Archiv:2009/Webredaktion/Statischer Content/Privatsphäre/Gläserner Bürger

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Redakteur: Tina wurde im Rahmen einer Anfrage von extern verfasst

Der gläserne Mensch wird durch eine Vielzahl von Maßnahmen "gläsern". Einerseits durch staatliche Maßnahmen denen man sich i.A. nicht entziehen kann und die in vielen Fällen auch präventiv eingesetzt werden (also bevor jemand eine Straftat begeht), andererseits durch Maßnahmen der Privatwirtschaft als Arbeitnehmer sowie als Kunde.


    • Überwachung**

Von staatlicher Seite wurden vor allem in den letzten 20 Jahren verstärkt Überwachungsmaßnahmen initiiert und zentrale Datenbanken aufgesetzt. Die Begründung für solche Maßnahmen ist üblicherweise die innere Sicherheit. Die Maßnahmen sollen entweder zur Strafverfolgung bzw. -prävention. Hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Gesetze (Quelle (mit Erläuterungen): [1])

  • Rasterfahndung 1992
  • Schleierfahndung 1995
  • Videoüberwachung 1995
  • Großer Lauschangriff 1998
  • Terrorismusbekämpfungsgesetz 2001
  • Geldwäschegesetz 2002
  • Automatische Nummernschilderkennung 2002 (erster Versuch in Bayern)
  • Passagierdatenweitergabe 2004
  • Provider-Auskunft 2005
  • Kontenabruf 2005
  • Biometrischer Reisepass 2005
  • Hartz IV Fortentwicklungsgesetz 2006
  • Prümer Vertrag 2006 (Abkommen zwischen EU-Staaten zur Datenweitergabe)
  • Antiterrordatei 2006
  • Körpergeruchsproben 2007
  • Elektronischer Reisepass 2007
  • Steuer-Identifikationsnummer 2007
  • Elektronische Lohnsteuerkarte 2007
  • Bundespolizeigesetzänderung 2007
  • Vorratsdatenspeicherung 2007
  • Seerecht-Verschärfung 2008
  • Datenaustausch zw. BRD und USA 2008
  • Durchsetzung geistigen Eigentums 2008 (Auskunftsanspruch für Privatinhaber)
  • Aushöhlung der ärztlichen Schweigepflicht 2008 (Meldung "selbstverschuldeter

Krankheiten")

  • Biometrischer Personalausweis 2008
  • Schüler-Identifikationsnummer 2008 (Bayern zuerst, Datenbanken auch in

Hamburg, geplant in Berlin)

  • BKA-Gesetz 2008 (u.a. Onlinedurchsuchung)
  • Einschränkung der Versammlungsfreiheit in Bayern und BaWü 2008 (andere

Bundesländern folgen)

  • Elektronische Gesundheitskarte 2009
  • Internetsperren 2009
  • elektronischer Entgeltnachweis ELENA 2009/10
  • INDECT - Forschungsprojekt der EU [3]

Der Großteil der Maßnahmen sind nach den Anschlägen in New York im September 2001 erlassen worden, meist mit der Begründung, dass sie notwendig sind um ins vor dem internationalen Terrorismus zu beschützen. Abgesehen von der schieren Masse der Maßnahmen liegt Gefahr in den modernen Möglichkeiten der Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung. Durch die leichte Vernetzung von Datenbanken ist es möglich komplette Persönlichkeits- und Bewegungsprofile zu erstellen (ein Beispiel dafür ist die Vorratsdatenspeicherung, siehe unten). Das größte Problem dabei ist, dass unbescholtene Bürger unter Generalverdacht gestellt werden. Ein Grundprinzip des Rechtstaat, die Unschuldsvermutung, wird damit ausgehebelt. Auch die Verhältnismäßigkeit ist davon berührt. Der Staat darf die Grundrechte der Bürger nur einschränken, wenn eine Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen ist. Genau das wird von Kritikern bei den meisten Gesetzen jedoch in Frage gestellt. Insbesondere das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird immer wieder ausgehebelt.

Einige Beispiele:

  • Telefonüberwachung*

Die Telekommunikationsüberwachung wurde mit dem Großen Lauschangriff erstmals im großem Umfang ermöglicht. Die Verabschiedung des Gesetzes führte zum Rücktritt der damaligen Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Folgende Gesetze betrafen die Quellen-Telekommunikationsüberwachung, die auch die Überwachung von verschlüsselter Kommunikation ermöglicht. Präventive Überwachung ist mittlerweile auch möglich. Zur Telekommunikationsüberwachung gehört auch die Vorratsdatenspeicherung (siehe unten).

weiterführende Links: http://www.blaetter.de/artikel.php?pr=2742 http://hp.kairaven.de/law/grosser_lauschangriff.html http://blog.kairaven.de/archives/1444-Bullshit-Propaganda-zur-Online-Durchs[..]

