NRW Diskussion:Arbeitskreis/Drogenpolitik/Programm
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Inhaltsverzeichnis
7.1 Argueliner
Präambel - Vorwort - Einführung
Wir möchten euch hier die Arbeit des AK_Drogenpolitik vorstellen, und eine Frage beantworten, die sich sicher viele von euch stellen: "Drogenpolitik - brauchen wir Piraten das überhaupt?"
Uns war bereits über die ganze Zeit, in der wir diesen politischen Bereich für die Piratenpartei ausarbeiten bewußt, dass wir hier in einem Ressort arbeiten, das sich wohl den meisten Bürgern - und somit natürlich auch den Piraten - nicht wie selbstverständlich erschließt. Wir hoffen hier deutlich machen zu können an wie vielen Stellen und wie tief dieser Bereich in das Leben, in die Gesellschaft, in Menschen-, Grund- und Bürgerrechte, ja sogar in den Datenschutz und auch das Thema Lobbyismus hineinwirkt.
Seit ca. 100 jahren gibt es so etwas wie Drogenpolitik. Anfangs behandelte man hierbei nur wenige Substanzen - beispielsweise Opium - die sich bei gestiegenem Konsum als Modeerscheinung dann in vielerlei Hinsicht als problematisch herausstellten. Genauere Untersuchungen und Forschungen gab es damals dazu nicht, also griff man zum vermeidlich einzig probaten Mittel...der Prohibition. Was sich anfänglich schon wegen der relativ wenigen betroffenen Substanzen und Menschen noch nicht sehr negativ auswirkte, eskalierte in den 50er bis 70er Jahren in eine immer pauschalere Verteufelungs- und Verbotsstrategie. Gleichzeitig wurden einige der gefährlichsten Stoffe dank hoher gesellschaftlicher Akzeptanz als Genussmittel völlig unkritisch behandelt. Hier ist man bis heute durchaus bereit, enorme Kosten und gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Schaden hinzunehmen, weil man diese "Genussmittel" als quasi politisch tabu betrachtet. Die so entstandene - und auch bis heute so praktizierte - konservative Drogenpolitik folgt einzig der Annahme, durch Repression zur drogenfreien Gesellschaft gelangen zu können. Damit sind hier natürlich ausschließlich die illegalisierten Bereiche gemeint. Eine sachliche Auseinandersetzung, sowie eine wissenschaftlich fundierte Differenzierung der Sofflichkeiten wird weitgehend verweigert. Jedoch gibt es heutzutage sehr viele entsprechende Studien, wissenschaftliche Arbeiten, und nicht zuletzt die offensichtliche Tatsache, das diese dogmenüberladene, konservative Herangehensweise als gescheitert betrachtet werden muss. Alle verfügbaren Zahlen, selbst die aus den betreffenden staatlichen Institutionen belegen dieses seit mehreren Jahrzehnten immer wieder und immer deutlicher.
Seit einigen Jahren entwickeln sich in zwei anderen Parteien bereits erste gute Ansätze zu einem vernünftigeren, sachlicheren Umgang mit solchen Fragen. Leider beschäftigt man sich hier hauptsächlich nur mit einer einzigen Substanz - der populärsten unter den heute illegalen Stoffen - dem Cannabis. Wir jedoch gehen weiter, wollen Drogenpolitik nicht auf eine Legalisierungsdebatte zu Cannabis reduzieren, sondern einen echten Anfang machen, diesen sehr vielschichtigen Bereich endlich sachlich anzugehen. Wir wollen, dass eine gesellschaftliche Neubewertung stattfindet, dass Bürger und Politiker sich trauen anerzogene Dogmen abzulegen. Wir wollen, dass sie mit uns zusammen die negativen Folgen durch das Festhalten an einer schon lange gescheiterten Politik als Anlass für den Begin eines sinn- und zukunftsgerechten Denk- und Handlungswechsels nutzen. Es gibt hierbei einen durchdringenden, rein wirtschaftlich-egoistisch interessierten Lobbyismus, der hier jede sachliche Entwicklung bewußt und mit großer Macht auf Politik und Medien blockiert. Dies müssen wir Piraten unserer Meinung nach aufdedecken und konsequent ändern. Eine Mammutaufgabe mit übermächtigen Gegnern, jedoch schon im Sinne mündigen Gesellschaft dringend nötig. Dafür wollen wir mit unserer Arbeit erste Grundlagen schaffen, erste Punkte darstellen und ausarbeiten, anhand derer viele von euch uns hoffentlich zustimmen, dass Drogenpolitik - in dieser Weise gehandhabt - ganz sicher ein Piratenthema ist.
Die von uns bisher ausgearbeiteten Programmpunkte entnehmt bitte unseren Positionstexten.
All dies ist aber erst ein Anfang, ein kleiner Einblick in dieses hochkomplexe Politikfeld. Bei etwas genauerer Betrachtung wird jeder schnell erkennen können, an wie vielen Stellen diese Themen uns alle berühren. Fast ausnahmslos jeder hat sogar persönliche Kontakte zu Menschen, die von den vielen, oft politisch begründeten oder begünstigten Problematiken, betroffen sind. Aber wer denkt schon gerne an so etwas, oder thematisiert es gar? Hier gilt es für die Piraten mutig zu sein, die Ersten zu werden die hier mit durchdachten Konzepten auch vermeidlich unattraktive Themen anpacken, tiefgehende Änderungen fordern, den Anfang setzen für den lange überfälligen Denkwechsel in Politik und Gesellschaft.
7.3 Argueliner
Datenschutz in der Drogenpolitik
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bezeichnet das Recht des Einzelnen grundsätzlich über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu entscheiden. Der Begriff wurde durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geprägt und gilt als ein Grundrecht des Datenschutzes.
