungen weisen zunehmend die Eigenschaften der Zersplitterung auf. Sie sind oft entweder geografisch lokal fixiert, odern zu sehr oder gar ausschließlich an Einzelfragen ausgerichtet und kurzlebig. Sie leben in ihren eigenen Sphären, Filter-Bubbles oder Echokammern und brechen oft nur für einen kurzen Moment um ein medienwirksames Symbol oder einen Event hervor in eine breitere gesellschaftliche Wahrnehmung. Und es bilden sich – beschleunigt und befördert durch die Möglichkeiten des Internet - Gegenöffentlichkeiten, die nicht nur mit der Mehrheitsgesellschaft nicht mehr demokratisch anschlussfähig sind, sondern diese zum Teil gar nicht wollen, die Mehrheitsgesellschaft sogar aktiv in Frage stellen. In einer Zeit zunehmender Verunsicherung wird die Suche nach einer das Gefühl der Sicherheit stiftenden persönlichen Identität und des individuellen Zugehörigkeitsgefühls zu Gruppen oder Kollektiven zu einer zentralen Frage der Sinnstiftung. Religiöse oder ethnische Identität – die sich meist durch Geburt ergebenden Bindungen – waren in der Geschichte seit jeher für die menschliche Gesellschaft eine der Wurzeln von Sinn. Sie sind qua Geburt jedoch keine Sache der Wahl oder der individuellen Freiheit. Religiöse Fundamentalismen - christlich, islamisch, jüdisch, hinduistisch - entwickeln in vielen Teilen der Welt eine neue gefährliche Anziehungskraft und eine kollektive Mobilisierung, die in diesen verunsichernden Umgebungen der Entstrukturierung von Staaten und Organisationen, des Absterbens sozialer Bewegungen, persönliche Sicherheit und Identität zu vermitteln scheint. Aus diesen durch Verunsicherung hervorgerufenen rückwärts gewandten, jeweils andere oder multiple Suchen nach Identifikation ausschließenden Identitätssuchen in den Domänen der althergebrachten territorialen, religiösen oder ethnischen Kontexte erwächst die Gefahr der Abgrenzung, die Gefahr neuer Fundamentalismen, erwächst eine neue Gefahr für die Errungenschaften der Aufklärung, eine neue Gefahr für Freiheit und Demokratie. Gleichzeitig fördert die zunehmende Verunsicherung politische Konservatismen und den Glauben an einfach zu treffende Lösungen – das Tempo der technologischen Revolution und der Zeit und Muße benötigende Bedarf, Veränderungen konsequent zu reflektieren und zu durchdenken, können gegensätzlicher nicht sein. So werden – durch Verunsicherung - viele Menschen leichter verführbar, sie organisieren und orientieren Sinn immer weniger an dem, was sie tun, sondern vielmehr auf der Grundlage dessen, was sie sind oder zu sein glauben, ein fruchtbarer Boden für politischen Populismus und Extremismus. Hieraus folgt ein tiefer Riss zwischen einem abstrakten universalen, technologisch getriebenen Instrumentalismus und historisch verwurzelten partikularen Identitäten. „Unsere Gesellschaften sind immer mehr um den bipolaren Gegensatz zwischen dem Netz und dem Ich herum strukturiert.“[ix] Manuel Castells nannte das eine strukturelle Schizophrenie zwischen Funktion und Sinn, die einen zunehmenden Druck auf die gesellschaftliche Kommunikation ausübt. Ein Zusammenbrechen dieser Kommunikation produziert Entfremdung zwischen Gruppen und Individuen, eine soziale Fragmentierung durch das immer enger Fassen von Identitäten, so dass es in der Folge immer schwieriger wird, gemeinsame übergeordnete Interessen von Gruppen zu finden. Die Rahmenbedingungen für das Zustandekommen von Gruppen und politischen Bewegungen, für das Hervorbringen gemeinsamer Interessen und Ideen, die eine relevante politische oder gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten können, gestalten sich daher zunehmend schwieriger. Jacques Attali mahnte schon in den 90ern des vorigen Jahrhunderts die Notwendigkeit an, Spielregeln für eine – wie er es benannte - multidimensionale Demokratie zu entwickeln sowie die Fähigkeit, Multidimensionalität, das gleichzeitige Zugehören des Individuums zu unterschiedlichen Gruppierungen managen und aushalten zu können.[x] Zur Zeit scheint es fraglich, wer in der Lage ist, derartige Regeln festzulegen, die sich im Defensivmodus auf dem Rückzug befindlichen Nationalstaaten und Staatenbünde oder global operierende Privatunternehmen. Die Umfassendheit und Allgegenwart der neuen technologischen Revolution und der damit verbundenen wirtschaftlichen und technologischen Transformationsprozesse sowie die gesellschaftlichen Veränderungen historischer Ausmaße verunsichern. Fundamentalistische Rückzüge in monokontexturale Identitätssuchen als schlimmste Folge dieser Verunsicherung sind jedoch nicht das einzige gesellschaftliche Phänomen. Vorwiegend in den westlichen Industrienationen existieren auch Bewegungen kultur-pessimistischer Technologieskeptiker bis hin zu fundamentalistischen Technikverweigerern. Auf der anderen Seite predigen Technologiegläubige ein neues Zeitalter voller strahlender Möglichkeiten und extrapolieren dabei die kaum verstandene Logik von Computern und der Erbsubstanz DNA auf gesellschaftliche Entwicklungen und Formen der Organisation. Hinter all diesen Phänomenen „versteckt sich“ – nach Castells - „die Hinnahme einer vollständigen Individualisierung des Verhaltens und der Machtlosigkeit der Gesellschaft gegenüber ihrem eigenen Schicksal.“[xi] Politiker fast jedweder Farbe feiern das sogenannte StartUp, die „Garagenfirma“ des „unternehmerischen Selbst“, wie Foucault es kritisch ausdrückte [xii], als Fanal der neuen Zeit des Informationsregimes für Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum. Demgegenüber wendet sich die Logik der Investoren und des Kapitals ausschließlich dem augenblicklich Vielversprechendsten – dem kurzfristigen Interesse der Shareholders – zu, gepaart mit dem fast religiösen Glauben an einen Solutionismus [xiii], der versucht, vielfältigste gesellschaftliche Probleme auf algorithmische Lösungen zu reduzieren. Der Markt, hier der Markt der Algorithmen, wird schon das Beste für uns hervorbringen. Jenseits davon drängt sich in ökonomischen, ökologischen und soziologischen Zusammenhängen die Frage nach der Art und Ausrichtung des Wachstums auf, die Frage nach dem, was nachhaltig machbar und qualitativ sinnvoll ist.


3. Zukunft denken

Für überzeugte Demokraten, für Diejenigen, die bewusst „gegen den Strom der Zerstörung“ [xiv] schwimmen wollen, die für die eingangs genannte Hoffnung auf eine freie, durch Teilhabe bestimmte egalitäre und Ressourcen schonende, nachhaltige Weltgesellschaft mit sicherer wirtschaftlicher Existenz und mit freiem Zugang zu kulturellen und Bildungsressourcen, mit freien Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Menschen, eintreten, ergibt sich nur die Möglichkeit, auf die Kraft der Rationalität zu setzen, auf die Vernunft, jedoch ohne sie zu vergötzen. Wer Vernunft als eine Art von Religion lebt, entwertet sie.

Dazu gehört eine Bejahung von Wissenschaft und Technik. Wissenschaft lebt vom Diskurs und dem Prinzip der Falsifikation, von den methodischen Tätigkeiten des Forschens und Erkennens, sowie des fortschreitenden Hinterfragens der Methoden und Erkenntnisse. Und Wissenschaft beinhaltet Kritik.

Wirkliche Netzpolitik bejaht die wissenschaftliche Rationalität und ihre Weiterentwicklung.

Glauben und Glaubenssysteme hingegen gehören in die Domäne des Individuums und obliegen der individuellen Freiheit der Person und ihrer Betätigung zur Sinnstiftung.

Netzpolitik ist die neue Form der Politik der technologischen Revolution, der Informations- und Wissensgesellschaft.[xv]

3.1 Die Informationsgesellschaft

Es gibt mehrere Gründe dafür, mögliche Zukünfte zunächst von der technologischen Entwicklung aus zu denken. Technologien und Techniken sind in der Menschheitsgeschichte meist aus der Praxis und der tätigen Neugier der Menschen heraus entwickelt worden. Sie liefen den ihnen folgenden politischen, gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen stets voraus.

Das Paradebeispiel hierfür ist die Erfindung des Buchdrucks. Erst infolge des Buchdrucks entwickelte sich der frühe Humanismus, die Reformation, die Renaissance, die Aufklärung und letztlich die bürgerliche Revolution inklusive der in Schrift niedergelegten nationalstaatlichen Verfassungen, der alsbald die industrielle Revolution folgte. Neue Techniken und Technologien sind nach ihrer Erfindung in der Regel Prozessen der Entdeckung unterworfen, erst hierdurch treten ihre weitergehenden technologischen und kulturellen Möglichkeiten hervor.

Im Folgenden sind vier Definitionselemente zum Verständnis des Begriffs „Informationsgesellschaft“ vorgeschlagen:

1. In der Informationsgesellschaft wird immer mehr Gewicht auf das Erzeugen und Bearbeiten von reinen Informationen gelegt und immer weniger Gewicht auf das Erzeugen informierter Gegenstände.[xvi]

2. Die Informationsgesellschaft ist eine telematische Gesellschaft. Die Teilhabenden, wir Menschen, sind nun entbunden von unserer biologisch bedingten optischen und akustischen Kommunikationsreichweite und können durch das weltumspannende Internet unabhängig von räumlicher Distanz zueinander wahlweise zeitsynchron oder zeitversetzt über digitale Codes – Texte, Audio, Bilder, Filme, Algorithmen – miteinander kommunizieren. [xvii] 3. In der Informationsgesellschaft sind die Menschen nicht nur miteinander über technische Medien, sondern auch mit technischen Artefakten verbunden, die als Prothesen im Sinne einer Erweiterung des physischen Körpers verstanden werden können. Dadurch ergibt sich eine geweitete Sphäre für das Selbst. Unsere Präsenz in der Welt hat neue, zusätzliche Dimensionen gewonnen.