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/7/7630/1.html http://www.cloeser.org/ext/Referat%20%A7%2034a%20SOG%20M-V.pdf

  • Videoüberwachung*

Die Anzahl der Videokameras im öffentlichen Raum hat in den letzten Jahren wahrscheinlich zugenommen, genaue Zahlen dazu sind allerdings schwer zu bekommen. Meist werden Kameras angebracht um Verbrechen zu verhindern bzw. aufzuklären. Die Theorie ist, dass Menschen von Straftaten absehen wenn sie wissen, dass sie leichter erwischt werden wenn Videokameras vor Ort sind. Es gibt allerdings noch wenig Forschungsergebnisse, die diese Annahmen belegen [4]. In London, die Stadt mit der höchsten Dichte an Videokameras überhaupt, wurde im Jahr 2008 genau eine Straftat aufgrund der Kameras aufgeklärt [2].

weiterführende Links: http://www.ccc.de/surveillance/?language=de/ https://www.foebud.org/video/

  • Kontenabruf 2005*

Der Kontenabruf ermöglicht es staatlichen Stellen (z.B. das Finanzamt) bei Privatbanken Kontostammdaten abzufragen. Das kann u.a. aus folgenden Gründen passieren: Steuerverfahren, Sozialhilfe, Sozialversicherung, Wohngeld, Ausbildungsförderung (BaföG). Die Anzahl der Kontenabfragen hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen [5]. Verbunden mit der Kontenabfrage ist die Steuer-Identifikationsnummer (siehe unten).

  • Hartz IV Fortentwicklungsgesetz 2006*

Dieses Gesetz ist ein besonders krasses Beispiel für den Zugriff des Staates auf die persönlichen und sensiblen Daten. Vor der Einführung des Arbeitslosengeldes II war es Sache der Sozialbehörden nachzuweisen, ob Menschen in einer eheähnlichen Gemeinschaft leben. Seit Hartz IV existiert der Begriff der "Bedarfsgemeinschaft". Abgesehen von sozialrechtlichen Fragwürdigkeit dieses Konstrukt liegt es nun in der Verantwortung der ALG-II-Bezieher, dass sie _nicht_ in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Im Zuge dessen können sie verpflichtet werden nicht nur ihre sondern im Zweifelsfall auch die persönlichen Daten von Mitbewohnern dem Amt preiszugeben (eine normale WG reicht aus um im Verdacht zu sein in einer Bedarfsgemeinschaft zu leben). Außerdem ermöglicht das Gesetz einen automatisierten Datenabgleich bezgl. Auslandskonten und beim Kraftfahrtbundesamt um zu prüfen ob ein Antragsteller einen angemessenen Wagen fährt. Dieses Gesetz ist von den Datenschutzbeauftragten der Länder kritisiert worden, da es Arbeitssuchende unter Generalverdacht stellt[6].

weiterführende Links: https://agora.free.de/sofodo/themen/erwerbslosigkeit/201ehartz-iv-fortentwi[..]

http://www.bfdi.bund.de/cln_111/sid_029FFF19D14C33A1E45135264964FF31/DE/The[..]


  • Steuer-Identifikationsnummer 2007*

Seit dem 1. August 2008 erhält jeder Bürger eine eindeutig Steuernummer, die lebenslang (+20 Jahre) gültig ist. Obwohl die Nummer selbst keine codierten Daten enthält, ist sie gefährlich, da sie im Prinzip eine Personenkennzahl ist (lebenslang gültig, eindeutig). Es ist nicht kontrollierbar wo und wie weit sich die Steuer-ID verbreiten wird und wo sie in Zukunft gespeichert und genutzt wird. Bereits 1976 hat die BRD versucht nach dem Beispiel der DDR ein solche Personenkennzahl einzuführen. Dieses Vorhaben wurde vom Rechtsausschuss des Bundestages aufgrund des Mikrozensusurteils gestoppt. In dem Urteil steht: "Mit der Menschenwürde wäre es nicht zu vereinbaren, wenn der Staat das Recht für sich in Anspruch nehmen könnte, den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren." Die Humanistische Union hat gegen die Steuer-ID ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht angestrengt [7].