Auch in der Drogenpolitik, vor allem im Umgang mit Drogenkonsumenten und Drogenkranken, wird dieses Recht teilweise massiv verletzt. Die Piraten fordern, auch in diesem Bereich, die Einhaltung der Datenschutzgesetzgebung und eine stärkere Kontrolle der Institutionen im Umgang mit den personenbezogenen Daten der Betroffenden.
Drogentests im Rahmen von Einstellungstests
Drogentests im Rahmen von Einstellungstests bei vielen großen Firmen sind datenschutzrechtlich fragwürdig. Einfach ist bei diesen Tests die rechtslage nicht da es bisher in Deutschland keine klaren Vorschriften dafür gibt. Es gilt abzuwägen zwischen dem Interesse des Arbeitgebers und des Bewerbers. Nur in wenigen Branchen ist das Interesse des Arbeitgebers zwingend, etwa dort, wo andere gefährdet werden könnten(Piloten, Kraftfahrer usw..) In jeder anderen Branche würde ein verpflichtender Test gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßen.
Die Unternehmen umgehen diese Hürde, indem sie Bewerber unterschreiben lassen, dass sie mit dem Test einverstanden sind. Natürlich können Bewerber den Drogentest ablehnen. Das hat wiederum zur Folge, das diese Person nicht eingestellt wird. Dadurch ist die Freiwilligkeit des Tests nicht gegeben. Bei den Test wird außerdem der Drogenkonsum belegt, aber nicht eine Abhängigkeit der getesteten validiert. Geprüft werden darf außerdem nur auf illegale Drogen.
Die mit Abstand verbreitetste Droge, die auch den größten volkswirtschaftlichen Schaden durch Arbeitsausfall anrichtet, ist aber der Alkohol.
Die Piraten setzen sich für die Abschaffung dieser rechtlich strittigen Drogentests, durch eine klare Gesetzgebung ein. In Bereichen in denen Drogentests auf Grund des gefährdungspotentials zwingend nötig sind, müssen sowohl illegale als auch legale Drogen abgefragt werden, da die Gefährdung durch legale Drogen wesentlich häufiger Auftritt.
Datenschutz in der Drogenersatztherapie
Im Rahmen der Drogenersatztherapie(z.B. Methadon) werden die Substituierten durch eine Unterschrift gezwungen, den Arzt von seiner Schweigepflicht zu befreien. Wird diese Befreiung nicht erteilt, wird die Finanzierung des Programms nicht von der Krankenkasse übernommen. Diese Zwangshandlung verletzt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Weiterhin ist eine Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht bei einer solchen Therapie nicht notwendig, da die Verhältnissmässigkeit nicht gegeben ist.
Die Piraten bestehen auf die Abschaffung dieser zwangsbefreiung des Arztes von der Schweigepflicht und den grundgesetzkonformen Umgang mit den Substituierten und deren personenbezogende Daten.
Beurteilung durch Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung
Sachbearbeiter in öffentlichen Institutionen z.B. Arbeitsämtern/Sozialämtern sind dazu angehalten Notizen zu auffälligem Verhalten der Antragsteller anzufertigen und diese in die Akten einzutragen. Hierzu gehören auch Vermuten zu Drogenkonsum und Drogenproblemen.
Hier geht es ganz klar um subjektive Eindrücke von im Bereich der Drogen ungeschultem Personal.
Diese Einschätzungen können leicht zu persönlichen Barrieren in vielen Lebensbereichen führen, da nicht klar ist wie diese Daten weiterverarbeitet werden.
Die Piraten werden eine Abschaffung dieser unqualifizierten Einschätzung durch die Mitarbeiter durchsetzen. Gerade öffentliche Einrichtungen müssen im Bereich des Datenschutzes eine Vorbildrolle einnehmen und datenschutzrechtlich korrekt mit personenbezogende Daten umgehen.
Unterstützung des akzept-Bundesverband und des Deutschen AIDS-Hilfe e.V. im Rahmen der akzeptierenden Drogenarbeit
Die beiden Institution fordern einen menschlichen Umgang mit Drogenkosumenten und Drogenabhängigen und fordern hier auch den datenschrechtlichen Korrekten Umgang mit den Klienten. Hierzu gehören unter anderem folgende Forderungen:
- Einhaltung der Schweigepflicht und der Schutz personenbezogener Daten.
- Die MitarbeiterInnen müssen ein (nicht anzweifelbares!) Zeugnisverweigerungsrecht haben.
- Jede Offenbarung von personenbezogenen Daten – sei es im Team, gegenüber anderen Einrichtungen oder gegenüber den Kostenträgern – setzt die Einwilligung der KlientInnen voraus; ohne diese ist eine Weitergabe von Informationen unzulässig.
- Die MitarbeiterInnen wirken darauf hin, daß externe Stellen, an die personenbezogene Daten weiterzugeben sind, ausreichende Vorkehrungen zum Datenschutz treffen.
Dieses vorbildliche Verhalten im Umgang mit den personenbezogenden Daten der Betroffenden wird durch die Piraten unterstützt und gefördert.
Löschung von personenbezogenden Daten beim LKA bei unberechtigtem Verdacht von Drogendelikten
Im Rahmen von Ermittlungen des LKA kommt es immer wieder dazu das Leute unschuldig des Konsums/Besitzes/Verkaufs von illegalen Drogen verdächtigt werden.
Eine erkennungsdienstliche Behandlung findet hierbei oft und in rechtlich fragwürdigem Rahmen statt. Auch die so festgestellten sehr persönlichen Daten sollten nach ergebnisslos verlaufenen Ermittlungen verpflichtend umgehend wieder gelöscht werden. Dies wird meines Wissens nach heute leider nicht so praktiziert, und Betroffene sind gezwungen mittels selbst bezahltem rechtlichem Beistand eine solche Löschung durchzusetzen.
