Archiv:2010/Jugendmedienschutz-Staatsvertrag/Aktuell

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Dieser Text als PDF: Datei:JMStV14 Basisinformationen.pdf Basisinformationen für Piraten mit weiterführenden Links - zum ausdrucken ;-) (Version vom 15. Sep. 2010) -- Kreon 18:25, 16. Sep. 2010 (CEST)

Basis-Informationen für Piraten

Was ist eigentlich mit dem 14. Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) passiert?

Am 10.6.2010 wurde der 14. JMStV unterschrieben, jetzt muss er in den Landesparlamenten ratifiziert werden. Es bestand Hoffnung, NRW würde sich der Ratifizierung verweigern. Diese Hoffnung wurde jedoch von SPD und Grüne ausgeräumt: man will zustimmen, obwohl man sich im Wahlkampf deutlich gegen den JMStV-Entwurf aussprach.

Wichtig ist die Begründung zum 14. JMStV, hier erfahrt Ihr die Intention desselben:

Die Vertragsänderungen findet Ihr unter:

Und hier noch der neue 14. JMStV vom 10.6.2010 im Vergleich zur Version vom 7.12.2009 und zum aktuell gültigen 13. JMStV:

Hintergrundmaterialien beim AK Zensur:

Des weiteren kann man bei netzpolitik.org Stellungnahmen von SPD und Grüne in NRW nachlesen. Die Antwort von Marc Jan Eumann (Staatssekretär bei der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen) stammt aus einer Anfrage der Piratenpartei Düsseldorf, aber netzpolitik.org hat das netterweise kommentiert und durch die Texterkennung geschickt:

Netzpolitik.org berichtet auch über den aktuellen Ratifizierungsfahrplan. z.B. hier:

Ist der 14. JMStV immer noch der Weg in die Internetzensur?

Nein, nicht mehr in der befürchteten Größenordnung. Der aktuelle Entwurf des 14. JMStV vom 10.6.2010 enthält nicht mehr die "Provider-Haftung" des Dezember-Entwurfes, die u.a. zu einer Internetzensurstruktur in großem Ausmaß hätte führen können. Dennoch stellt er eine Verschlimmbesserung dar.

Streng genommen schreibt bereits der aktuelle 13. JMStV Sendezeiten im Internet etc. vor, das Internet wird jedoch im Grunde nicht berücksichtigt, die Umsetzung kaum eingefordert. Mit dem 14. JMStV ändert sich das: Anbieter im Internet werden deutlich in die Pflicht genommen und es werden Jugendschutzprogramme subventioniert.

Von den neuen Regelungen profitieren:

  1. Die Hersteller von Filtersoftware, denn die wird mit dem neuen JMStV als Fazit staatlich flächendeckend eingeführt. Sie muss/sollte von Webseiten aller Art unterstützt werden und kann (muss nicht!) von Internetsurfern verwendet werden, z.B. auf dem Familien-PC.
  2. Größere Inhaltsanbieter, da sie gegen entsprechende Zahlung die Verantwortung an eine Freiwillige Selbstkontrolle abgeben können und diese die Regeln festlegt.

Für Private Homepages gelten jedoch die gleichen Pflichten, der private "Anbieter" haftet allerdings persönlich und kann ggf. Opfer von (Massen-)Abmahnungen werden, z.B. wenn er eine Fanpage für ein Computerspiel ab 16 betreibt oder ein Bild verlinkt, welches für Personen unter 16 schädlich sein könnte. Ebenso gefährlich ist es, eine Seite für Kinder in die Homepage zu integrieren, da dann die gesamte Homepage kindgerecht (ab 6) sein muss.

Muss jeder seine Homepage mit einer Alterskennzeichnung versehen?

Die Alterskennzeichnung ist in der Theorie "freiwillig".

Die anderen Optionen sind:

  1. bestimmte Zeitfenster, also Sendezeiten im Internet
  2. Klassische Zugangsbeschränkungen

Sendezeiten und Zugangsbeschränkung greifen dann, wenn das Angebot für Kinder unter 16 Jahren schädlich sein könnte. Angebote "ab 12" müssen jedoch strikt getrennt von Inhalten für Kinder angeboten werden.