  • Vorratsdatenspeicherung 2007*

Die Vorratsdatenspeicherung ist meiner Meinung nach eines der schlimmsten Überwachungsgesetze überhaupt der letzten Jahre, da die gesamte elektronische Kommunikation jedes einzelnen Bürgers aufgezeichnet und für 6 Monate gespeichert wird. Als wäre das noch nicht schlimm genug, werden die dabei anfallenden Daten nicht etwas bei staatlichen Stellen sondern bei den Providern gespeichert. Datenschutzskandale sind damit vorprogrammiert. Der Chaos Computer Club hat die Probleme in einem Gutachten für das Bundesverfassungsgericht zusammengefasst [8] (es läuft eine Massenklage gegen die VDS). Abgesehen vom durch die VDS verursachten Eingriff in die Grundrechte, sind diese Datenberge noch aus anderen Gründen gefährlich. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bereits klargemacht, dass diese Daten nur für die Verfolgung schwerer Straftaten genutzt werden dürfen, doch ist die Wunschliste der Strafverfolger und der Privatwirtschaft lang. [10] und [11]

  • Überwachung am Arbeitsplatz*

In den letzen Jahren sind einige Fälle ans Licht gekommen, wo Arbeitgeber ihre Mitarbeiter mittels Videokameras überwacht haben, z.B. [12].


Last but not least möchte ich dir noch das aktuelle Buch von Ilja Trojanow und Juli Zeh empfehlen: Angriff auf die Freiheit. Die beiden Autoren beschreiben sehr anschaulich welche Grundsätze und Weltanschauung der zunehmenden Überwachung zugrunde liegen und warum das eine massive Gefahr für die Demokratie ist.


    • Datenschutz**

Datenschutzskandale gab es in letzter Zeit mehr als einen [9]. In der Privatwirtschaft ging es schon um die Daten von Arbeitnehmern aber auch von Kunden. Oftmals fehlt die nötige Sensibilität beim Umgang mit persönlichen Daten (das größte Sicherheitsrisiko sitzt immer noch vor dem Computer). Die andere Seite des Problems ist, dass auch die technischen Lösungen fehleranfällig oder nicht up-to-date sind. Am wichtigsten ist jedoch dass der Grundsatz der Datensparsamkeit oft nicht eingehalten wird (Daten die nicht erhoben werden, können auch nicht verloren gehen.

  • Verbraucherdatenschutz*

Zu diesem Thema gab es im September den OptOutDay. Ich verweise an dieser Stelle einfach mal auf das Infoblatt was in Mittelfranken ausgeteilt wurde. Dort wird auch das Thema "gläserner Kunde" angesprochen sowie das Listenprivileg. [13] (Die Aussagen beziehen sich zwar auf das bayerische Meldegesetz, das gibt es aber in allen Bundesländern.)

weiterführende Links: Veröffentlichungen zu Verbraucherdatenschutz, Scoring, usw, https://www.datenschutzzentrum.de/ldsh/infomaterial.htm

  • Arbeitnehmerdatenschutz*

Es gibt in Deutschland noch kein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, daher sind Arbeitnehmer gezwungen sich an der laufenden Rechtssprechung zu orientieren [14]

weiterführende Links: http://www.bfdi.bund.de/cln_111/sid_029FFF19D14C33A1E45135264964FF31/DE/The[..]


    • Allgemeine Quellen:**

Wiki des AK Vorratsdatenspeicherung: http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Hauptseite

Aktion gegen die elektronische Gesundheitskarte: http://www.stoppt-die-e-card.de/

Podcasts des CCC zu verschiedenen Themen: http://chaosradio.ccc.de/

Juli Zeh, Ilja Trojanow Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte, ISBN 978-344-623-41-85 Podcast bei Chaosradio Express: http://chaosradio.ccc.de/cre135.html

    • Einzelnachweise:**

[1] http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Chronik_des_Überwachungsstaates [2] http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/england/london/8219022.stm [3] http://www.indect-project.eu/ und http://www.gulli.com/news/indect-wie-die-eu-die-2009-09-24/ [4] Magisterarbeit: http://www.foebud.org/video/magisterarbeit-florian-glatzner.pdf/ [5] Kleine Anfrage der FDP: http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP16/208/20894.html [6] https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20060526-arbeitssuchende.htm [7] http://www.humanistische-union.de/themen/datenschutz/steuer_id/ [8] Seite mit Link zum Gutachten und Podcast-Interview mit einem Autor: http://www.netzpolitik.org/2009/netzpolitik-podcast-080-frank-rieger-ueber-[..]

[9] http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Chronik_der_Datenskandale [10] http://www.nerdcore.de/wp/2008/04/08/trotz-der-einschrankung-der-vorratsdat[..]

[11] http://www.gulli.com/news/holzklotz-mord-10-000-b-rger-2008-07-22/ [12] http://www.wiwo.de/unternehmer-maerkte/lidl-ist-ueberall-273189/ [13] http://wiki.piratenpartei.de/Mittelfranken/AG_Öffentlichkeitsarbeit/Infomat[..]

[14] http://www.bfdi.bund.de/cln_111/sid_029FFF19D14C33A1E45135264964FF31/DE/The[..]