SH:Aufgaben/Presse/PU20120923-01

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Landtag verweigert die Ankunft im 21. Jahrhundert

Patrick Breyer, Vorsitzender der Piratenfraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, informiert im Blog der Fraktion über die Sitzung des Ältestenrats vom 19. September 2012. Dieser Beitrag hat es in sich, denn zukünftig werden Berichte über Ältestenratssitzungen nicht mehr möglich sein, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Bereits zuvor wurde Patrick Breyer dafür gerügt, dass er öffentlich über die Themen im Ältestenrat schreibt.

Um dies dauerhaft zu verhindern, wollen die übrigen Fraktionen sämtliche zukünftigen Beratungen, Protokolle und Unterlagen als vertraulich einstufen und den Ältestenrat dadurch offiziell zu einem Geheimrat machen. Ein Verstoß gegen die neue Regelung wird mit Ausschluss aus dem Gremium für bis zu drei Sitzungen geahndet, der sowohl für den betroffenen Abgeordneten als auch für seine möglichen Vertreter gelten soll.

Der Ältestenrat ist eines der wichtigsten Gremien des Parlaments. Dort werden Sprechzeiten festgelegt, Themen und Reihenfolge der Tagesordnung für das Plenum abgestimmt sowie die Finanzen und andere den Landtag betreffende Angelegenheiten besprochen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, diese Inhalte vor der Öffentlichkeit verborgen zu halten. Im Gegenteil! Die Bürger haben ein moralisches Recht darauf, zu erfahren, wie ihre gewählten Vertreter in der Praxis agieren. Solange keine sicherheits- und beschäftigtenbezogenen Dinge diskutiert werden, sollte es selbstverständlich sein, sich über wesentliche Abläufe im Landtag auf einfache Weise informieren zu können. Stattdessen setzen die etablierten Fraktionen alles in Bewegung, um die jahrelang gelebte Kultur der verschlossenen Türen zu erhalten. Sie wollen sich nicht in die Karten schauen lassen. So war es schon immer und so soll es bleiben.

Eine weitere Reise in die parlamentarische Steinzeit wurde anschließend im Innen- und Rechtsausschuss veranstaltet, wo man statt über den Geschäftsordnungs-Antrag der PIRATEN zur Verbesserung der Transparenz über den gemeinsamen Gegenantrag der anderen Fraktionen beriet. Was dort an Argumenten vorgebracht wurde, um Notebooks aus dem Plenum zu verbannen und die Interaktion in sozialen Netzwerken zu steuern, ist wirklich abenteuerlich: Einerseits werden "klackernde" Tastaturen und hochgeklappte Displays als störend empfunden, andererseits polemisches Gemurmel, laute Zwischenrufe, und durch das Lesen von Akten zur Schau gestelltes Desinteresse zur Politkultur gezählt.

Man fürchtet Paralleldiskussionen im Internet, mit denen Altpolitiker überfordert wären und die grundsätzlich als Diffamierung anzusehen seien. Eine gesprochene rhetorische Spitze gelte als wünschenswert im Austausch der parlamentarischen Kultur, ein sarkastischer Tweet widerspreche jedoch den bisher unausgesprochenen Regeln des parlamentarischen Miteinanders. Insgesamt kann man sagen, dass die „Würde des Landtags“ als Schild gegen die drohende Transparenz getragen wird.

Wie die Piratenfraktion diese Würde durch ihre Anträge und fortschrittliche Art der Kommunikation mehr beschädigen kann, als jahrzehntelange Intransparenz und daraus resultierende politische Skandale dies getan haben, blieb offen. Angesichts der widersprüchlichen Argumentation, der parallelen Diskussion über die Anschaffung von Pads für alle Abgeordneten und den Gegenstimmen aus eigenen Reihen, drängt sich der Eindruck auf, dass es den Initiatoren dieses Unsinns nur um eins geht, nämlich um die öffentliche Maßregelung und die Einschüchterung der neu eingezogenen PIRATEN. „Mit euch spielt keiner“ ist die Botschaft.

Schließlich wurde der Transparenz-Antrag der PIRATEN abgelehnt und der Änderungsantrag aller anderen Fraktionen als Vorschlag für die Abstimmung im Plenum auf den Weg gebracht. Man wird am kommenden Mittwoch sehen, wem eine Vermittlung der politischen Aspekte der parlamentarischen Arbeit als erstrebenswert erscheint und wem nicht. Das Abstimmungsverhalten wird hier eine deutliche Sprache sprechen.

Wenn große Teile der Fraktionen der CDU, SPD, Grünen, FDP und des SSW meinen, durch diese Beschlüsse dem Streben der PIRATEN und vieler Bürger nach Transparenz Einhalt gebieten zu können, sind sie auf dem Holzweg. Unabhängig vom Ausgang der Abstimmung werden die PIRATEN auch in Zukunft zu jeder Gelegenheit darauf hinweisen, dass die Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungen von wesentlicher Bedeutung ist, um über Jahrzehnte zerstörtes Vertrauen in die Politik neu aufzubauen. Seit die PIRATEN nennenswerte Umfrage- und Wahlergebnisse erreichen, reden viele Politiker aller Parteien von Transparenz. Sie sollten endlich den Mut aufbringen, diese auch zu leben.

Dass es auch andere Wege gibt, zeigt sich hier und da in der kommunalen Politik. So stellte die Fraktion der Grünen im Herzogtum Lauenburg den Antrag, Beratungen zur geplanten Haushaltskonsolidierung von der nicht öffentlichen Haushaltsstrukturkommission in den öffentlichen Finanzausschuss zu verlegen. Die SPD aus dem gleichen Kreis möchte in einem Modellprojekt die Online-Bürgerbeteiligung mit der Software „Liquid Feedback“ sowie die Erarbeitung einer Satzung für ein „Liquid Herzogtum“ erreichen, ähnlich vergleichbarer Pläne im Kreis Nordfriesland. Von solch positiven Ansätzen sind die etablierten Fraktionen im Landtag leider noch Jahrzehnte entfernt.