4. In der Informationsgesellschaft wird die industrielle Produktion, die Produktion materieller Gegenstände, zunehmend durch cyber-physische Systeme – CPS - unterstützt, die mittels digitaler Dateninfrastrukturen über das Internet Informationen austauschen. Die Informatisierung der industriellen Fertigungstechnik mittels Maschine-Maschine-Kommunikation wirkt auch über klassische Unternehmens- und Organisationsgrenzen hinweg und weicht diese auf.[xviii] Die Informatisierung der industriellen Fertigung projiziert die Errungenschaften und Methoden der objektorientierten Programmierung in die Produktion nunmehr auch materieller Gegenstände und Apparate.[xix]

Evgeny Morozov's Satz: „Die digitalen Technologien sind unsere beste Hoffnung, aber auch unser größter Feind.“[xx] fasst die Herausforderungen der Informationsgesellschaft treffend und plakativ zusammen.

Die Frage, wer Zugang zu diesen neuen Technologien hat, den Zugang möglicherweise gar bestimmt, und wer ihre fortschreitende Entwicklung - aus was für Motiven heraus - beeinflusst, wird damit zu einer zentralen gesellschaftlichen und politischen Frage.

Und die Frage ist auch, wie können wir zu einer neuen Souveränität im Umgang mit Technik und Technologie, im Umgang mit uns selbst gelangen, jenseits der polaren Gegensätze von Technikgläubigkeit und Kulturpessimismus, von Euphorie und Entsetzen?

Dazu gehört auch ein kritisches Bewusstsein, eine Klarheit darüber, dass es bislang keine Theorie der Informationsgesellschaft gibt, lediglich vielversprechende Ansätze aus Medienphilosophie und Medienwissenschaft sowie aus der Soziologie [xxi], die jedoch unabhängig nebeneinander bestehen und bislang nicht zueinander in Beziehung gesetzt sind.

Es ist daher dringend notwendig, Anstrengungen in Transformationsforschung zu unternehmen, bevor es zu einem „unreflektierten Ende des Industriezeitalters“ [xxii] kommt.

3.2 Das Ich, das Wir, das Netz und die Technik

Es gibt Menschen, die Zugang zum Internet haben, und es gibt Menschen, die nicht auf das Netz zugreifen können, sei es aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen. Daraus entsteht eine horizontale Trennung in zwei Gruppen, die auch Digital Divide [xxiii] genannt wird.

Darüber hinaus gibt es auch einen auf die Generationenzugehörigkeit zurückführbaren vertikalen Unterschied zwischen Menschen, der sich in Selbstverständnis und Lebensgefühl begründet.

Alan Kay, Informatiker und Pionier des objektorientierten Programmierens, bringt dieses Phänomen auf eine einfache Formel: „Alle Technologie, die bereits existiert, wenn jemand geboren wird, wird im Leben dieses Individuums als ‚Kultur’ wahrgenommen, alles neu hinzukommende zunächst als ‚Technologie’.“[xxiv]

Jüngere Menschen, die ihre Individuation und Sozialisation zu einer Zeit erfahren haben, in der das Internet schon existierte, begreifen die entsprechende Technologie als Weiterung der eigenen Körperlichkeit, des eigenen Ich im Sinne einer technischen Prothetik, als digitale Ausweitung ihrer Sphäre des Selbst. Im Zuge des Umsichgreifens der neuen Medien und Kommunkationsmedien in den Alltag hinein entwickelt sich damit ein neues Selbstverständnis.

Gehörte bislang nur die Wohnung [xxv] zum erweiterten Raum des Selbst, so kommen jetzt im Netz befindliche, digital abgebildete und codierte Räumlichkeiten hinzu. Damit ergeben sich neue Fragen nach dem Selbst, nach seiner Bedeutung, nach den Grenzen des Selbst, nach Privatheit und Öffentlichkeit, neu aufgeworfen durch Technik.

Und es stellt sich ein weiteres Mal die Frage nach dem Schutz von Privatheit. Insbesondere auch deshalb, weil der Zugriff von außen auf Gadgets, auf technische Artefakte, die das Individuum ja als Prothesen, als Erweiterung seiner Körperlichkeit begreift [xxvi,xxvii,xxviii], als Eindringen, als Eingriff in die eigene Körperlichkeit, als Verletzung der für die Gesellschaften als Ganzheiten so wichtigen Autonomie des Individuums [xxix] und somit als Einschränkung des Selbst verstanden werden kann.

Das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, die Verhältnisse von Menschengruppen zu ihren Umwelten, werden in der Informationsgesellschaft nicht nur neu austariert, sie erhalten auch neue Möglichkeiten.

Vor dem Hintergrund, dass unser Gebrauch von Technologie und Medien auch verändernde Wirkungen auf unsere Physiologie und damit auf unsere Körperlichkeit hat, unsere biologische Materie in ihren Prozessen also einem Wandel unterworfen ist, gewinnt die Frage nach dem möglichen externen Einfluss auf unseren Technikgebrauch und damit auf uns selbst - durch wen auch immer - noch einmal eine besondere politische Relevanz. [xxx,xxxi,xxxii]

Schon die historische Schrift- und Druckrevolution zeigte, Medien verändern Körper und Gehirne, veränderte Gehirne entwerfen andere Welten. Die Frage nach der Autonomie des Individuums stellt sich neu, bedingt durch den technologischen Umbau der Welt.

Eine zusätzliche Schwierigkeit und Komplexität bei den politischen und gesellschaftlichen Fragen nach unserer sich auch durch Technik wandelnden Identität und unserer nach dem Ideal der Freiheit möglichst autonom zu treffenden Sinnstiftungsprozesse ergibt sich durch den Umstand einer nahezu vollständig durchökonomisierten Gesellschaft.[xxxiii]

Verantwortungsbewusste Netzpolitik fordert daher ein Recht auf digitale Unversehrtheit, das über den bisherigen Schutz der Person hinausgeht. Mit dieser Forderung wird der „klassische“ Datenschutz erweitert, es wird ihm eine neue Dimension eingeräumt.

Der Snowden-Schock 2013 [xxxiv], als dessen Folge die demokratische Utopie Internet auch in einer größeren gesellschaftlichen Wahrnehmung in eine Dystopie kippte, belegt eindeutig die Notwendigkeit einer breiten Debatte zum Thema Überwachung, Datenschutz, Sicherheit und wirtschaftlicher Interessen von Internet-Monopolisten.

Das Internet wurde und wird auch als Hoffnungsträger und Katalysator für eine „Demokratie der Vielen“ gesehen. Ein Problem stellen dabei jedoch die von monopolistisch agierenden Softwareunternehmen bereitgestellten zur Zeit sehr populären sogenannten sozialen Netzwerke wie z.B. Facebook dar. Jenseits der externen Kontroll- und Datensammelmöglichkeiten für die Monopolisten liegen Gefahren in der Fragmentierung von Nutzergruppen und der zielgerichteten Manipulation von Timelines und Suchergebnissen, die dazu führen, dass Abbildungen und Wahrnehmungen von Meinungsmehrheiten stark verzerrt werden. So wird insbesondere das Entstehen von Mehrheitsillusionen provoziert [xxxv].

Hinzu kommt der der gängigen Software für soziale Netzwerke innewohnende Zwang für die teilnehmenden Individuen, sich in Struktur und Funktion weitgehend konforme Identitätsprofile zu geben sowie diese permanent zu modifizieren und weiterzuentwickeln, um für die Umgebung scheinbar attraktiv zu bleiben. „Durch subtile Algorithmen werden die Nutzer zur regelmäßigen Änderung und Erweiterung des Profils gedrängt, was ihre 'Identität' permanent destabilisiert, während sie dank Echtzeitmetrik pausenlos die Zahl ihrer 'Freunde' und der Zugriffe auf ihre Seite verfolgen können. Die Person schrumpft auf ein Mischmasch aus beliebigen Geschmacksurteilen und Beziehungen zusammen, das beständiger Pflege und Verwaltung durch ein Wesen bedarf, welches zu dieser virtuellen Person in einer gewissen Beziehung steht und doch eine sichere Distanz zu ihr wahren muss.“[xxxvi]

Die Algorithmen fordern heraus an zu einer permanenten Selbstverletzung oder zwanghaften Weiterentwicklung der eigenen Identität, und das innerhalb der Leitplanken eines von außen vorgegebenen Schemas.[xxxvii]

Darüber hinaus ist das „Ziel des entfesselten“ Datensammelspiels der Internet-Multis „eine algorithmische Einhegung des Menschen, welche die Berechenbarkeit von menschlichem Verhalten“ sowohl der Individuen als auch von Gruppen beabsichtigt.[xxxviii]

Zu den Aufgaben guter Netzpolitik gehört folglich eine Bejahung und Unterstützung der Entwicklung quelloffener Software zur freien Ausgestaltung sozialer Netzwerke, die Pluralitäten und Individualitäten nebeneinander bestehen lassen, die Rahmung von außen nicht befördern, sondern dem Individuum die Hoheit auch über die Ausgestaltung der eigenen Rahmung überantworten.

Netzpolitik muss zusätzlich zur Quelloffenheit das Ziel der Gewährung einer prinzipiellen Algorithmentransparenz für alle Nutzer verfolgen. Absolute Algorithmentransparenz ist aus mathematisch-informationstheoretischer Sicht unmöglich.[xxxix]

3.3 Netze - zentral - dezentral – die Strukturfrage ist eine politische Frage

„In der gegenwärtigen Kommunikationsrevolution“ kommen zwei grundlegende Tendenzen zur Wirkung, „eine zur Zentralisation und eine zur totalen Dezentralisation.“[xl] Beides ist auf der Basis der aktuellen Technologie möglich. Sie ist diesbezüglich zunächst wertungsneutral und gibt keiner der beiden Tendenzen technologisch den Vorzug. Damit ergibt sich sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit politischer Entscheidungen.