Die Piraten pochen auf die Löschung der personenbezogenden Daten wenn sich ein Verdacht nicht bestätigt. Eine weitere Verwendung der Daten, sowie die Weitergabe hat auf jeden Fall zu unterbleiben.
7.4 Argueliner
Prävention an Schulen - Grundschulen
Seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts werden vor allem in den angloamerikanischen Staaten Primärpräventionsprogramme konzipiert und evaluiert, die verhindern sollen, dass Kinder und Jugendliche mit dem Rauchen beginnen, übermäßig Alkohol konsumieren, gewalttätig werden oder andere Risikoverhaltensweisen zeigen (Durlak, 1995). Insbesondere Programme, die in der Schule implementiert werden, sind intensiv untersucht worden, da universelle Präventionsprogramme leicht in Schulen verankert werden können.
Mehrere hundert kontrollierte prospektive Studien sind zu den Effekten der auf verschiedenen Ansätzen basierenden Curricula publiziert worden. Verschiedene Überblicksarbeiten und Meta-Analysen belegen, dass Interventionen zur Prävention von Risikoverhaltensweisen im schulischen Kontext in der Regel dann erfolglos bleiben, wenn sie lediglich Fakten vermitteln. Derartige Programme erhöhen zwar das Wissen der Schülerinnen und Schüler, zeigen aber nur begrenzte Effekte auf der Verhaltensebene (Lynch & Bonnie, 1994). Effekte auf der Verhaltensebene erreichten Programme, die auf dem psychosozialen Ansatz aufbauen. Diese zielen darauf ab, durch verhaltensmodifikatorische Interventionen die Standfestigkeit der Schülerinnen und Schüler in Versuchungssituationen zu erhöhen bzw. generelle (Lebens-) Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen zu fördern (Bühler & Kröger, 2006; Bruvold, 1993; Cuijpers, 2002a,b, 2003; Gottfredson & Wilson, 2003; Hanewinkel & Wiborg, 2003; Hansen, 1992; Skara & Sussman, 2003; Tobler & Stratton, 1997; Tobler, Roona, Ochshorn et al., 2000).
Die Arbeitsgruppe um Gilbert Botvin aus New York entwickelte umfangreiche präventive Interventionsprogramme, die als sog. Lebenskompetenztrainings bezeichnet werden (Botvin &Eng, 1982). Grundannahme dieser Programme ist, dassselbstbewusste Kinder, die realistischeZiele setzen, gewaltfrei kommunizieren können und Problemlösekompetenzen besitzen, ein geringeres Risiko haben, Risikoverhaltensweisen zu zeigen und in Versuchungssituationen besser widerstehen können. Über interaktive Unterrichtseinheiten, die auf kognitivbehavioralen Methoden der Verhaltensmodifikation beruhen, werden die angestrebten Lerninhalte vermittelt.
-- Ein Lichtblick aus deutscher Sicht ist hier sicherlich das hessische Prokekt 'Klasse2000', dass mit seiner gut ausgearbeiteten und universal angesetzten Methodik beispielhaft sein könnte für eine gute Präventions- und Aufklärungsarbeit an deutschen Schulen. Hier wird bereits im Grundschulalter Stück für Stück Sozialkompetenz aufgebaut, Selbstsicherheit geschaffen und unterstützt, das Nein-sagen erlernt und vieles mehr. Im Unterricht werden sowohl Gesundheits- und Körperthemen als auch soziales Lernen über unterschiedliche erlebnis- und handlungsorientierte interaktive Methoden vermittelt; als Beispiele seien genannt: • Atmung, Entspannung • Ernährung, Weg der Nahrung durch den Körper • Sport und Bewegung, Rückenschulung, Herz-Kreislauf-Funktion • Kooperationsspiele, Rollenspiele zum Thema „Nein-Sagen“ • Kommunikation, Problemlösen, Stressbewältigung • Umgang mit Gefühlen und Konfliktlösung
Aufklärung bleibt wirkungslos wenn sie sich auf rein faktische Information beschränkt. Der Umgang mit Stofflichkeiten und sozialen Gegebenheiten die heuzutage auch jedes Kind tagtäglich umgeben bedarf eines frühen Lernprozesses, der auch weitergehende Sozialkompetenzen mit einschließt.
Die Ergebnisse (durch eine Studie belegt) sprechen eine klare Sprache:
- Problematische Verhaltensweisen nehmen über die vier Jahre in der Tendenz in den Interventionsklassen stärker ab als in den Kontrollklassen, sodass bestehende Eingangsunterschiede teilweise reduziert oder eliminiert werden können. Die stärkere Reduktion bei Klasse2000-Kindern zeigt sich insbesondere für die Verhaltensbereiche „Mangelndes Selbstwertgefühl“ und „Stress und körperliche Beschwerden“.
- Klasse2000-Kinder verfügen im dritten und vierten Schuljahr über größeres Wissen im Bereich Gesundheit als Kinder aus Kontrollklassen.
- Bereits im dritten Schuljahr schätzen Klasse2000-Schülerinnen und Schüler ihre Möglichkeit, selbst etwas für ihre Gesundheit tun zu können, höher ein als Kinder der Kontrollgruppe. Dieser Unterschied bleibt bis zum Ende der vierten Jahrgangsstufe erhalten.
- Klasse2000-Kinder beginnen im vierten Schuljahr seltener mit dem Konsum von Zigaretten und Alkohol.
