BY:Servicegruppe Recherche/StudentenAusgabenBayern2009

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Ausgaben bayerischer Studenten 2009

Quelle: http://www.sozialerhebung.de/pdfs/Soz19_Ga_Bayern.pdf
  Durchschnitt Untergrenze Obergrenze
Miete 293,30 0,00 bis 800,00
Ernährung 161,10 0,00 über 200,00
Kleidung 55,00 0,00 über 100,00
Lernmittel 35,90 0,00 über 50,00
Auto 117,30 0,00 über 125,00
öffentliche Verkehrsmittel 48,60 0,00 über 50,00
Krankenversicherung 61,70 0,00 bis 50,00
Kommunikation 35,40 0,00 über 50,00
Freizeit 67,5 0,00 über 125,00

Angaben über die Höhe der Studiengebühren gibt es in diesem Bericht nicht.

Studiengebühren als Hinderungs- und Abbruchsgrund

Markus Rother, Februar 2010

Befürworter von Studiengebühren behaupten oft, Studiengebühren wirkten weder sozial selektiv, noch würden sie Abiturienten vom Studieren abhalten. Schließlich stünde jedem im Bedarfsfall ein BAföG-finanziertes Studium offen. Diese Behauptungen sind sachlich unzutreffend, wie zahlreiche Studien belegen. Finanzielle Engpässe sind häufig Hindernis- und Abbruchsgrund eines Studiums. Dies ist ein schon seit längerem bekanntes und kritisiertes Problem, ebenso wie die kontinuierlich fallende Studierquote. Trotzdem sendet die Politik mit der Verteuerung des Hochschulstudiums ein vollkommen falsches Signal und übersieht dabei die kaum zu unterschätzenden gesamtwirtschaftlichen Kosten einer Abnahme der Anzahl der Hochschulabsolventen bei fehlenden staatlichen Investitionen in den Bildungssektor.

Häufiger Studienverzicht aus finanziellen Gründen

Eine im November 2009 veröffentlichte Vorabauswertung einer von der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) durchgeführten Befragung von 6100 Abiturienten untersucht die Ursachen, die Schulabgänger von der Aufnahme eines Studiums abhalten (HIS 11/2009: „Studienberechtigte 2008 (Vorabauswertung)“). „Insgesamt wird deutlich, dass den finanziellen Studienverzichtsaspekten sehr häufig eine hohe Bedeutung zukommt,“ heißt es in dem Projektbericht (HIS 11/2009, S. 2). Bei beachtlichen 77% der Studienberechtigten, die auf ein Studium verzichten, sprechen die finanziellen Voraussetzungen „stark“ oder „sehr stark“ für diese Entscheidung. Auch Studiengebühren sprechen bei 69% gegen die Aufnahme eines Studiums (Mehrfachnennungen waren möglich). Unter den vier meistgenannten Gründen gegen einen Studienbeginn waren außerdem der Wunsch, sich nicht zu verschulden, sowie möglichst bald eigenes Geld zu verdienen. Finanzielle Erwägungen stehen damit sehr deutlich an erster Stelle (HIS 11/2009, S. 20).

Sinkende Studierquote seit 1980

Zurecht bezeichnete die Zeitschrift „Der Spiegel“ die Ergebnisse bei Bekanntwerden der Studie als „alarmierend“ (Der Spiegel: „Geldsorgen halten Abiturienten vom Studium ab“ 04.12.2009), und es stellt sich unweigerlich die Frage, wie eine hochentwickelte, rohstoffarme Nation wie Deutschland es sich überhaupt leisten kann, ihre potentiellen Studenten abzuschrecken. Dabei hatte das HIS bereits im April 2008 in einer ähnlichen Erhebung festgestellt, dass Studiengebühren die Aufnahme eines Studiums weniger attraktiv machen (HIS 2008: „Studienberechtigte 2006 – ein halbes Jahr nach Schulabschluss“). Umrahmt wird dies von dem Trend einer kontinuierlich fallenden Studierquote. Von 1980 bis 2004 ist der Anteil derer, die innerhalb von vier Jahren nach Erwerb ihrer Hochschulzugangsberechtigung kein Studium aufnehmen, von 13% auf 29% bei Männern und von 22% auf 34% bei Frauen angewachsen (Statistisches Bundesamt 2009: „Nichtmonetäre hochschulstatistische Kennzahlen“) – in der Tat alarmierend.