Zur Zeit vorherrschend ist die Zentralisierung, zum einen durch privatwirtschaftlich motivierte Interessen, durch Privatunternehmen, aktuell gehören Google, Apple, Amazon, Facebook und Microsoft zu den Global Players eines Netz-Oligopols, zum anderen durch Nationalstaaten, die den Trend zur Zentralisierung zum Aufbau umfassender Überwachungsstrukturen nutzen.

Das demokratische Prinzip der Subsidiarität ist damit von zwei Seiten her nicht nur auf den Kopf gestellt, es ist faktisch ausgehebelt.

Die Alternative sind zum einen dezentrale Netzstrukturen, für die z.B. das alte Telefonnetz ein anschauliches Modell darstellt, zum anderen eine Mischung aus zentral und dezentral organisierten Systemen.

Wenn aus technologischen Gründen zentralisierte Systeme und Dienstleistungen angeboten werden sollen oder müssen, stellt sich unmittelbar die Frage nach der demokratischen Kontrolle dieser Systeme.

Netzpolitik fordert eine stärkere Dezentralisierung von Informationssystemen und eine demokratisch legitimierte Kontrolle zentralisierter Systeme.

Ein ganz prinzipielles Dilemma besteht darin, dass Betreiber von zentral strukturierten Systemen global operieren, demokratische Kontrolle sich - bedingt durch Nationalstaatlichkeit - bisher bestenfalls nur auf geografischen Territorien einzelner Staaten durchsetzen lässt.


3.4 Arbeit, Tätigkeit und Teilhabe

Der Arbeitsbegriff erfuhr seit dem Mittelalter mehrfache Umwertungen und wechselnde Interpretationen, von der Fronarbeit als Strafe bis zum heute durch die Sozialdemokratie vertretenen Recht auf Arbeit und der nunmehr wieder durch Automatisierung und Druck auf die Lohnkosten entwerteten Arbeit.[xli]

Im auslaufenden Industriezeitalter wird Arbeit vorwiegend unter zwei Gesichtspunkten gesehen, erstens als Mittel zur wirtschaftlichen Daseinssicherung, als Erwerb von Lohn und Aufbau von privatem Vermögen, und zweitens als Element der persönlichen Sinnstiftung und Selbstverwirklichung.

Im Übergang zur Informationsgesellschaft geraten beide Gesichtspunkte zunehmend unter Druck. Zudem hat die neoliberale Auffassung von Wirtschaft die Begriffe des individuellen Unternehmertums und des Humankapitals eingeführt, über die das Produktivkapital durch das Finanzkapital und die Produktivitätsgewinne durch ökonomische Renditen ausgestochen werden.[xlii,xliii]

Die wachsende Konkurrenz zwischen den Unternehmen, der Kampf um Absatzmärkte und die Renditeerwartungen der Shareholder üben einen erheblichen Druck auf die Lohnkosten aus und führten über staatliche Deregulierungen zu Senkungen der Lohnkosten und damit zu einer stetigen Verschärfung der Lage auf den Arbeitsmärkten in den Industrienationen und durch die Globalisierung zu Konkurrenzen mit den Arbeitsmärkten in den Staaten der ehemaligen dritten Welt.

Hinzu kommt ein wesentlich durch Automatisierung getriebenes Wachstum der Produktivität, immer mehr Waren und Güter werden mit immer weniger menschlicher Arbeitskraft hergestellt. Schätzungen gehen davon aus, dass in den nächsten anderthalb Dekaden maximal bis zu 47% aller Jobs wegfallen können.[xliv,xlv]

Brynjolfsson und McAffee setzen hier zunächst auf Bildung als Wettlauf mit der Informationsrevolution.[xlvi] Das stellt zunächst einen sinnvollen Aspekt dar, der jedoch einer detaillierteren Ausarbeitung bedarf.

Des weiteren kann mit einigem Recht von einer dem automatisierten industriellen Kapitalismus innewohnenden „Kulturkrise“ gesprochen werden, die das Arbeit nehmende Individuum psychologisch unter Druck setzt. Sie ergibt sich aus der Tatsache, dass industrielle und Dienstleistungsprozesse – auch in der Zusammenarbeit mit automatisierten Einheiten – auf der einen Seite algorithmische Regelbasiertheit, Effizienz, Effektivität und funktionale Rationalität fordern und betonen, die die Menschen einer „techno-ökonomischen Ordnung unterwerfen“ und auf Rollen und ihre Eignung zur Rollenerfüllung festnageln, während auf der anderen 'die Kultur' Selbstverwirklichung und Selbstgenuss fordert und verspricht.[xlvii]

Das setzt das Individuum einem Spannungsverhältnis aus, das nicht selten in die Depression oder andere Deformationen der Persönlichkeit führt.[xlviii,xlix,l] Das einzelne menschliche Subjekt fühlt sich daher der Welt gegenüber zunehmend als ohnmächtig. Die in den wohlhabenden Industrienationen förmlich explodierten Märkte für rezeptpflichtige Antidepressiva und frei verkäufliche scheinheilige Fitmacher und Selbstoptimierer können als deutliche Warnzeichen interpretiert werden.

Die weltweit zunehmende Produktivität stellt die Fragen nach der zukünftigen Finanzierung unserer Sozialsysteme sowie der Verteilung der Produktivitätsgewinne. In der Industriegesellschaft ist diese Finanzierung ausschließlich an den Faktor 'menschliche Arbeit' gekoppelt. Andere Einkommensarten wie Kapitaleinkommen und Einkommen aus Vermietung und Verpachtung werden nicht zur Finanzierung herangezogen sondern lediglich besteuert.

Zum einen stellt sich also die Frage, andere Einkommensarten als menschliche Arbeit verstärkt zur Finanzierung der Sozialsysteme heranzuziehen. Zum anderen ist durch die informationstechnologische Revolution die Frage nach den Gewinnen der Automatisierung aufgeworfen. Eine Vergesellschaftung der Automatisierungsdividende, auch Produktivitäts-abgabe, Maschinen- oder Automatisierungssteuer genannt, leistet einen Ausgleich für die messbare, durch Algorithmen oder Roboter ersetzte menschliche Arbeitskraft.[li]

Vor dem Hintergrund, dass der nicht oder nunmehr vom Zeitaufwand her weniger erwerbstätige Mensch nicht tätigkeitslos ist und dem Rückgang der Arbeitsvolumina durch Automatisierung und Digitalisierung kann von der Informationsgesellschaft auch als einer Gesellschaft im Übergang von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft gesprochen werden.

Das sowieso nie vollständig umgesetzte abstrakte Recht auf Arbeit als Existenzsicherung und Selbstverwirklichung wandelt sich zu einem Grundrecht auf Tätigkeit und gesellschaftliche Teilhabe.

„Ein bedingungslos garantiertes Grundeinkommen für alle ist“ - nach Auffassung von André Gorz und Anderen - „die erste Voraussetzung für eine Multiaktivitätsgesellschaft. Jedoch hat eine allgemeine Einkommensgarantie einen grundlegend anderen Sinn und eine grundlegend andere Funktion, je nachdem, ob dieses Einkommen … ausreichend oder ... zu niedrig ist, um vor Not und Elend zu schützen.“[lii]

Im Volumen noch gar nicht abzuschätzen aber erwartbar ist eine gesamtgesellschaftliche Innovationsrendite, die dadurch zustande kommen wird, dass es Menschen ermöglicht wird, nunmehr vermehrt selbstbestimmten Tätigkeiten nachzugehen. Das produziert zu einem Teil ganz zwangsläufig auch Ideen, die einer wirtschaftlichen Verwertbarkeit zugeführt werden können.

Netzpolitik als Form der Politik der Informations- und Wissensgesellschaft fordert zum einen den sukzessiven Umbau und eine an die Veränderungen der Produktionsverfahren angepasste Neustrukturierung zur Finanzierung der Sozialsysteme, zum anderen eine reale Verteilung der gesamtgesellschaftlich erzielten Produktivitätsgewinne – auch zu Erhalt und Ausbau des Gemeinwohls.


3.5 Wirtschaft und Finanzen

Die auf Druck durch die Kapitalnetzwerke vorgenommene Deregulierung des weltweiten Finanzmarktes durch die westlichen Industrienationen hatte das Ziel, neue Finanzdienstleistungsprodukte zu ermöglichen. Es begann der Versuch eines Prozesses der Verselbständigung des Kapitalmarktes, der Abkopplung von der an die Herstellung von materiellen und Dienstleistungsprodukten gebundenen Realwirtschaft.

Dieser Prozess führte zu einer Aufblähung des Volumens des Finanzmarktes und musste natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt sein, da die wesentlichen Innovationen in den drei Bereichen der Realwirtschaft erfolgen, denn nur hier entstehen reale Investitionsmöglichkeiten.

Zur Zeit 2016 beträgt das Handelsvolumen der Finanzmärkte etwa 850% des Welt-Bruttoinlandsproduktes BIP, das z.Z. ca. 76 Billionen US $ beträgt. Nicht eingerechnet dabei sind die sogenannten Schattenbanken. Es ist faktisch erwiesen, dass nicht in den Bilanzen der offiziellen Banken auftretende Schattenbanken für einen Großteil der Kreditvergaben – in den USA laut IWF sogar für über 50% - verantwortlich sind.[liii]

Die Gold- und Währungsreserven der Nationalbanken der Nationalstaaten und des Internationalen Währungsfonds sind gegenüber der täglich umgeschlagenen Kapitalmenge längst nicht mehr auf der Höhe der Risiken.

Gegenüber der Realwirtschaft sucht das um den Faktor 8 größere frei flottierende Kapital ständig nach Anlage- und Renditemöglichkeiten, eine für das Gesamtsystem brisante Konstellation, die die Bildung von Blasen zusätzlich provoziert.

