Bundesparteitag 2012.2/Antragsfabrik/Programmänderung 120

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Tango-preferences-system.svg Dies ist ein Programmänderung (im Entwurfsstadium) für den Bundesparteitag 2012.2.

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Antragstitel

Echte Wahlfreiheit für Familien

Antragsteller

Astrid Geisler, Benutzer:Arte_povera, Incredibul, rhotep

Antragstyp

Programmänderung

Antragstext

Der Bundesparteitag möge folgenden Antrag gegebenenfalls modular beschließen und im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 an geeigneter Stelle folgendes zum Themenfeld Geschlechter- und Familienpolitik einfügen:

Modul 1 Präambel

Wahlfreiheit und umfassende soziale Teilhabe gehören zu den politischen Leitmotiven der Piratenpartei. Auf das Familien- und Berufsleben übertragen bedeutet das: Familien sollten wählen können, welche Balance aus Arbeits- und Familienzeit für sie zu welchem Zeitpunkt die richtige ist - egal, ob das Ergebnis den tradierten Rollenmodellen entspricht oder nicht. Dies ist bisher allerdings oft nur theoretisch möglich. Eltern, die für ihre Familie da sein und deshalb eine Weile beruflich aussetzen oder phasenweise ihre Arbeitszeit reduzieren wollen, stehen oft vor kaum überwindbaren Hürden. Es fehlen hochwertige, bezahlbare Ganztagsangebote für die Kinderbetreuung. Auch flexible, familienfreundliche Arbeitszeitmodelle sind in Deutschland längst noch keine Selbstverständlichkeit.

Eltern brauchen die Gewissheit, dass sich Arbeitswelt und Familienleben vereinbaren lassen. Sie müssen sicher sein, dass ihnen nach der Elternzeit der Weg zurück in den Beruf offen steht.

Die Piratenpartei steht für eine Familienpolitik, die allen Eltern eine selbstbestimmte Teilhabe am Berufs- und Familienleben ermöglicht. Echte Wahlfreiheit besteht erst, wenn längere berufliche Auszeiten oder Teilzeitarbeit gesellschaftliche Normalität sind – unabhängig vom Geschlecht. Die Piratenpartei setzt sich deshalb dafür ein, die einseitige Bevorzugung tradierter Rollen-, Familien- und Arbeitsmodelle zu überwinden. Stattdessen verdienen gerade auch jene Familien politische Unterstützung, die mit ihrem Vorbild dazu beitragen, dass gleichberechtigte Lebensentwürfe zur Normalität werden.

Modul 2 Kinderbetreuung und Arbeitszeitverkürzung

Die Piratenpartei Deutschland setzt sich dafür ein, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Eltern müssen sicher sein, dass sie nach einer Auszeit für die Familie in ihren Beruf zurückkehren können.

Um die freie Wahl eines Lebensentwurfs zu ermöglichen, sind ausreichende Betreuungsangebote für Kinder zu schaffen. Die Piratenpartei setzt sich für einen Rechtsanspruch auf eine bezahlbare, wohnort- oder arbeitsplatznahe, hochwertige Kinderbetreuung mit ausreichenden Betreuungszeiten ab der Geburt ein. Für Kinder ab drei Jahren sollten Kitaplätze kostenlos zur Verfügung stehen.

Kürzere Arbeitszeiten erleichtern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oft wesentlich und ermöglichen eine andere Work-Life-Balance. Dafür müssen hinreichend viele Arbeitsplätze eine Teilzeitarbeit oder eine "kurze Vollzeit" von 30 bis 35 Stunden pro Woche ermöglichen – auch in Branchen mit hohem Lohnniveau, in Führungspositionen und bei Ausbildungsplätzen. Der öffentliche Sektor und die Politik sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen. Verkürzte Arbeitszeit darf nicht mit fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten bestraft werden. Die Beschäftigten sollen bei der Ausgestaltung von Teilzeitarbeit und "kurzer Vollzeit" möglichst viele Mitspracherechte haben.