Prävention an Schulen - Sekundarstufe
(Am Beispiel 'Alkohol') Aktuell: 40 Prozent der Minderjährigen erhalten Alkohol
Bei den ersten Alkoholtestkäufen in Stadt und Landkreis Lüneburg haben mehr als 40 Prozent der minderjährigen Einkäufer ohne Probleme Spirituosen und Alcopops erhalten, die erst ab 18 Jahren freigegeben sind. Den Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren sei in 41 von 97 Fällen Hochprozentiges verkauft worden, obwohl die Gemeinschaftsaktion mit den Kommunen Supermärkten, Kiosken und Tankstellen schriftlich angekündigt worden war, teilte die Polizei am Mittwoch mit. Die Zahlen seien alarmierend. Die Verkäufer wurden verwarnt. Den Angaben zufolge soll es nun weitere unangekündigte Testkäufe geben. Dann sollen Verstöße auch angezeigt werden. (gefunden auf: welt.de) --
- Gründe für einen 'Einstieg sind zum Beispiel:
- Frust - Langeweile - Cliquendenken
- Viele Jugendliche trinken aus dem Wunsch heraus, dazuzugehören und sich zu beweisen („Wettsaufen“)
- Kein Folgedenken mehr
- Viele Jugendliche denken nicht an die Folgen, die es haben kann, wenn man übermäßig viel trinkt.
- Das Leben in einer Fungesellschaft
- „Unsere Gesellschaft ist eine Fungesellschaft, die nicht mehr an morgen denkt. Dass man im Moment Spaß hat, das ist wichtig“, so Höllerhage.
- Alkoholwerbung
- „In der Alkoholwerbung werden vollkommen schwachsinnige Zusammenhänge dargestellt, zum Beispiel Alkohol und Sport oder Alkohol und Schönheit. Das animiert Jugendliche natürlich zum Trinken.“, so Höllerhage
- Alcopops
- Alcopops sind Limonaden, die mit Alkohol gemischt wurden. Durch diese Mischung schmeckt man den Alkohol nicht mehr durch und verliert aus den Augen, wieviel man getrunken hat.
- Kein Gefühl zum Aufhören mehr - Alkohol als Stimmungsaufheller und Enthemmer - Kaum noch stabile Familien - Überfordertes Elternhaus - Mangelnde Zahl an Arbeits – und Ausbildungsplätzen - Mangelnde Perspektiven - Relativ niedrige Grenzen zum Alkoholerwerb - Relativ niedrige Preise zum Alkoholerwerb
- Das fällt vor allem in Kneipen auf : Eine Cola/Fanta/Sprite ist genauso teuer wie ein Bier
- Schicksalsschläge (bei Jugendlichen eher seltener) - Starke (psychische) Probleme
- Beispielsweise bei einem vorangegangenen Missbrauch o.ä.
- Keine richtige Gefühlserfahrung
- Der Jugendliche hat nie gelernt, wie man mit Gefühlen wie zum Beispiel Frust, Wut oder Trauer richtig umgeht.
7.5 Argueliner
Medizinisches Cannabis freigeben
Die Hintergründe und Fakten habe ich unter http://wiki.piratenpartei.de/Crew:AK/Drogenpolitik_NRW/Medizinisches_Cannabis gesammelt.
Die wichtigsten hier im Überblick:
- Krankheits- und Störungsbilder, bei denen Cannabis heilen oder lindern kann
- Ein Epilepsiepatient, der seit 4 Jahren dank Cannabis anfallsfrei ist, hat sich bereit erklärt, mir ein Interview zu geben, lesen lohnt sich.
- Über das (Endo-)Cannabinoid-Rezeptorsystem des menschlichen Körpers
- Patienten werden mit dem Medikament alleingelassen, Arzt gibt in der Regel eine Empfehlung für Cannabis aber keine Anleitung.
- Patienten müssen sich ihr Medikament in der Illegalität besorgen, was mehrere Implikationen hat:
- Keine verlässliche Qualität, kein verläßlicher THC/CBD-Gehalt, so muß nach jeder Beschaffung die Dosis neu austariert werden.
- Patient muß sich in eine kriminelle, möglicherweise gefährliche Umgebung begeben, für bettlägerige Patienten entfällt diese Option.
- Der Patient muß ständig befürchten, daß er von der Polizei aufgegriffen wird und ihm sein Medikament abgenommen wird, dies kann für einige Patienten lebensbedrohlich sein, man denke zum Beispiel an einen Epileptiker mit Grand Mal Anfällen (lebensgefährliche Krampfanfälle), der auf eine regelmäßige Medikation mit Cannabis eingestellt ist. Würde dieser Patient von der Polizei festgestzt, so würde er gleichzeitig sein Medikament verlieren und enormem Streß ausgesetzt, was Anfälle begünstigt.
- Ausnahmegenehmigung zu bekommen ist kompliziert, Ärzte haben an Unterstützung hierbei oft kein Interesse, weil der Antrag aufwändig ist und sie unter Umständen selbst mit Repression rechnen müssen.
- Der Patient muß alleine herausfinden, welche Dosis er benötigt und in welchem Habitus er sie am besten zu sich nimmt.
Länder, die eine medizinische Nutzung ermöglichen:
- Spanien
- Teile der U.S.A.