Der Konzentration der Informationsmacht des Oligopols aus Amazon, Facebook, Google, Apple und Microsoft und seiner Satelliten sowie der Datensammel- und Überwachungsmacht der Geheimdienste der Nationalstaaten tritt damit ein schon länger im Gange befindlicher, dritter struktureller Trend an die Seite, für den nun ebenfalls das Internet zum Treibriemen und zum wesentlichem Transportmedium geworden ist, die weltweite Konzentration des Finanzkapitals.

2011 förderte eine systemische Analyse der weltweiten Kapitalströme und -beteiligungen [liv] zutage, dass 1318 der insgesamt etwa 43.000 global operierenden [lv] Konzerne sich durch eine hochgradig verwobene Eigentumsstruktur auszeichnen und für 20% der weltweiten operativen Umsätze verantwortlich sind. Sie kontrollieren die Mehrheit der weltgrößten Aktiengesellschaften, derjenigen AGs mit der höchsten Marktkapitalisierung.

147 dieser 1318 Unternehmen bilden eine Art inneren Kern, sie kontrollieren annähernd 40% der wirtschaftlichen Werte aller multinationalen Konzerne "über ein kompliziertes Netz von Eigentumsbeziehungen" und haben zudem die "fast volle Kontrolle über sich selbst".[lvi] Gerät einer der inneren Kapitalknoten in Schwierigkeiten, sind Domino-Effekte vorprogrammiert.

Diese Strukturen unterliegen keinerlei politischer Kontrolle und ermöglichen zusammen mit den staatlich vorgenommenen Deregulierungen ungehinderte Spekulationsgeschäfte auf allen Märkten.

Zudem sind sie verantwortlich für die Finanzkrise von 2007/2008 [lvii] und die ihr folgende sogenannte Eurokrise, in der insbesondere südeuropäische Staaten unter erheblichen Druck gerieten, sowie das der Finanzkrise vorangegangene Platzen der sogenannten Dotcom-Blase im März 2000. Diese Krise führte darüber hinaus auf dem IT-Markt zu einer innovationsfeindlichen Reduzierung der Vielfalt, da nur größere IT-Unternehmen die Krise überleben konnten.[lviii]

Der globale Finanzmarkt erzeugt große Schwankungen. Den Ländern fehlen die Mittel, damit umzugehen. Insbesondere kleinere Staaten sind der finanziellen Globalisierung schutzlos ausgeliefert.[lix]

In Folge der Finanzmarktkrise wurde daraus eine Staatsschuldenkrise gemacht, da Banken mit Hilfe von Steuergeldern gerettet werden mussten. Der durch die Staaten vorgenommene Bailout der in Schwierigkeiten geratenen Banken stellt sowohl den Kapitalismus als auch den Staat systemisch in Frage. Die kapitalistische Ideologie des 'freien Marktes' und seiner Selbstregulierungskräfte benötigt Staaten zu ihrer Rettung und führt sich damit sowohl in einen Selbstwiderspruch als auch in den Ausverkauf des Staates.[lx]

Die dann in Europa in Folge der Staatsverschuldungskrise verordnete Austeritätspolitik führte zu einer weiteren Beschneidung der Sozialsysteme und zu einer Reduktion der Kaufkraft der europäischen Bürger und verhindert bis heute dringend notwendige Investitionen der öffentlichen Hände in die Bereiche Bildung und Infrastruktur sowie in die Sozialsysteme.

Das Vertrauen in die Konstruktion 'Nationalstaat' sowie in überstaatliche Bündnisse wie beispielsweise die Europäische Union erfährt im Bewusstsein der Menschen eine Schwächung gerade zu einer Zeit, in der aufgrund der globalen Problemlagen nach starken Staaten gerufen wird. Ein gefährlicher politischer Trend, das Ansteigen des Zuspruchs für rechtsnationalistische, rechtsextreme Kräfte ist die Folge.

Diese Entwicklungen sind flankiert durch einen weiteren Trend, den Trend zu Freihandelsabkommen, der seit den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts im Gang ist. Mit den Meilensteinen APEC 1989, MERCOSUR 1991 und NAFTA 1994 entwickelte sich ein neuer Typ von Handelsabkommen, der als Kernelement einen Investorenschutz nach dem Modell des Vertrages zwischen Deutschland und Pakistan aus dem Jahr 1959 enthält.

Im Rahmen dieses Trends erhöhen transnational operierende Unternehmen den Druck auf Regierungen, die globalen und handelspolitischen Kontexte gemäß ihren Vorstellungen anzupassen und zu gestalten.

Es entstehen Verträge für Dienstleistungen, GATS 1995, Immaterialgüterrechte, TRIPS 1996, und handelsbezogene Investitionsmaßnahmen, TRIMS 1995.

Das Neue daran ist die Schaffung einer wettbewerbszentrierten, transnationalen scheinbaren Rechtsstaatlichkeit, die einerseits Effizienz, Disziplin und Investorenvertrauen betont, gleichzeitig aber Kernfragen einer demokratischen politischen Kontrolle aushöhlt und diese den Staaten faktisch entzieht.

Dies ist charakterisierbar als ein Dreiklang aus Marktförderung und Eigentumssicherung aus Sicht der transnationalen Konzerne sowie aus Entdemokratisierung der an den Verträgen beteiligten Staaten und Staatenbünde (EU).

Die Vertragsverhandlungen hinter verschlossenen Türen - unter Einbeziehung von Vertretern des Kapitals, jedoch unter Ausschluss der Zivilgesellschaften und der sie vertretenden Verbände und NGOs – sowie die in den Verträgen enthaltene Delegation von Streitfragen an übernationale Schiedsgerichte stellen eine fundamentale Verletzung des demokratischen Prinzips der Subsidiarität dar. Beispiele für diese neue Generation der Abkommen sind ACTA, TPP im pazifischen Raum, TTIP (USA – EU) und CETA (EU – Kanada).

Insbesondere bei dem Freihandelsabkommen TTIP ist geplant, dass sich die Vertragspartner USA und EU unter dem Namen 'regulatorische Kohärenz' „auf Verfahren einigen, über die sie auch nach Abschluss des Abkommens bestehende und zukünftige Regulierungen aufeinander abstimmen – damit sie 'kohärent' sind und den transatlantischen Handel nicht behindern.“[lxi]

Damit wird seitens der transnational operierenden Unternehmen eine Einflussmöglichkeit auf zukünftige Gesetzgebungsverfahren – beispielsweise im Bereich Umweltpolitik – fest installiert. Subsidiarität und Demokratie stehen hier nicht mal zur Debatte.

In diesen Entwicklungen manifestiert sich das zunehmende Ungleichgewicht der Einflüsse von Kapitalinteressen gegenüber denen von demokratisch gewählten Parlamenten und der sie wählenden Zivilgesellschaften auf die Weltpolitik. Faktisch wird damit das Primat der Kapitalinteressen über die Politik auf transnationaler Ebene vertraglich festgeschrieben.

Verantwortungsvolle Netzpolitik sollte sich hier nicht auf die „klassisch“ netzpolitischen Felder „Politik des Netzes“ (Internet-Governance) „Netzkultur und Nutzung“ (Urheberrecht, Datenschutz, etc.) und „Politik mit dem Netz“ (Digitale Demokratie und Teilhabe) beschränken, sondern konkrete Bezüge zu Wirtschafts- und Finanzpolitik herstellen.

Wenn sich Netzpolitik als eine systemische Politik begreift, als eine am Gemeinwohl orientierte Politik für Teilhabe und eine Demokratie der Vielen, muss sie konsequenterweise auch Partei ergreifen für eine Demokratisierung der Wirtschaft – in allen Bereichen, und für sinnvolle Freihandelsabkommen ohne überstaatliche juristische Regulierungsinstanzen.

Folglich betrachtet Netzpolitik die nationalen Gerichtshöfe demokratischer Staaten als notwendig und hinreichend für die Behandlung von Streitfragen und Fragen des Investitionsschutzes, solange keine anderen demokratisch legitimierten Verfahren entwickelt sind.

Für eine systemische Politik folgt ebenso das Eintreten für eine weltweite Ächtung sowie das Verbot von Spekulationsgeschäften mit Energie, Rohstoffen und Nahrungsmitteln und für das Verbot des zusätzlich destabilisierenden Hochfrequenzhandels.

Dazu gehört ebenso die Forderung nach einer Steuer auf Finanztransaktionen – weltweit und innerhalb der Europäischen Union.


3.6 Bildung

Der Begriff der Bildung wird heute vorwiegend ganzheitlich und dynamisch gefasst. Er bezeichnet den gesamten sich über das ganze Leben erstreckenden Entwicklungsprozess eines Menschen und umfasst darüber hinaus seine sämtlichen geistigen, kulturellen, praktischen und sozialen Fähigkeiten. Einbezogen werden kann hier auch das Hegelwort „Unter Bildung versteht man das Vermögen, die Dinge vom Standpunkt eines Anderen aus betrachten zu können“[lxii], das den empathisch-kommunikativen Aspekt der Bildung noch einmal besonders hervorhebt.

Diesem Humboldt'schen Ideal von Bildung als Entwicklung, Entfaltung und Selbstverwirklichung des Menschen stehen die institutionalisierten Bildungssysteme des Industrieregimes gegenüber. Sie sind eine Funktion der Industriegesellschaft, von der Kindertagesstätte bis zur Universität. Beispielsweise in der Struktur des alten dreigliedrigen deutschen Schulsystems bilden sich das Interesse und der Bedarf des Industrieregimes an in unterschiedlichen Kontexten und Graden ausgebildeten Menschen ab.[lxiii] Hinzu kommt, dass im Zuge der Globalisierung der Wirtschaft und der Krisen des Kapitals sowie der unmittelbar daran anschließenden Austeritätspolitik Bildungsprozesse einem weitergehenden Regulierungs- und Ökonomisierungsdruck unterworfen wurden, der vielfach die Möglichkeit der Wahrnehmung von Bildungsangeboten in die finanzielle Verantwortung des Einzelnen stellt. Die ungerechten Möglichkeiten des Zugangs zu Bildung diskriminieren, ein klarer Widerspruch zu den Menschenrechten.