Jeder fünfte Studienabbruch aufgrund von Geldsorgen

Der Finanzierungsdruck betrifft aber nicht nur die potentiellen Studienanfänger, er stellt auch einen der Hauptgründe für den Studienabbruch dar, wie aus einer weiteren Studie des HIS hervorgeht (HIS 12/2009: „Ursachen des Studienabbruchs in Bachelor- und in herkömmlichen Studiengängen“). „Etwa jeder fünfte Studienabbrecher gibt als entscheidenden Grund für das Verlassen der Hochschule Finanzierungsprobleme an“ (HIS 12/2009, S. 24). In der hier zitierten Studie von 2009 wird mehrfach auf die schwierige Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Studienverpflichtungen hingewiesen. Diese trete insbesondere dann hervor, wenn in einer späteren Phase des Studiums etwa die Höchstförderdauer bei Bezug von Leistungen nach dem BAföG überschritten wird oder die Zinsen für Bildungskredite anwachsen, und diese Ausfälle dann durch Jobs kompensiert werden müssen – zu Lasten der Studienverpflichtungen (HIS 12/2009, S. 26). Besonders auffällig sind die finanziellen Schwierigkeiten der Studenten an Fachhochschulen. Deren Geldsorgen seien im Wesentlichen „auf die soziale und demographische Zusammensetzung der dort Studierenden zurückzuführen“, da dort die Studenten öfter aus einkommenschwächeren und bildungsfernen Elternhäusern stammten (HIS 12/2009, S. 25).

Während Absolventen der Universitäten und Fachhochschulen zu 49% vorwiegend durch Eltern finanziert werden, ist dies bei Studienabbrechern nur zu 38% der Fall. Der Anteil der eigenen Erwerbsarbeit an der Studienfinanzierung ist bei beiden Gruppen annähernd gleich groß. Die geringere elterliche Unterstützung wird im statistischen Mittel nicht durch Jobs kompensiert, wie man vermuten könnte, sondern durch den Bezug von Leistungen nach dem BAföG. Man könnte daraus folgern, das BAföG würde Studenten aus einkommensschwachen Familien erfolgreich auffangen, und tatsächlich spielen finanzielle Gründe unter den BAföG beziehenden Abbrechern eine eher untergeordnete Rolle (HIS 12/2009, S. 136).

Was geschieht mit denen, die kein BAföG bekommen?

Was die Studie jedoch nicht erfasst, ist ob bei denjenigen Studenten, die einer Erwerbsarbeit zur Finanzierung ihres Studiums nachgehen, überhaupt ein Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG besteht, also ob es sich bei ihrem Job um einen freiwilligen Zuverdienst handelt oder um eine existenzielle Notwendigkeit. Dabei ist naheliegend, dass der Konflikt zwischen Arbeit und Studium erst zu einem Abbruch führt, wenn die akute finanzielle Lebensgrundlage in Gefahr ist. Eine Kennzahl aus der HIS-Studie unterstützt diese Vermutung: Bei 38% der Studienabbrecher, deren hauptsächliche Finanzierungsquelle eine Erwerbsarbeit war, waren auch finanzielle Probleme ausschlaggebend für die Aufgabe des Studiums (HIS 12/2009, S. 137). Man kann davon ausgehen, dass so gut wie jeder Student den Bezug von BAföG dem vorzeitigen Studienabbruch vorziehen würde, wenn er denn Anspruch auf die staatlichen Leistungen hätte. Dann wäre der Grund vieler Studienabbrüche in einer unzureichenden Ausgestaltung des BAföG und einer zu hohen finanziellen Last auf den Studenten zu suchen. Diesen Themenkomplex umgeht die Studie. Sollte es aber tatsächlich der Fall sein, dass bei vielen Studenten trotz studienkritischer finanzieller Probleme kein Rechtsanspruch auf ausreichende Leistungen nach dem BAföG besteht, erlischt unter den gegebenen Bedingungen aber auch die realistische Möglichkeit, den Anspruch auf ein Hochschulstudium als solches zu verwirklichen.