- Kanada
- Holland
- Israel
- Frankreich (vereinzelter Einsatz von Marinol)
- Neu Seeland
- Schweden (Marinol)
7.6 Argueliner
Problem Medikamentenmissbrauch
In der Drogenpolitik wurde und wird oft nur der Bereich der illegalen Drogen betrachtet und meist übersehen dass der Missbrauch handelsüblicher Medikamente mindestens ebenso problematisch ist. Nach aktuellen Studien sind in Deutschland 2 Mio. Menschen dauerhaft abhängig von Medikamenten. Neben frei verkäuflichen Schmerzmedikamenten, z.B. Paracetamol oder ASS mit Coffein, sind verschreibungspflichtige Sedativa ein Missbrauchsschwerpunkt. Von den großen Z's (Zolpiden, Zopiclon) allein wurden 2007 19,5 Mio. Packungen verkauft, bei Tranquilizern (Diazepam, Lorazepam, etc.) waren es immerhin noch 11,2 Mio. Packungen. Viele dieser Verschreibungen sind hoch problematisch denn sie erzeugen oft eine Abhängikeit welche auch zahlreiche medizinische Komplikationen zur Folge haben. Die Abhängigkeit wird zudem von den Betroffen selbst oder ihren Angehörigen lange nicht erkannt, ein Blinder Fleck unserer Gesellschaft - nicht nur bei Ärzten oder Patienten. [Bearbeiten] Lösungen
Transparenz
Ein wichtiger Schritt zur Verringerung der Suchtproblematik ist eine Aufklärung der Patienten und im Besonderen auch der verschreibenden Ärzte. Des weiteren sollte das Thema aber auch Bestandteil öffentlicher Hinweise sein, ähnlich der Nikotin- oder Alkohol-Kampagnen, um es auch allgemein in der öffentlichen Diskussion zu beleuchten. Der Staat hat mit seiner Fürsorgepflicht vor allem die Pflicht uns vor exakt solchen potentiellen Gefahren zu warnen. Machen wir uns nichts vor: Viele Dieser Substanzen sind hilfreich und wichtig, aber viele werden auch missbraucht und schaden vielleicht mehr als sie nutzen. Das kann Kranke Menschen schwächen, vielleicht sogar gefährlich, aber auf jeden Fall ist es unnötig wenn es sich nur um Unwissenheit gehandelt hat. Aufklärung tut not, aber sie sollte entsprechend der Dringlichkeit des Themas auch radikal, schonungslos und aus der Perspektive der Bürger sein.
Neue Wege
Es gibt noch Probleme bei der Erfassung zahlreicher verschreibungsfähiger Medikamente mit hohem Missbrauchspotential, da sie bei Abrechnung als Privatrezept nicht mehr von den Krankenkassen kontrolliert werden. Auch kein Arzt, keine Apotheker weiss was der Patient anderweitig bezieht. Die wichtigsten Kontrollsysteme des Gesundheitswesens werden also unterlaufen und schaffen einen fast unregulierten Markt für Teils gefährliche Anwendung dieser Medikamente. Egal welche Liberalisierung wir sonst fordern, wir sind auch für die klare Einhaltung oder andernfalls der Abschaffung der bestehenden Gesetze. Dazu braucht es wesentliche Reformen und Vereinfachungen innerhalb des Betäubungsmittelrechts, welche wir bieten, und zwar mit der Garantie auf Fairness, Transparenz und Glaubwürdigkeit.
Neue Verbündete
Dir Piratenpartei versucht im offenen Dialog mit allen Beteiligten, also Patienten, Medizinern und der Industrie, Lösungen zu entwickeln. Durch die besondere Tradition der Piraten können wir Transparenz, Neutralität und Datensicherheit einbringen und bieten allen Beteiligten an sie in der Entwicklung saubere und glaubwürdige Lösungen zu unterstützen.
7.8 Argueliner
Missbrauch von AD(H)S-Medikamenten
Das Ganze ist eine schnelle Entwicklung, die besonders in den USA schon Züge annimmt, die am nur noch Massenphämonen nennen kann. Und es schwappt längst in großen Wellen nach Europa...und somit auch zu uns nach Deutschland.
Bei Ritalin und Co handelt es sich um ein Medikament, dass der als 'Speed' bekannten Partydroge Amphetamin sehr verwandt ist.. Nicht ohne Grund ist dieses Medikament verschreibungspflichtig, und die meisten seiner Inhaltsstoffe stehen auch unter BTMG. Eine unsachgemäße Verabreichung wie eben bei der Selbstversorgung und -medikation über Schwarzmärkte kann hier schnell starke gesundheitliche Probleme hervorbringen. Und in wie weit diese Schwarzmarktprodukte überhaupt auch den Spezifikationen der Originale entsprechen kann hierbei auch unmöglich vorhergesehen werden...eine potentielle Gesundheits-, ggf. sogar Lebensgefahr ist die Folge.
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Informationsquellen
- FAZ-Bericht über den Missbrauch an Universitäten
- FAZ-Bericht über den Misbrauch in der Wirtschaft
- FAZ-Listung der verwendeten Substanzen
- Uni-Umfrage: 43% würden 'es' nehmen
- Zombies, die lernen wie eine Maschine
Ritalin macht leistungsfähig. Experten sagen, das Medikament sei eine Gefahr für die Gesundheit und unser Bildungssystem. --
Ein Selbstversuch
Das erste Mal in meinem Leben nahm ich Ritalin mit 17. Ich war Austauschschüler in Washington, D. C., und Adam, mein Gastbruder, hatte die Pillen besorgt. Wir zerstampften sie mit einem Gewürzmörser aus der Küche und zogen das Pulver mit einer Zehndollarnote durch die Nase, das Bild von Alexander Hamilton hatte danach ein kleines Hitler-Bärtchen aus Staub.
Adam sprang auf, schrie: Look! It’s Adolf Hamilton und fiel über den Mülleimer auf den Boden. Es war die Nacht, in der wir später mit Fahrrädern durch Washington fuhren und Güterzüge mit Graffiti besprühten. Wir flohen schließlich vor der Polizei, dann lag ich im Bett mit weit aufgerissenen Augen, unfähig, einzuschlafen. Mein Herz schlug hart und schnell, meine Augen sprangen sinnlos von einer Ecke zur anderen, ich schwitzte; es war ein Scheißgefühl. Ich wollte nie wieder synthetische Drogen nehmen. Auch nicht Ritalin.