Insbesondere der in Deutschland nahezu verstetigte Verschulungsprozess an den Universitäten und Fachhochschulen belegt, das hier beförderte Wissen ist funktional und wird zunehmend den aktuellen oder prognostizierten Bedarfen der Wirtschaft und der Arbeitsmärkte unterworfen. Das Bildungsangebot wird reduziert zu bloßer Ausbildung, die das Individuum einmal mehr und schon während des Individuationsprozesses einer techno-ökonomischen Ordnung unterwirft.

Die Wissenschaftspolitik im auslaufenden Industriezeitalter begleitet diese Entwicklungen mit der Auslobung von Preisen, mit dem Drängen der Universitäten in eine den Prozessen des sogenannten 'freien Marktes' abgeschauten Wettbewerbslogik und letztlich mit der „Bewahrung eines angestrengten Optimismus“. Dabei werden „große Verkrampfungen erzeugt, die jenseits aller kreativen Haltungen“ liegen.[lxiv]

Für die anstehenden Herausforderungen, für die Erarbeitung von Lösungsansätzen für die globalen Krisen wie den Klimawandel, die Rohstoffverknappungen usw. sowie für die demokratisch gesteuerte Transformation in die Informations- und Wissensgesellschaft und nicht zuletzt für den ganzheitlichen Bildungsanspruch des Einzelnen reicht das bei weitem nicht aus.

Gerade in der Volkswirtschaftslehre hat an der Mehrheit der Lehrstühle in den letzten 30 Jahren ein neoklassischer Dogmatismus [lxv] Einzug gehalten, der weder die Finanzkrise von 2007/2008 schlüssig erklären kann, noch neue Modelle zur Beschreibung und zur Überwindung der Krise hervorbringt. Nicht nur in diesem Bereich greift eine kreativitätsfeindliche akademische Verarmung um sich, die aber nun – ein Lichtblick - zunehmend von studentischen Protesten kritisiert wird.

Hier zeigt sich, es ist weder dem Industrieregime noch seinen „Apparaten restlos gelungen, das schöpferische Moment ‑ diese Öffnung zum Konkreten und die Artikulation des dort Erfahrenen ‑ abzubinden. Das Unbehagen an der Kultur hat die Menschen noch immer zur Protestgeste geführt, die in neue Information umschlägt.“[lxvi]

Denn wirkliche Innovation – Weiterentwicklung, sozial, technologisch und wissenschaftlich – gebiert sich grundsätzlich nur aus einem Restüberschuss, einer Zweckfreiheit von Wissen, das zum Zeitpunkt seines Entstehungsprozesses, seines ersten diskutiert Werdens nicht oder noch nicht ökonomisch funktional ist. Markt- und Wettbewerbslogiken vermögen es daher nicht, das Entstehen solchen Wissens zu planen oder gar vorauszusagen.

Die Bildungsangebote der Zukunft stehen demnach vor der Aufgabe, einerseits die Interessen der SchülerInnen und Studierenden - sowie aller Menschen, im Sinne des lebenslangen Lernens - zu berücksichtigen, die sich eine Berufsausbildung wünschen, die ihnen wirtschaftliche Sicherheit, soziale Anerkennung und ein regelmäßiges Einkommen beschert, andererseits Angebote und vor allem Strukturen bereitzustellen, die - als wissenschaftliche, technologische, soziale Zukunftslabore - Kreativität, Quer-, Nach- und Vordenkertum und Entdeckung und Entwicklung von Neuem nicht nur zulassen, sondern auch fördern, und das jenseits existierender ökonomischer Randbedingungen.

Netzpolitik betont den nicht ökonomisierbaren Selbstwert der Bildung für den Einzelnen und für die Gesellschaften. Sie steht damit ganz in der Tradition des Humboldt'schen Bildungsideals und strebt an, dieses für das Informationszeitalter weiterzuentwickeln und zu transformieren.

Teilhabe und Bildung – hier als das Vermögen zur kompetenten Teilhabe verstanden – bedingen einander. Eine konsequent netzpolitische Position muss daher eine maximal mögliche Bildung für alle Menschen fordern als eine notwendige Bedingung für die Schaffung einer Weltgesellschaft, die die bislang unerledigten Fragen der Moderne erfolgreich bearbeiten kann.

Wie die Dinge aktuell stehen, „können wir uns weder an die Moderne in ihrer historischen Form klammern noch sie völlig ablehnen – und gewiss nicht verachten. Aufgabe ist vielmehr, unsere ererbte Moderne zu reformieren, ja richtig wiederherzustellen, indem wir sie humanisieren. Das ist keine leere Mahnung“, so der amerikanische Philosoph Stephen Toulmin.[lxvii]

Wesentliches Element dessen wäre die erneute Reflexion unseres Wir, unseres Weges und unserer gemeinsamen Stellung in der Welt. Eine solche Reflexion kann guten Gewissens mit dem Titel „Zweite Aufklärung“ oder Aufklärung 2.0 belegt werden.[lxviii]

3.7 Nachhaltigkeit, Umwelt, Energie, Rohstoffe

Das Verhältnis der von der Menschheit aktuell benötigten jährlichen Energiemenge und der jährlich von der Sonne auf die Erde eingestrahlten Energie beträgt etwa 1 zu 10.000.[lxix]

Und es ist ganz offensichtlich, dass die Menschheit eines Tages mit einem Bruchteil der Energie auskommen muss, die täglich hereinkommt.

Forschungsanstrengungen zur friedlichen Nutzung der Kernfusion sind sinnvoll. Die Frage, ob daraus eine auf der Erde nutzbare Technologie entwickelt werden kann, ist allerdings noch offen und die endgültige Antwort wird höchstwahrscheinlich noch Jahrzehnte auf sich warten lassen. Seit dem Beginn der Industrialisierung in England vor etwa 250 Jahren werden fossile Energieträger in großen Mengen abgebaut, die in der Erde seit etwa 400 Mio Jahren (Devon, Karbon) durch Photosynthese und langfristige biogeochemische Kohlenstoffkreisläufe aufgebaut wurden. Sie sind Überreste der belebten Natur unseres Planeten.

Die Umwandlung der chemischen Energie in den fossilen Energieträgern in andere Energieformen setzt neben einer ganzen Reihe von giftigen Schadstoffen auch Kohlendioxid und weitere Treibhausgase frei, die zur sogenannten globalen Erwärmung, zum Klimawandel führen.

Soll das sogenannte Zwei-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % erreicht werden, dann dürfen im Zeitraum 2011 bis 2050 nach Daten des IPCC (Intergovernmental Panel of Climate Change) maximal zwischen 870 und 1.240 Gigatonnen Kohlenstoffdioxid freigesetzt werden. Rechnet man dies auf die bislang bekannten Reserven an fossilen Energieträgern um, dann dürfen im globalen Kontext „etwa ein Drittel der Ölreserven, die Hälfte der Erdgasreserven und mehr als 80 % der Kohlereserven nicht verbrannt werden“.[lxx] Ein weltweit koordinierter schnellstmöglicher Ausstieg aus der Nutzung fossiler Träger zur Energiegewinnung ist also geboten.

Demgegenüber stehen die neoklassischen Modelle der Volkswirtschaftslehre, in deren dominierenden Varianten Energie immer eine beliebig kapitalisierbare Größe ist. Der Impact auf die Umwelt taucht in den gängigen volkswirtschaftlichen Betrachtungen überhaupt nicht auf. Sie sind daher in dem Sinne unvollständig, dass eines der gravierendsten Probleme der Globalisierung im ökonomischen Standardmodell keiner Betrachtung zugänglich ist.

Im Bereich der für technologische Produktionsprozesse und Innovationen benötigten Rohstoffe sieht es ähnlich aus. So beträgt beispielsweise die statische Ressourcenreichweite [lxxi] von Silber noch 28 Jahre, berechnet auf der Basis von 2009 [lxxii]. Nahezu alle für die Produktion von Hightech und Elektronik, von Zukunftstechnologien benötigten Rohstoffe besitzen statische Ressourcenreichweiten von maximal einigen wenigen Jahrzehnten.

Auch hierfür kennen die klassischen volkswirtschaftlichen Modellierungen lediglich zwei Instrumente zur Behandlung, die Kapitalisierung und die Substitution. D.h. in Modellrechnungen wird einfach der eine zur Neige gehende Rohstoff durch einen fiktiven neuen ersetzt, substituiert.

Wider besseren Wissens „halten viele Ökonomen auf die eine oder andere Weise an der Annahme unendlicher Ressourcen fest, denn sonst müssten sie zugeben, dass dem Wirtschaftswachstum Grenzen gesetzt sind, und das ist "undenkbar". Die übliche Masche besteht darin, sich auf die unendlichen Möglich­keiten der Technologie und der Ressourcensubstitution (die Erfindungsgabe) als dynamische Kraft zu berufen, durch die man dem Rohstoffverbrauch und der Verschmutzung auf Dauer entrinnen kann.“[lxxiii]

Bedingt durch die dramatischen Erfolge der Physik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts träumte die Volkswirtschaftslehre von einer die ökonomischen Prozesse berechnenden und vorhersagenden 'Physik der Ökonomie' und vernachlässigte dabei völlig die Kopplung ökonomischer Prozesse an die Stoffkreisläufe der Natur. Unbegrenzter Wachstumsglaube war das Resultat.

Andere Ansätze wie der der erstmals durch den Ökonomen Nicholas Georgescu-Roegen entworfenen Verknüpfung ökonomischer Prozesse mit den Hauptsätzen der Thermodynamik blieben randständig.[lxxiv] Sie gewinnen jedoch heute mehr den je an Relevanz vor dem Hintergrund des sich durch Klimawandel und Rohstoffknappheit abzeichnenden Zusammenbruchs des Kapitalismus.[lxxv]

Es ist von daher geboten, auf breiter Basis intellektuelle Anstrengung in Transformations-forschung zu stecken und in die Ausarbeitung alternativer Wirtschaftsmodelle und Wege, wie man dort politisch und ökonomisch hingelangen kann. Denn die Verknüpfungen von uns mit der Geo- und Biosphäre unseres Planeten sind so fundamental, dass im Grunde von einem erweiterten 'Wir' gesprochen werden kann, das den gesamten Lebensraum Erde und seine vielfältigen Wesen mit einschließt.