Abmahnungsgefahr gibt es also für alle "ab 16"-Fälle und auf Seiten, die einen Bereich für Kinder haben. Achtung: auch Links zu einem Filmtrailer eines Films ab 16 könnten darunter fallen. Der Anbieter muss im Zweifel beweisen, dass sein Angebot für die Zielgruppe geeignet ist.

Allerdings sollte man in der Praxis dennoch eine Alterskennzeichnung vornehmen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Seite automatisch "ab 18" eingestuft wird. Weite Teile des Internets, vor allem ältere Seiten – sowie natürlich fast alle ausländischen Websites – werden für Surfer mit Jugendschutzprogramm nicht verwendbar sein.

Schwierig wird das Ganze jedoch für User-Content-Seiten (Webseiten mit Inhalten der Nutzer, wie StudiVZ, Foren und andere Communities), denn hier wird die Freiwillige Selbstkontrolle beinahe Pflicht. Nur dann reicht z.B. eine redaktionelle Betreuung und ein Beschwerdemanagement, um dem Jugendschutz Genüge zu tun. Aber heißt das, dass eine Redaktion private Blogeinträge und Galerien begutachten muss? Und wie ist eine Altersstufung vorzunehmen? Wenn sich zwei 14-Jährige über ein soziales Netzwerk über Sex unterhalten, ist der Content natürlich für 14-Jährige nicht geeignet. Hier bleiben so viele Fragen offen, dass manche dies als ein Verbot von sozialen Netzwerken in Deutschland ansehen. (Ausländische Server sind nicht betroffen)

User-Content (z.B. Foren, Kommentarmöglichkeiten) wird für die Websitebetreiber ohne Mitgliedschaft in der Freiwilligen Selbstkontrolle auch hier wieder zur Abmahnfalle.

Weniger Probleme haben Journalisten: bei Nachrichten gibt es eine Beweisumkehr. Der Journalist darf erst einmal machen und kann nur von der Aufsichtsbehörde zur Zielgruppeneinschränkung bewegt werden. Abmahnschreiben werden dadurch für explizit als Nachrichtenseiten deklarierte Websites diesbezüglich unwahrscheinlich.

Die technische Umsetzung der geforderten Alterskennzeichnung wird von der Freiwillen Selbstkontrolle, KJM, ARD, ZDF und Deutschlandradio festgelegt. Ob sie von Betreibern von z.B. fertigen CMS-Lösungen ohne Programmierkenntnis umsetzbar ist, ist daher noch nicht abzusehen. Dazu kommt eine "visuelle Komponente", also die optische Kennzeichnung auf der Website. Wer wo das visuelle Kennzeichen anbringen muss, steht ebenfalls noch nicht fest.

Die Alterskennzeichnung kann erst dann dem Jugendschutz dienen und gilt rechtlich gesehen auch erst dann, wenn die Jugendschutzprogramme laufen.

Fazit

Chancen:

  1. Jugendschutzprogramme erhalten eine zusätzliche Informationsquelle.

Gefahren:

  1. Großer Aufwand für nichts: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Jugendschutzprogramme trotz des hohen Aufwands auf Seiten der Websitebetreiber nicht attraktiver werden, da alle nichtgekennzeichneten Seiten (ältere und ausländische Seiten, Wikipedia) automatisch wegfallen. Schüler könnten auf viele benötigte Seiten nicht zugreifen.
  2. Abmahngefahr vor allem für private Homepages (Beispiel: Fanpage zu Computerspiel ab 16).
  3. Abmahngefahr und rechtliche Probleme für jede Art von User-Content.
  4. Altersabstufung bei Mischung aus User-Content und privater Kommunikation schwierig.
  5. Große Medienunternehmen werden gegenüber kleinen Firmen oder Privatleuten bevorteilt.
  6. Die Alternative "Sendezeiten" schränkt die Möglichkeiten der Internetnutzer ein.
  7. Scheinsicherheit für Eltern und Schulen: die Jugendschutzprogramme lassen sich leicht austricksen und falsche Kennzeichnungen lassen sich vor allem im Ausland schlecht verfolgen.
  8. Der Erwerb von Medienkompetenz wird erschwert: Die notwendige Diskussion über Inhalte im Netz und ein pädagogisch sinnvoller Selbstlernprozess werden durch eine bequeme aber für die Erziehung ungeeignete Maßnahme ersetzt.