Das zweite Mal in meinem Leben nahm ich Ritalin vor ein paar Wochen, nachdem ich einen Artikel in der Zeitung gelesen hatte. Dort stand, Ritalin sei die neue Modedroge unter Studenten – viele nähmen es, weil sie sich damit besser konzentrieren könnten. In Amerika sei jeder vierte Student und sogar jeder fünfte Professor auf der Pille, für Deutschland seien noch keine Zahlen bekannt. Der Artikel klang wie ein Enthüllungsbericht von der Tour de France.
Konzentrationsprobleme. Kenne ich. Ich studiere Philosophie, und wenn ich in der Bibliothek sitze und Fachliteratur lese, überkommt mich manchmal diese Müdigkeit. Ich sitze vor den Büchern, aber die Wörter ergeben keinen Sinn als würde ich sie vorlesen, mir selbst aber nicht zuhören. Mein Kopf knüpft derweil Assoziationsketten, die ich nicht stoppen kann: Ich schaue aus dem Fenster, sehe einen Gärtner, der einen Baum schneidet, und ich frage mich, ob seine Säge nicht zu klein ist, was mich daran erinnert, dass ich die Zimmerpflanze schneiden wollte, die zu Hause auf dem Tisch steht, auf dem der Brief liegt, auf den ich einen Kaffeefleck gemacht habe, den ich ja noch zur Post… – apropos Kaffee: Ob ich mal eine Pause machen sollte? – Nein, stopp. Ich muss lernen!
Diese Konfusion hat mein Studium zu einem Kampf gegen mich selbst gemacht. Gewinnen kann ich ihn nicht. Manchmal liege ich eine halbe Stunde mit dem Kopf auf meinen Büchern, starre geradeaus und bewege mich nicht.
Natürlich ließe sich das Versagen psychologisch begründen: Ich spüre den Druck, im Studium zu brillieren, um auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu haben – und es ist dieser Druck, der mich blockiert. Um zu brillieren, müsste ich den Druck loswerden. Ich brauche Stille in meinem Kopf. Ich muss dieses Hintergrundrauschen aus meinem Hirn drängen, wenigstens bis zu meinen Abschlussprüfungen in drei Wochen.
Wenn Ritalin mir dabei helfen kann, dann will ich es sofort haben. Nur für einen Selbstversuch. Natürlich. Ich besorge mir eine Packung über einen Freund, dessen Vater Arzt ist – eine orangefarbene Pappschachtel, mit eingestanzter Blindenschrift und den großen Buchstaben: RITALIN, 10 mg. Der Beipackzettel hat etwa die Größe einer DIN-A4-Seite. Das Wort »Tod« kommt häufiger vor: »Der Missbrauch von Stimulanzien des Zentralnervensystems kann zu plötzlichem Tod und anderen ernsten Nebenwirkungen am Herz-Kreislauf-System führen.« Sollte ich vielleicht doch mit einem Arzt oder Apotheker sprechen? Ich rufe Gerald Hüther an, Professor für Neurobiologie an der Psychiatrischen Uni-Klinik Göttingen.
– Wie hoch sind die körperlichen Risiken tatsächlich, Herr Hüther?
– »Sie betrachten das Problem falsch, nämlich rein medizinisch. Ich frage Sie: Was kann man sich selbst Schlimmeres antun, als sich so zu funktionalisieren? Als sich zum Sklaven dieses Bildungssystems zu machen?«
– Ja, schon, aber was sagen Sie jemandem, der antwortet: Lieber ein Sklave mit 1,0 als ein freier Mensch, der durch die Prüfung fällt?
– »Ich sage ihm: Wenn man anfängt, seine Affekte mit einer Pille zu kontrollieren, ist man kein Mensch mehr. Dann ist man ein Roboter.«
Hüther erklärt mir, dass Ritalin eigentlich nichts anderes ist als Kokain, nur in geringerer Dosis. Deshalb fällt Ritalin in Deutschland unter das Betäubungsmittelgesetz; nur wer ein ärztliches Rezept hat, kann es straffrei in der Apotheke kaufen.
Die Tablette wirkt als sogenannter Dopamin-Wiederaufnahme-Hemmer, sie senkt den Dopaminspiegel in den Nervenzellen. Dopamin ist ein Botenstoff, der unsere Impulse verstärkt.
Wer zu viel davon hat, wird zum Opfer seiner eigenen Impulse, ständig abgelenkt von Ideen und Geistesblitzen. Menschen mit niedrigem Dopaminspiegel hingegen funktionieren automatisch, fokussiert auf eine einzige Tätigkeit.
Deshalb gibt man hyperaktiven Kindern Ritalin, damit sie in der Schule still sitzen und sich auf den Unterricht konzentrieren. Eltern mögen das Medikament: Zwischen 1993 und 2003 ist die Zahl der Ritalin-Verschreibungen weltweit um rund 270 Prozent gestiegen.
– Aber was sind denn nun wirklich die Nebenwirkungen, Herr Hüther?