Wir sind dazu angehalten, für alle unsere Konstruktionen die Verantwortung zu übernehmen und für Alles, was davon betroffen ist. Das heißt auch, dass wir auf Mit-Lebewesen keine Patente erlauben.

3.8 Massenmedien, Presse und Internet in Gesellschaft und Kapitalismus

Schon Manuel Castells benennt die regelmäßigen Erschütterungen der aktuellen politischen Systeme durch Skandale, die gerade in der letzten Zeit noch zugenommen haben, insbesondere in den westlichen Industrienationen, in denen die Presse- und Meinungsfreiheit als hohes Gut und als ganz wesentliche demokratische Errungenschaft hochgehalten wird.

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“[lxxvi] Dieser einleitende Satz Niklas Luhmanns aus seinem Werk „Die Realität der Massenmedien“ aus dem Jahr 1995 hatte und hat sicher seine Gültigkeit, bedarf jedoch heute unter den Bedingungen der Entwicklungen im Internet einer erweiterten Betrachtung.

Genau genommen ist das Internet kein Massenmedium, die Massenmedien aus dem Print- und TV-Bereich sind zwar im Internet aktiv, aber ein Blog mit vielleicht 150 Lesern, den man ebenfalls im Internet findet, ist im Prinzip kein Massenmedium. Jedoch können Blogs und Homepages in sozialen Medien zu Massenmedien werden, sobald ihre Leser oder Follower in die Hunderttausende gehen. Blogs, Homepages, soziale Netzwerke wie Google+, Facebook oder LinkedIn und die Massenmedien stehen in Wechselwirkung miteinander und reagieren ständig aufeinander.

Damit ergibt sich gegenüber der vorwiegend massenmedial geprägten Industriegesellschaft eine neue Gesamtsituation für das Informationsregime.

Beide, Blog und Massenmedium, erheben i.d.R. den Anspruch, Beschreibungen der Realität zu liefern. Der Begriff der Realität (der Massenmedien) hat jedoch eine doppelte Bedeutung [lxxvii]. Die Realität eines Ereignisses, über das berichtet wird und die Realität des Berichtes, der Geschichte von dem Ereignis, sind immer zwei verschiedene Dinge. Medien konstruieren eine Beschreibung der Realität, nichts weiter.

Und die Art und Weise, wie sie das tun, ist – was die Massenmedien betrifft – durch die techno-ökonomische Ordnung mitbestimmt. Was die sogenannte Blogosphäre betrifft, kommen möglicherweise weitere subjektive Komponenten der Autoren hinzu.

Viele Blogs und Gruppen in sozialen Netzwerken bilden Echokammern und Gegenöffentlichkeiten, die sich von den durch die Massenmedien geschaffenen Öffentlichkeiten abgrenzen oder sich nicht selten in eine pauschale Opposition zu den Massenmedien begeben. Häufig grenzen sich die etablierten Massenmedien genauso pauschal von den - oft sektiererischen - Positionen in sozialen Medien oder massenwirksamen Blogs ab. Es findet daher kein Austausch bzw. Diskurs zwischen diesen verschiedenen Öffentlichkeiten mehr statt. Das führt zu Spaltungen innerhalb der Gesellschaft, zwischen einer Mehrheitsgesellschaft und sich möglicherweise auch radikalisierenden Minderheiten-gesellschaften. Dieser beidseitige Verlust an Bereitschaft und Fähigkeit zum Diskurs ist zum Schaden einer lebendigen Demokratie, die gerade von der Meinungsvielfalt und dem Austausch der Meinungen lebt.

Dabei ist jedoch die Art und Weise, wie Medien die Realität reflektieren, nur selten Gegenstand der Reflexion, eine bedenkliche Situation für die sogenannte „vierte Macht“ im Staat, die mehr als jede andere oft unhinterfragt agieren kann.

„Eine wechselseitige Kritik der Journalisten untereinander, sei es politisch, kulturell, ideologisch, findet nicht mehr statt“, klagt der Politikwissenschaftler Thomas Meyer.[lxxviii] Und die wechselseitige Kritik zwischen Massenmedien auf der einen und sozialen Medien und Blogs auf der anderen Seite ist meist undifferenziert und pauschal, die „Kampfbegriffe“ „Lügenpresse“ und „Verschwörungstheorie“ belegen dies.

Der zunehmende Lohn- und Beschäftigungsdruck gilt auch für den Arbeitsmarkt der Journalisten und Pressemitabeiter und hat häufig interessengeleiteten Einfluss auf Design, Sprache und Ausrichtung der Berichterstattungen.

Darüber hinaus ist der Erfolg eines Massenmediums erstens mitbestimmt durch Auflagenstärken, Quoten und Clickrates, zweitens durch die Bereitstellung eines werbefreundlichen Umfeldes in der Berichterstattung, um zusätzliche Einnahmen generieren zu können.

Das fördert Skandale und Sensationen auch in Fällen, wo eine unaufgeregte Berichterstattung sicher sinnvoll ist.

Mit dem Internet kamen zusätzliche Komponenten hinzu, aus der Blogosphäre und sozialen Netzwerken und deren Filterblasen und Echokammern heraus werden Nachrichten und Interpretationen der Realität generiert, die von Massenmedien aufgenommen und weiterverbreitet werden und umgekehrt, ein wechselseitiges Spiel, das oft von Reflexionsfreiheit oder Unterdrückungen und Diffamierungen geprägt ist. Eine gleichwohl auch existierende sachliche Medienreflexion wird im Geschrei der Polarisierungen öffentlich kaum noch wahrgenommen.

„Was die erschlaffende Demokratie heute dringend braucht, ist daher unter anderem eine Erneuerung des demokratisch-kulturellen Mandats des politischen Journalismus.“ [lxxix]

Wo das ehrliche Bemühen um Aufklärung ausbleibt, werden in der Berichterstattung systematisch verzerrte Ergebnisse produziert und es entstehen „defekte Demokratien“[lxxx].

Meinungsvielfalt und der demokratische Diskurs der vielfältigen Meinungen sind Garanten für Vernunft in der Gesellschaft und in der Politik. Die intakte und operationsfähige Öffentlichkeit ist daher für eine Demokratie ebenso wichtig wie intakte politische Institutionen. Dies gilt insbesondere für die Massenmedien als zentrale Filter für die Wahrnehmung und Interpretation der Welt durch alle Menschen, die ja politische Wahlentscheidungen treffen wollen oder müssen.

Folgen wir Luhmann, dann müssen wir festhalten, dass wir soviel über die Massenmedien wissen, „dass wir diesen Quellen nicht trauen können“. Die Gegenwehr des Manipulationsverdachtes führt nicht „zu nennenswerten Konsequenzen“, denn das den Massenmedien entnommene Wissen schließt sich „wie von selbst zu einem selbstverstärkenden Gefüge“ zusammen.[lxxxi]

Erschwerend kommt hinzu, dass bedingt durch die technisch-ökonomische Ordnung und den vorherrschenden Neoliberalismus Massenmedien inzwischen sehr stark selektiv geworden sind. Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass Alphajournalisten ihre Beobachterrolle bzw. ihre Wächterrolle verlassen haben und zu aktiven politischen Mitspielern geworden sind, deren Einfluss jedoch intransparent ist und wenn überhaupt, dann nur unzureichend deutlich werden kann.

Netzdialoge in den sozialen Medien und der Blogosphäre enthalten i.d.R. alles Mögliche, Richtiges, Falsches und Neues, Gerüchte, Behauptungen und Überzeugungen. Ein Effekt dieser Entwicklungen und Manipulationsverdachte ist jedoch gerade das Umsichgreifen von Gerüchten und Behauptungen.

Eine pauschale Diffamierung oder gar totalitäre Unterdrückung der Netzdialoge schüttet das sprichwörtliche Kind mit dem Bade aus, sie entlarvt sich als Verhinderung des Neuen und damit als ewige Wiederholung des Gleichen, als Demagogie.[lxxxii]

Eine netzpolitische Aufgabe besteht entgegen Diffamierung und Unterdrückung darin, die Netzdialoge und damit das Entstehen neuer Informationen zu ermöglichen, zu befördern und aktiv zu gestalten, sie in Form zu bringen, sie zu „informieren“[lxxxiii]. Die politische Aufgabe ist also grundsätzlich eine befördernde und moderierende für das Dialogische an sich und damit auch eine Einwirkung zugunsten von Mündigkeit und Verantwortung. Denn der Dialog – das liegt in seinem Wesen – impliziert Verantwortung und Vernunft.



4. Die Ideologien und Ideologeme des Industriezeitalters, eine netzpolitische Kritik

„Alle Strukturen der Gesellschaft, so wie wir sie aus der Industriegesellschaft kennen, sind daran zu zerfallen. Und ihre Kadaver verpesten die Luft“.[lxxxiv] Dieser Satz des Philosophen Vilém Flusser aus dem Jahr 1991 war auf die materiellen und institutionellen Strukturen des Industriezeitalters bezogen. Er kann aber mit gleichem Recht auch auf die dem Industriezeitalter zugrunde liegenden oder sie begleitenden Weltanschauungen, Ideologien und Ideologeme bezogen werden. Denn diese sind Beschreibungen, Reaktionen und Kritik der industriellen Produktionsweise.

Wir leben in einer Zeit der auslaufenden Industriegesellschaft, in der der Marxismus bereits einmal gescheitert ist und der Kapitalismus und der ihn antreibende Glaube des Neoliberalismus kurz vor ihrem Scheitern stehen.