Während viele Berufstätige gerne kürzer arbeiten würden, um mehr Zeit für ihre Familie zu haben, werden andere unfreiwillig auf Teilzeitstellen festgehalten. Die Piratenpartei setzt sich daher für den gesetzlichen Anspruch ein, von einer Teilzeitstelle wieder auf eine Vollzeitstelle zurückzukehren. Sie macht sich für einen Wandel der Arbeitswelt stark: Weg von einer Kultur der ständigen Verfügbarkeit, hin zu kreativen Lösungen wie der zeitlichen und inhaltlichen Aufteilung von Arbeitsplätzen, flexiblen Vertretungslösungen und Arbeits- und Erreichbarkeitsregelungen, die keine ständige Präsenz am Arbeitsplatz verlangen. Andere europäische Länder gehen bereits erfolgreich diesen Weg. Nicht zuletzt muss das innovative Potenzial der Digitalen Revolution auch für familienfreundlichere Arbeitsmodelle ausgeschöpft werden.


Modul 3 Elterngeld

Die Piratenpartei tritt dafür ein, alternative Rollenmodelle nicht länger zu benachteiligen und eine gleichberechtigte Aufgabenteilung bei der Kinderbetreuung zu fördern.

Nach wie vor ist Kinderbetreuung in Deutschland in den allermeisten Fällen die Sache der Mütter. Nur etwa jeder vierte Vater nimmt bisher das Elterngeld überhaupt in Anspruch. In vielen Unternehmen ist der "aktive Vater" noch nicht angekommen. Männer haben es zum Teil schwer, eine längere berufliche Auszeit durchzusetzen. Wahlfreiheit besteht für viele Familien nur auf dem Papier. Die zwei "Partnermonate" im Elterngeldgesetz haben daran wenig geändert. Bis zur Entscheidung über die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens setzt sich die Piratenpartei daher für eine Weiterentwicklung des Elterngelds ein.

Das Elterngeld darf alternative Lebensmodelle und Patchwork-Familien nicht länger benachteiligen. Deshalb sollte das Zusammenleben mit dem Kind in einer gemeinsamen Wohnung keine notwendige Bedingung mehr für den Elterngeldanspruch sein. Stattdessen sollte neben der gemeinsamen Wohnung auch das Sorgerecht für ein Kind als Kriterium herangezogen werden. Wer kein Sorgerecht hat, aber mit dem Kind in einer Wohnung lebt und Elterngeld beziehen möchte, braucht die Einwilligung der Elternteile, die das Sorgerecht haben. So können zum Beispiel auch neue Partnerinnen oder Partner die Kinderbetreuung übernehmen und soziale Eltern sein.

Das Elterngeld sollte außerdem nur noch über den vollen Bezugszeitraum von 14 Monaten ausgezahlt werden, wenn mindestens zwei der bezugsberechtigten Personen mindestens vier Monate beruflich aussetzen. Die restlichen Monate können sie sich beliebig aufteilen. Falls sich die bezugsberechtigten Personen nicht einigen können, haben sie Anspruch auf jeweils gleiche Anteile der 14 Elterngeldmonate.

Ein angemessenes Elterngeld sollte auch jenen Eltern zustehen, die wegen Teilzeitarbeit nur ein geringeres Einkommen oder gar kein Erwerbseinkommen vorweisen können. Es widerspricht den Grundideen der Piratenpartei, dass das Elterngeld seit 2011 ausgerechnet bei Bezug von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe vollständig als Einkommen angerechnet wird und zur Kürzung der Leistungen führt. Diese Regelung sollte deshalb zurückgenommen werden. Um den Wiedereinstieg ins Berufsleben nach der Auszeit zu erleichtern, muss eine Teilzeitarbeit auch während des Elterngeldbezugs unbürokratisch möglich sein, der Zuverdienst darf nicht finanziell bestraft werden.


Modul 4 Ehegattensplitting

Das Ehegattensplitting ist vollständig abzuschaffen.Es bevorzugt konservative Rollenmodelle und benachteiligt Familien mit vielen Kindern. Die Steuermehreinnahmen sollen auf andere Weise Einzelpersonen oder Lebensgemeinschaften zu gute kommen, die Kinder oder schwache Menschen versorgen. Sie könnten auch die eventuellen Mehrkosten einer flexibleren Elterngeldregelung auffangen.



Antragsbegründung

Die nachfolgende Begründung bezieht sich allgemein auf sämtliche Module dieses Programmantrags.

Wahlfreiheit und umfassende soziale Teilhabe gehören zu den politischen Leitmotiven der Piratenpartei. Auf das Familien- und Berufsleben übertragen bedeutet das: Alle Eltern sollten ihren Lebensentwurf frei wählen können - egal, ob dieser den tradierten Rollenmodellen entspricht oder nicht. Dies ist bisher allerdings meist nur theoretisch möglich. Viele Eltern unterliegen Zwängen und Einschränkungen in ihrer Entscheidung, wie sie ihr Familienleben parallel zum Beruf gestalten wollen.