– »Sie haben auf nichts mehr Lust, Ihre ganze Emotionalität und Affektivität ist zugedröhnt. Sie empfinden keine Neugier, kein Bedürfnis nach menschlichen Bindungen und sind weniger kreativ. Deshalb nehmen eher BWL- und Medizinstudenten Ritalin, weil dort weniger Kreativität verlangt wird.«
– Meinen Sie, man sollte davor warnen? – »Unbedingt! Wer früh Ritalin nimmt, lernt nicht, seine Affekte zu kontrollieren, denn er hat keine mehr. Ohne Pille ist er praktisch lebensunfähig.«
Ein letzter Satz von Hüther geht mir noch Tage später im Kopf herum: »Ritalin ist die Droge für die Pflichterfüller-Generation.« Es ist etwas Wahres daran: In den Siebzigern nahm man LSD, um dem Muff der Nachkriegszeit zu entkommen. In den Achtzigern nahm man Kokain, um sich trotz Pershing-II-Raketen gut zu fühlen. In den Neunzigern nahm man freitags Ecstasy-Pillen, um bis montags zu tanzen. Es waren Spaßdrogen, mit denen die Jugend gegen die Erwartungen der Gesellschaft rebellierte. Heute nehmen Studenten Ritalin, weil es ihnen hilft, sich den Erwartungen der Gesellschaft anzupassen. Sie sind die erste Generation, die eine Vernunftdroge konsumiert. Eine traurige Droge, ein Armutszeugnis. Einerseits.
Andererseits: Wenn es für gesunde Körper nicht gefährlich ist – was spricht dagegen? Ich stehe kurz vor meinen Abschlussprüfungen, das hier ist, mit Verlaub, mein Ernstfall. Was interessiert mich die Befindlichkeit meiner Generation? Ich will nicht rebellieren, ich will einen Arbeitsplatz in Zeiten einer weltweiten Rezession. Wenn Roboter bessere Noten kriegen, dann bitte sehr, dann will ich Roboter sein!
Ich nehme also eine Pille, erst einmal zu Hause. Keine Viertelstunde, und meine Umgebung wird leicht heruntergefahren; ein Gefühl wie der Dämmerzustand frühmorgens, wie die konzentrierte Ruhe nach einem langen Kinobesuch. Die Dinge entwickeln eine seltsame Singularität: Ich sitze auf meinem Sofa und lese. Nach einer Weile merke ich, dass der Fernseher auf voller Lautstärke läuft – ich hatte ihn gar nicht gehört. Ich vergesse nicht, was um mich herum geschieht, es interessiert mich nur nicht mehr. Ich sehe die Dinge einzeln, eines nach dem anderen. Andere Drogen bewirken einen Rausch, Ritalin macht sehr nüchtern.
Der nächste Tag in der Bibliothek ist ein großer Erfolg. Ritalin ist kein Wundermittel, es stärkt nicht meine Arbeitsmoral, aber zumindest lenkt mich nichts mehr ab. Ich schaue nicht aus dem Fenster. Läuft jemand in der Bibliothek an meinem Tisch vorbei, dann blicke ich nicht auf, sondern starre eisern auf die Buchseiten. Ich arbeite konzentriert drei, vier Stunden lang. Ich vergesse den Druck, den Gärtner, den Kaffee.
Mittags dann stehe ich in der Mensa und überlege, auf welches Menü ich Lust habe – und ich weiß es nicht. Ich wähle zufällig eines aus und stochere lustlos darin herum, das Ritalin hemmt meinen Appetit. Dann nehme ich wieder eine Pille und gehe zurück in die Bibliothek. Ja, ich bin ein Zombie, aber ein Zombie, der lernt wie eine Maschine.
Es gefällt mir. Nur meine Freunde beobachten mich jeden Tag misstrauischer. Manche von ihnen sind konservativ, sie besuchen Vorlesungen in Hemd und Jackett und betrachten Drogensüchtige in der Fußgängerzone wie Anomalien im Raum-Zeit-Gefüge. Sie sagen, ich sei so anders in letzter Zeit: lebhafter, aggressiver und etwas anstrengend. Das stimmt. Ich trete Geldautomaten, die mir zu langsam sind, und fluche über vergessliche Kellner im Café.
Schließlich beichte ich meinen Freunden die Sache mit dem Ritalin und erwarte Vorwürfe. Stattdessen fragen sie, ob ich ihnen etwas abgebe. Nein, sage ich, ich will nicht, dass ihr Pillen nehmt! Sie sagen: Du machst es auch! Ich: Das ist etwas anderes, das ist ein Selbstversuch! Außerdem habe ich nur noch 20 Tabletten übrig, das muss reichen bis zur letzten Prüfung – aber das sage ich nicht, das denke ich nur. Spätabends bekomme ich eine SMS, ich weiß nicht, ob sie lustig gemeint ist: »Freund, bitte, ich brauche auch Ritalin, Geld spielt keine Rolle!« Vielleicht sind wir alle verzweifelter, als wir zugeben wollen.
Ganz abgesehen von den Nebenwirkungen: Es gibt eine zweite Frage, über die ich in diesen Tagen immer wieder nachdenke. Eine moralische. Klausuren sind Konkurrenzkämpfe, es geht darum, sich mit den Kommilitonen zu messen. Noten orientieren sich selten an einem objektiven Maßstab, sondern an der Leistung des Besten, der Einskommanull. Was, wenn ich die beste Klausur schreibe? Verzerre ich den Notenspiegel? Macht mich das zu einem Dopingsünder, zu einem, sagen wir, Lance Armstrong der Wissenschaft?
Ich frage den Frankfurter Moralphilosophen Marcus Willaschek. »Es gibt einen Unterschied zwischen Sport und Wissenschaft«, sagt er. »In der Wissenschaft geht es nicht um das Gewinnen, sondern um Erkenntnis. Jemand, der dopt, nutzt also der Wissenschaft, weil er die gemeinsame Sache voranbringt. Anders ist es in Prüfungen, weil Noten nach der durchschnittlich erwartbaren Leistung vergeben werden. Wenn Prüfungskandidaten dopen, verschlechtern sich mittelfristig die Noten derjenigen, die nicht dopen. Das ist ähnlich unfair wie im Sport.«
Da hat er recht. Nur: Kann ich es mir leisten, mich daran zu halten? Kann ich meinen Kommilitonen trauen? Sie würden an meiner Stelle dasselbe tun, oder? Und ist ein Spickzettel nicht auch Doping - ein erschlichener Vorteil? Der Ehrliche ist doch immer der Dumme, oder nicht?