Wenn es das Ziel ist, eine Transformation vom dominierenden kapitalistischen Wirtschafts-system des Industriezeitalters hin zu neuen Verfahren und Strukturen des Wirtschaftens zu denken, die den Ansprüchen der individuellen Freiheit des Ich, der Solidarität des Wir sowie der Nachhaltigkeit genügen, dann müssen die alten Ideologeme einer Kritik unterzogen werden, die wohl zu unterscheiden weiß zwischen Bewahrenswertem und Überholtem.

Die Forderung nach einem historischen Bewusstsein des politisch aktiven Menschen bedeutet in diesem Zusammenhang also gerade nicht, sich lediglich den althergebrachten Ideologemen anzudienen oder gar zu unterwerfen, sondern diese gewissermaßen aufzuheben – im Sinne der Dialektik Hegels und seiner Interpretation des Begriffs der Aufhebung – nämlich, dass das Alte aufgehoben aber zugleich im Neuen auch bewahrt ist.

Lösungen des Problemfeldes 'Zukunft' liegen erstens ganz zwangsläufig nicht zwischen sondern jenseits des Gegensatzes zwischen 'weiter so' und 'weg damit' und zweitens kann für sie definitiv nicht dasselbe Denken Anwendung finden, das erst zu diesen Problemen geführt hat. Denn die aktuelle Krise ist auch eine Krise des Denkens, eine Krise unserer Rationalität.

Es ist sinnvoll, mit einer Kritik der beiden großen zur aktuellen Zeit des auslaufenden Industriezeitalters übrig gebliebenen Kontrahenten zu beginnen, dem Marxismus und dem, was allgemein als linke Politik verstanden wird, auf der einen und dem weltweit vorherrschenden Neoliberalismus auf der anderen Seite. Die Linke macht mehrheitlich immer noch den Wohlfahrtsstaat zum Fetisch [lxxxv], die Neoliberalen feiern den 'freien Markt' als ultima ratio.

Hier muss zunächst nachdrücklich festgehalten werden, dass ebenso wie der Liberalismus und der Neoliberalismus auch der Marxismus und mit ihm jedwede im Koordinatensystem als links verortete Politik der letzten 150 Jahre historisch zum Industrieregime gehört. Marx erwartete die kommunistische Revolution im industrialisierten England. Seine Ideen zur gesellschaftlichen Entwicklung waren jedoch in Agrargesellschaften wie in Russland oder China weitaus attraktiver und wirksamer. Dort wandelten sie die Agrargesellschaften und führten erst zur Industrialisierung.[lxxxvi]

Auf der einen Seite möchte der Neoliberalismus Alles und Jedes der Ökonomisierung und dem Wachstumsprinzip des Kapitalismus unterwerfen, auf der anderen Seite reduzieren Linke vielfach die bürgerliche Gesellschaft auf eine ökonomische Kategorie. Dies lässt sich ohne weiteres als eine Art Gemeinsamkeit interpretieren. Die Unterschiede beider zeigen sich in der Struktur der Denksysteme und im Vorgehen. Der Marxismus kommt als eine Ideologie daher, die den Namen auch verdient, mit der brillanten Marxschen Analyse des Kapitalismus. Dabei bringt die Ideologie auch ihre monolithischen und dogmatischen Elemente mit, die unbedingt einer konstruktiven Kritik würdig sind.

Der Neoliberalismus hingegen kann noch nicht einmal als eine echte Ideologie bezeichnet werden, er besteht aus sich zum Teil sogar widersprechenden Ideologemen, Elementen und Versprechungen, die als Verführungssystem wirken und über die Mechanismen von Individualität, Fleiß, Leistung und Selbstverantwortung so etwas wie die Existenz einer Wahlfreiheit des Individuums für das eigene Lebensschicksal erfolgreich suggerieren. Damit werden Leitplanken für die öffentliche Diskussion eingezogen, die relativ häufig und zuverlässig den Eindruck eines freien demokratischen Diskurses erwecken, der letztlich doch immer und überall der Ökonomisierbarkeit unterworfen ist. Die Frage nach der Macht im Diskurs wird aus dem Diskurs selbst ausgeklammert.

Insofern muss der Linken ihr historischer Fehler vorgehalten werden, dass sie politisch seit ihrem Bestehen und gegen die Vorschläge selbst von Marx fast ausschließlich auf das Konzept von Gleichheit und Gerechtigkeit setzte und dabei den Begriff der individuellen Freiheit nahezu kampflos den Liberalen überließ [lxxxvii]. Sie stellte die aus der Marxschen Analyse folgende Klassenzugehörigkeit immer über und nicht 'neben' das Individuum.

Darüber hinaus wohnt der Linken ein Spaltpilz inne, ein Moment, das in die Aussichtslosigkeit führt, wenn es um das Organisieren politischer Mehrheiten geht. Der ersten Spaltung der sozialistischen Bewegung im 19. Jahrhundert zwischen Marx und Engels auf der einen und dem Anarchisten Bakunin auf der anderen Seite folgte alsbald der Streit zwischen Marx und der frisch entstandenen sozialdemokratischen Bewegung [lxxxviii]. Dieses Moment der dogmengetriebenen Spaltung setzt sich bis heute fort und findet ihr Abbild sowohl in den unterschiedlich geprägten linken Regimes der Geschichte als auch in aktuell existierenden linken Strömungen und Parteien.

Zum Ende des 20. Jahrhunderts waren kollektivistische Konzepte, allen voran der Etatismus des Sowjetregimes, in erheblichen Misskredit geraten. Seit den Reaganomics und dem Thatcherismus in den Achzigern sahen neoliberale Kräfte die Möglichkeit einer ungebremsten weltumspannenden freien Marktwirtschaft heraufziehen, deren Triumph, so das Versprechen, überall für Frieden und Wohlstand sorgen würde. Francis Fukuyamas Werk 'Das Ende der Geschichte' ist der wohl prominenteste fachliterarische Ausdruck dieser Hoffnung.

Historisch schließt dies jedoch mittelbar an die ersten eher religiös motivierten Verfechter des Freihandels aus dem 19. Jahrhundert an, Richard Cobden und John Bright (1811-1899).

Vereinfacht kann der Neoliberalismus auf zwei Wurzeln zurückgeführt werden, erstens die Chicagoer Schule der ökonomischen Theorie, die behauptete, dass die Wirtschafts-wissenschaften ebenso wie die Naturwissenschaften universell gültige Gesetzmäßigkeiten beschreiben, sowie zweitens die Österreichische Schule, in der die Ansicht vorherrschte, dass naturwissenschaftliche Methoden nicht auf die Gesellschaft anwendbar seien. Diese elementare Meinungsverschiedenheit tat jedoch der Begeisterung für die bloße Idee des freien Marktes keinen Abbruch. „Wie man ihn theoretisch begründete, spielte letztlich keine Rolle.“[lxxxix]

Durch die unreflektierte Annahme einer höherwertigen Rationalität des Marktes, die mehr sein soll als die Summe der Rationalitäten der einzelnen Marktteilnehmer (homo oeconomicus) und die vom Neoliberalismus daher über die Rationalitäten der Individuen gestellt wird, gewinnt der Neoliberalismus von der Struktur her quasireligiöse Züge. Er vergötzt den Schwarm der Marktteilnehmer und predigt faktisch Anpassung, Unterwerfung und Selbstaufgabe für das Individuum.

Diese Predigt erfolgt jedoch nicht offen sondern über Gesten der Verführung, des Versprechens auf Selbstverwirklichung und Selbstgenuss, das jedoch der neoliberalen Wettbewerbslogik folgend ganz zwangsläufig wenige Gewinner und viele Verlierer produziert. Reduziert man auf die ökonomischen Verhältnisse, dann reicht allein die sich immer weiter verschärfende globale Vermögensverteilung [xc] als Aufweis.

Einer der fundamentalen Widersprüche des Neoliberalismus „ist der zwischen dem in der neoliberalen Rhetorik so vielbesungenen 'freien Markt' und der Tatsache, dass der Neoliberalismus vor nichts eine größere Angst hat als vor einem wirklich freien Markt. Der 'freie Markt' ist nur für die ökonomisch Schwachen, ob Personen oder Staaten, gedacht, während die ökonomisch Starken, insbesondere Großkonzerne, durch staatliche Interventionen vor ebendiesen Kräften zu schützen sind. Der Neoliberalismus benötigt also für seine eigentlichen Ziele, nämlich die einer Umverteilung und beständigen Akkumulation, ganz wesentlich den starken Staat, der die 'Marktfreiheit' in seinem Sinne reguliert.“[xci]

Marktfreiheit, der freie Markt, das ist im Zusammenspiel mit Wettbewerb die erfolgreichste sprachliche Klitterung des Neoliberalismus. Bereits gewonnene Marktanteile gilt es zu sichern und auszubauen, die eigene großunternehmerische Planwirtschaft zielt ab auf die Vermeidung des Eintritts neuer Konkurrenten in den Markt, entweder durch Aufkäufe aus wohlgefüllten Kriegskassen oder durch Instrumentalisierung des Staates zum Zweck des Errichtens von Markteintrittsbarrieren für potentielle neue Teilnehmer. Wir leben in einem Oligopol, in dem multinational operierende Unternehmen herrschen. Der freie Markt, das ist in den Industrienationen bestenfalls Realität für Handwerker, Friseure und Gastwirte, für nichts weiter.

Und, ein Jeder muss ein Kaufmann sein, ist quasi zur aggressiven Selbstvermarktung und zur Anpassung an eine Aufmerksamkeitsökonomie gewungen, denn Profit und Wachstum sind die Führungsgrößen der neoliberalen Gleichschaltung. Der Glaube an den Markt als übergeordnete Rationalität entbindet von der Verantwortung, sich selbst als Individuum über die Welt Gedanken zu machen. Es ist ja sowieso der Markt, der sich um alles kümmert.