Neue Studienbedingungen als zusätzliche Erschwernis

Die Bologna-Reform bereitet einem selbstfinanzierten Studium weitere Hindernisse. Anwesenheitspflichten, kürzere Regelstudienzeiten und höhere Leistungsanforderungen lassen immer weniger Zeit für einen Job neben dem Studium, bei einer erhöhten Gefahr an den Prüfungsanforderungen zu scheitern. Auch das HIS stellt in seinem Projektbericht fest, „dass die neuen Studienanforderungen in diesen Studiengängen die Erwerbstätigkeit erschweren“ (HIS 12/2009, S. 136). Beachtet man, dass erst seit dem Wintersemester 2009/10 vier Fünftel der Studiengänge einer neuen, Bologna-konformen Studienordnung unterliegen, sind die Aussichten düster.

Ausfinanzierung vergeblich gefordert

Aus einer längerfristigen, gesamtwirtschaftlichen Perspektive erscheint die gegenwärtige Bildungspolitik als vollkommen unverständlich. Dass von mehr und besser ausgebildeten Menschen auch die nationale Volkswirtschaft profitiert, könnte eine Bauernweisheit sein, aber die Forderungen nach einer staatlichen Ausfinanzierung der Schulen und Universitäten verhallen ungehört in der Arena der Realpolitik. „Die zusätzlichen Studierenden, die Deutschland dringend braucht, müssen aus den hochschulfernen und einkommensschwächeren Schichten rekrutiert werden“, mahnte Prof. Dr. Rolf Dobischat, der Präsident des Deutschen Studentenwerks vor drei Jahren und forderte, die soziale Komponente neben Forschung und Lehre zu einer dritten Säule des universitären Bildungssystems zu erheben – vergeblich (Deutsches Studentenwerk: Statement des Präsidenten des Deutschen Studentenwerks, Pressekonferenz, Berlin, 19.06.2007).

Die Rechenkünste der Minister

Im Herbst 2008 kündigten Kanzlerin und Minister auf einem Bildungsgipfel in Dresden an, die Bildungsausgaben bis 2015 auf 10% des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Konkrete Aussagen zur Finanzierung wurden nicht gemacht. Ein Jahr später kam der bahnbrechende Vorschlag dazu von der Finanzministerkonferenz: Durch eine kreative Bilanzierung sollten Pensionen für Lehrer sowie gewisse Steuererleichterungen und sogar das Kindergeld für Volljährige fortan zu den Investitionen in Bildung gerechnet werden. Das zehn-Prozent-Ziel war ohne einen Euro Mehrausgaben damit über Nacht nicht nur erreicht, sondern übertroffen worden (Der Spiegel 22.10.2009: „Finanzminister rechnen Bildungsausgaben schön“).

Wie schlaue Bildungspolitik aussehen sollte, verdeutlicht dagegen u.a. die jüngste Studie der OECD, indem sie am Beispiel der PISA-Erhebung für Schulen zeigt, welche enormen volkswirtschaftlichen Gewinne nur wenige PISA-Punkte zusätzlich versprächen (OECD 2010: „The High Cost of Low Educational Performance“, Vgl. auch: Bertelsmann Stiftung 2009: „Was unzureichende Bildung kostet“). Genau hierin steckt aber ein Paradoxon, welches schließlich alle Facetten der Misere unserer Bildungspolitik erklärt: Bedauerlicherweise sind es gemäß der PISA-Studie ja gerade die Deutschen, die nicht rechnen können.