Nachdem mir klar wird, dass ich durch einen Spickzettel immerhin niemand anderen dazu zwinge, sich selbst mit Psychopharmaka aufzuputschen, beschließe ich, etwas zu finden, das harmloser ist als Ritalin. Ich erzähle meiner Apothekerin von den Problemen beim Lernen. Sie schaut mir über ihr Brillengestell hinweg lange in die Augen und verkauft mir schließlich Koffeintabletten für den Tag und Baldriantropfen für die Nacht. Ich beschließe eine Doppelstrategie: Alle zwei Tage nehme ich Ritalin, dazwischen Koffein, Baldrian und Vitamintabletten.
An den Koffein-Tagen ist die Bibliothek für mich ein sehr trauriger Ort, Neurologen nennen das den »Rebound«. Mein Körper ist an den Ritalin-Putsch gewöhnt und vermindert vorsorglich seine Leistungsfähigkeit. Das Koffein macht mich zwar wach, aber schon das Lesen einer ganzen Buchseite fällt mir schwer. Die Ritalin-Tage hingegen sind intellektuelle Feuerwerke, fast Orgien der Schaffenskraft. Ich fange an, die Ritalin-Tage zu mögen. So sehr, dass mir der Gedanke, dass dieser Selbstversuch einmal zu Ende sein wird, gar nicht gefällt. Ich mag das Euphoriegefühl, das Ritalin mir verschafft, und die Leistung, zu der ich dadurch imstande bin. Ich gefalle mir, wenn ich Ritalin genommen habe.
Das Vertrackte an Medikamentensucht: Man verpasst den Zeitpunkt, an dem man die Kontrolle verliert. Meine Tabletten gehen zur Neige. Ich suche nach einem Vorwand, mir noch ein Päckchen zu besorgen, und rufe jemanden an, der ein »Gehirndoping« dann und wann befürwortet.
Der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky sagt: »Es ist ungerecht, wie ungleich wir geboren werden. Warum wollen wir es jemandem verbieten, der von Geburt wenig intelligent ist, sich mit Pillen ein kleines bisschen schlauer zu machen?«
– Zum Beispiel wegen der Nebenwirkungen?
– »Viele Menschen nehmen Substanzen, die dem Körper auch schaden, Koffein, Nikotin. Diese Menschen entscheiden für sich, dass der Schaden kleiner ist als der Nutzen.«
– Ist es nicht traurig, auf Pillen angewiesen zu sein?
– »Wer Anerkennung bekommt, weil er mit Ritalin mehr leistet, fühlt sich gut. Was sollte daran traurig sein?«
Eben. Was sollte an Gehirndoping traurig sein? Ich überlege, Ritalin auch bei meiner Examensklausur zu nehmen, und frage eine Mitarbeiterin der Prüfungskommission, ob denn Ritalin gegen die Prüfungsordnung verstößt. Sie antwortet mir noch am selben Tag: »Darüber haben wir noch nie nachgedacht! Wenn derjenige, der sich aufputscht, nicht auffällig wird, kann er seine Prüfung schreiben. Wenn aber andere durch sein Verhalten gestört werden, wird er den Klausurraum verlassen müssen. Auch wenn jemand vor der Prüfung zu viel Tequila trinkt, würden wir so reagieren!«
Am Tag meiner Klausur stehen Studenten vor dem Prüfungsgebäude und rauchen. Ich gehe hinein und setze mich. Ich will ganz offen dopen. Die orangefarbene Pappschachtel liegt auf meinem Tisch. RITALIN, 10 mg, Wirkstoff: Methylphenidat. Bei der Tour de France würden sie mich jetzt verhaften, später würde ich in einer Pressekonferenz sitzen, und ich würde von Missverständnissen reden und von falschen Unterstellungen. Bei der Magisterprüfung aber darf ich das alles, und zehn Minuten nachdem ich die Pille geschluckt habe, fühlt es sich wieder an, als trüge ich Scheuklappen. Vier Stunden lang schreibe ich, fast ohne aufzublicken, Seite um Seite. Einmal gehe ich auf die Toilette und bin selbst dort so fokussiert, dass ich beim Händeföhnen vergesse, dass ich eine Klausur schreibe.
Es war meine letzte Tablette. Für die Klausur gab es eine 1,3. Nicht schlecht, aber in einer anderen – in der ich nicht gedopt war – gab es eine 1,0. Was bleibt also von diesem Selbstversuch, außer dem »Rebound«, der nicht nur die Leistungsfähigkeit senkt, sondern auch die Laune schlechter macht?
Ich weiß es nicht. Wer sagt, Ritalin helfe nicht, lügt. Es schlägt nicht bei jedem an, aber aus mir hat es den Studenten gemacht, der ich sein sollte: hellwach, fokussiert und diszipliniert. Und einen Menschen, der ich nicht sein will: zwanghaft und unentschlossen. Ich hatte keinen Hunger mehr und keinen Durst, ich wusste nicht mehr, welche CD ich hören und welche Hose ich anziehen wollte. Wenn die Wirkung nachließ, wurde ich unkonzentrierter als vorher, und statt mich zusammenzureißen, überlegte ich, wo ich wieder Ritalin herbekommen konnte. Außerdem ist es kein gutes Gefühl, jemand zu sein, der über einem Handföhn seine Abschlussklausur vergisst. Ich habe versucht, das meinen Freunden zu erklären, und erzählt, was Gerald Hüther, der Neurologe, meinte: »Ritalin ist eine Gefahr für unser gesamtes Bildungssystem.«