Der Ökonom Wolfram Elsner schält jenseits der Selbstwidersprüche und der Heilsversprechen von Vielfalt, Freiheit und Pluralität die Strategie des Neoliberalismus prägnant heraus: Die „politische und gesellschaftliche Strategie“ des Neoliberalismus „besteht darin, den Druck auf die Menschen durch gesellschaftlichen und staatlichen Verfall so zu erhöhen, dass sie durch nichts mehr vom täglichen Kampf ums Überleben abgelenkt werden können. Für die Not, Scham, Erschöpfung und Zukunftsängste der einfachen Menschen bieten die 'Neo-Liberalen' dann ihre umso autoritäreren staatlichen Rettungsversprechen an. Das Prinzip, auch noch die politische Ernte der eigenen bewussten Staats- und Gesellschaftszerstörung einzufahren, hat bei Thatcher, Reagan und Bush I und II funktioniert und funktioniert heute wieder bei den Tea-Party-Fundamentalisten, die die USA …. ins Mittelalter“ zurückzuzerren versuchen. „Seine bewussteren, kämpferischen Opfer und Gegner passen ohnehin nicht in die brave new world des 'Neo-Liberalismus'.“[xcii]

Hier sind auch die zerstörerischen Folgen des Neoliberalismus für die Demokratien schon benannt, die Diskreditierung des Staates als ökonomischer Akteur [xciii] sowie die durch Wendy Brown in jüngerer Zeit so deutlich herausgearbeiteten ideologischen Zerrüttungen.[xciv] Das scheinbar Paradoxe daran ist, 'die Eliten des Neoliberalismus' wissen bereits um ihr kommendes Scheitern, zumindest partiell. „Wie können Neoliberale das Geoengineering vorantreiben und gleichzeitig die Klimaerwärmung leugnen? Weil sie ein breitgefächertes Spiel treiben, wie es niemand auf der Linken vermag“, so der Wissenschaftshistoriker Philip Mirowski. „Weil sie es gründlich durchdacht haben. Sie benutzten den Staat, um uns in eine Lage zu manövrieren, in der Unternehmer und Wissenschaftler gemeinsam eine Art von Science-Fiction-Lösungen anstreben. Karbonemissionen werden nicht reduziert, aber der Wille des Marktes geschieht. Es ist ein in sich schlüssiges Programm.“[xcv]

Unabhängig davon, ob der Kapitalismus und damit auch der ihn treibende neoliberale Ideologiebrei an sich selbst scheitern werden oder am Klimawandel und der sich abzeichnenden Verknappung von Rohstoff- und Energieressourcen [xcvi,xcvii], stellen sich die Fragen, wie diese Entwicklungen politisch beantwortet werden müssen, wie Neoliberalismus und Kapitalismus einer Dekonstruktion unterworfen werden können und nicht zuletzt, wie wir unser Denken verändern können.

Die klassische Linke verkennt auf gefährliche Weise den Neoliberalismus, wenn sie ihn als eine simpel gestrickte bürgerliche Klassenkampfideologie bezeichnet. Gleichwohl mag es nach wie vor gute Gründe für die Argumentation mit Klassen und Klassenzugehörigkeiten geben.[xcviii,xcix] Jedoch unterschätzen linke Bewegungen zum einen chronisch den subjektiven Faktor des Ehrgeizes des Einzelnen und verkennen andererseits, dass der gesamtgesellschaftliche Trend zur Individualisierung bereits so weit fortgeschritten ist, durch den Erfolg des Neoliberalismus so weit vorangetrieben wurde, dass es für das Individuum zunehmend schwieriger wird, sich zu einer und nur einer Interessengruppe oder überhaupt zu einer Gruppe zugehörig zu fühlen. Kein 'Arbeiter' – der Arbeiter als wesentliches Element des Industrieregimes - rechnet sich mehr zu einem allgemeinen Proletariat, auch wenn er faktisch und ökonomisch betrachtet zu einer bestimmten Einkommensgruppe der abhängig Beschäftigten gehört. Mit Daniel Bell lautet „ … die theoretische – und praktische – Frage … nun, welche Faktoren heute einen Wandel in der Gesellschaft herbeiführen“ können. „Jedenfalls nicht Klassenverhältnisse und Klassenbildungen, denn diese sind ihrerseits nur das Ergebnis von Änderungen, die teils von Wissenschaft und Technologie … bewirkt werden“.[c] Es gilt also, neue Wege zu finden, stabile politische Mehrheiten zu schmieden. Grundvoraussetzung dafür ist eine Anerkennung der Existenz des ungeliebten Status Quo, anstatt unsere Mitmenschen in die geistige Gefangenschaft der Erinnerung an das eindimensionale politische Links-Rechts-Schema zu nehmen. Und dabei hilft es nicht, von linker Seite her neuere Bewegungen wie die Piraten als postpolitisch zu diskreditieren. Das Urteil 'postpolitisch' fußt auf den ideologischen Kriterien und Gruppenbildungen des Industrieregimes, das im Niedergang begriffen ist. Bezogen auf das Informationszeitalter passt das Attribut 'präpolitisch' besser. Denn die Politik des Informationszeitalters muss erst entwickelt werden. Dazu ist es notwendige Grundbedingung, Zukunft zunächst von der Technologie aus zu denken, um überhaupt die Chance zu haben, einen reflektierten Übergang vom Industrieregime in das Informationszeitalter zu schaffen im Sinne einer zweiten Aufklärung. Der Übergang vom Agrarregime in das Industrieregime geschah unreflektiert. Einen weiteren unreflektierten Übergang können wir uns – als menschliche Art – nicht leisten, er führt in ein technokratisches Zeitalter, nicht in ein technologisches. Die Muster, die sich aus der existierenden neoliberal-kapitalistischen Konfiguration ergeben, sind immer diejenigen von Oligopolen, und es wird immer noch in den Dimensionen von zentralisiert geführten technischen Großanlagen gedacht. Die Frage der Strukturen – der Netze – und das nicht nur im Informationsbereich – ist eng gekoppelt an die Fragen nach Macht und Verantwortung und ihrer Verteilung. Damit ergibt sich auch die Frage nach der Subsidiarität und der Rolle der Regionen bei Selbstgestaltung und Selbstverwaltung, die Rolle der Kommunen. Auf einer abstrakten Ebene ist Netzpolitik immer auch globale Kommunalpolitik. Wir haben – zum ersten Mal in der Geschichte – mit dem weltumspannenden Kommunikationsnetz die technischen Möglichkeiten, eine Demokratie der Vielen zu realisieren. Das funktioniert aber nicht – so die enttäuschten Erwartungen an die Piratenpartei sowie die Erwartungen der Piraten selbst an ihre eigene Partei – von heute auf morgen. Eine Demokratie der Beteiligung der Vielen, eine demokratisierte Wirtschaft, eine Wirtschaftsdemokratie, ist keine Halbjahresaufgabe für eine kleine Bewegung oder Partei sondern ein historischer Auftrag. Die wesentliche Aufgabe der Zukunft wird darin bestehen, Expertenwissen und Bürgerentscheidungen demokratisch zusammenzubringen. Denn die Eliten des Establishments des Industriezeitalters, die politischen Eliten, die wissenden Eliten und die Eliten des Vermögens sind gerade dabei, phänomenal zu versagen. Dazu bedarf es der Entwicklung eines Pluralitätsmanagements im Sinne des von Jacques Attali in die Diskussion eingebrachten Begriffs der multidimensionalen Demokratie. Bezogen auf die durch die Aufklärung und in ihrem Nachgang erkämpften Begrifflichkeiten von Freiheit und Solidarität – von einer Realität dieser Begriffe kann im globalen Zusammenhang heutzutage kaum die Rede sein – ist Netzpolitik wertkonservativ. Denn Teilhabe an Politik und Gesellschaft, Mündigkeit, ein Zugang zu Bildung für alle, entspringt den Werten der Aufklärung.

Gleichwohl steht Netzpolitik auch für eine konstruktive Weiterentwicklung dieser Begrifflichkeiten und ihrer Umsetzung in die politische Praxis.

„Im Augenblick können wir nichts weiter tun, als die eine oder andere utopische Vi­sion einer non-neoliberalen, aber technikfreund­lichen Welt zu entwickeln, uns überlegen, wie so eine aussehen könnte“, schreibt der Internettheoretiker Evgeny Morozov im Angesicht der weltweiten neoliberalen Oligopole und Kapitalnetzwerke.[ci]

Netzpolitik ist aber mehr. Sie sollte sich damit nicht zufrieden geben, sondern Konzepte und Projekte tatsächlich entwickeln und sie nicht nur in den politischen Diskurs sondern auch in die Parlamente, in die Herzen unserer Demokratien tragen, von den Kommunen bis in die Staaten und Staatenbünde.

Darüber hinaus muss der Neoliberalismus überall argumentativ gestellt werden. Denn seine Durchschlagskraft kommt aus Geheimhaltung, Verschwiegenheit und Intransparenz. Er verbirgt sich offen im Rauschen des Netzes.

Verantwortungsvolle Netzpolitik akzeptiert und bejaht Vielfalt, sie agiert nach dem Primat der Praxis als Kriterium offener Erfahrung – gegen Theorielastigkeit, jedoch mit Theoriekritik. Netzpolitik ist genuin antifundamentalistisch.

Basisdemokraten und Hacker aller Länder, verteilt und vervielfältigt Euch! Hack the System! Transform the System!



p.s.: Quellen wurden nicht übernommen, können jedoch nachgereicht werden. Link zum pdf: http://wiki.piratenpartei.de/wiki/images/3/32/MF_Netzpolitik_v01.pdf

Antragsbegründung

Nicht nur nach meiner Auffassung brauchen die Piraten ein Manifest - anbei ein Textvorschlag, der ausgeschlachtet, weiterentwickelt, etc. werden kann. Er stellt dar und begründet, warum der Begriff Netzpolitik weiter gefasst werden soll als es bislang die Meisten tun, die diesen Begriff verwenden. Netzpolitik ist die Form der Politik für das Informationszeitalter.

Diskussion

  • Vorangegangene Diskussion zur Antragsentwicklung: {{{diskussionVorher}}}
  • [{{{antragsdiskussion}}} Pro-/Contra-Diskussion zum eingereichten Antrag]


Konkurrenzanträge