In der Regel wird vor allem von Frauen erwartet, sich um die Kinder oder pflegebedürftige Angehörige zu kümmern und dafür beruflich zurückzustecken. Nach der Auszeit ist es für viele von ihnen schwierig, an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Möchten stattdessen Männer diese Aufgaben übernehmen und zugunsten der Familie beruflich aussetzen, stoßen sie häufig auf wenig Verständnis für diese Entscheidung.

Kinderbetreuung

Fast überall in Deutschland fehlt es an qualitativ hochwertigen, zeitlich flexiblen und bezahlbaren Kinderbetreuungsangeboten. Die Kitas tun sich oft schwer, ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden, denn die Betreuungsschlüssel sind zu hoch. Erzieherinnen und Erzieher werden schlecht bezahlt, obwohl sie eine verantwortungsvolle Aufgabe mit hoher Arbeitsbelastung erfüllen. Wenn ein Ganztagsplatz in einer privaten Kita bis zu 1000 Euro im Monat kostet, ist das für die meisten Familien keine Option.

Wo noch kein Anspruch auf einen kostenfreien Kitaplatz besteht, müssen die Gebühren deshalb zumindest sozial so gestaffelt sein, dass auch Geringverdiener sich eine Kinderbetreuung leisten können. Die Kitas müssen zudem einigermaßen gut erreichbar sein. Übermäßig lange Anfahrtswege sind weder den Eltern noch den Kindern zumutbar.

In den allermeisten Fällen ist Kinderbetreuung in Deutschland nach wie vor die Sache der Mütter. Laut Statistischem Bundesamt haben nur 25,3 Prozent der Väter für ihre im Jahr 2010 geborenen Kinder das Elterngeld in Anspruch genommen. 76 Prozent der Väter nehmen nach wie vor nur die so genannten Partnermonate für maximal zwei Monate in Anspruch. Nur sechs Prozent der Väter nahm die Leistung für ein Jahr in Anspruch. Von den Familien, in denen beide Partner einen Elterngeldantrag stellten, haben 65 Prozent das Elterngeld für einen kurzen Zeitraum zeitgleich bezogen – und zwar für durchschnittlich zwei Monate.

Diese Zahlen zeigen: Es ist in Deutschland längst noch nicht normal, dass sich auch Männer an der Kinderbetreuung beteiligen. Dies hat nicht unbedingt etwas mit fehlendem Willen zu tun, sondern vielfältige strukturelle Gründe. In vielen Unternehmen stehen Männer nach wie vor als Pioniere da, wenn sie nach der Geburt ihres Kindes mehr als die zwei "Partnermonate" aussetzen wollen. Dies gilt ganz besonders für Führungskräfte. Aber auch gesellschaftlich fehlt es an Akzeptanz für Fulltime-Väter.

Die aktuelle Elterngeldregelung benachteiligt Menschen mit geringen oder keinem Erwerbseinkommen - und begünstigt damit auch, dass Mütter (spätestens beim zweiten Kind) die Elternzeit hauptsächlich alleine bestreiten. Denn ökonomisch rational ist: zu Hause bleibt, wer weniger verdient. Nicht zufällig haben gerade Frauen Schwierigkeiten, nach der Elternzeit ins Berufsleben zurückzukehren.

Elterngeld

Wer echte Wahlfreiheit erreichen will, muss Hindernisse abbauen, auf die Eltern jeden Geschlechts bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stoßen. Darüberhinaus sind aber gerade beim Elterngeld auch staatliche Anreize sinnvoll, um eine Einbindung von Männern in die Familienarbeit zu fördern und sukzessive zu normalisieren.

Eine Reform des Elterngelds nach isländischem Vorbild würde eine stärkere Einbindung der Väter in die Familienarbeit fördern. In Island beziehen inzwischen 89 Prozent der Väter zumindest einen Teil des Elterngeldes - und auch über einen durchschnittlich längeren Zeitraum als in Deutschland.

In Island gilt ein Drittel-Modell: Dort haben beide Elternteile einen individuellen Anspruch auf jeweils drei Monate Elterngeld, für drei weitere Monate besteht ein gemeinsamer Anspruch, das Paar kann also wählen, wer zu Hause bleibt. Die hier vorgeschlange Regelung lehnt sich an das isländische Modell an, geht aber im Sinne unseres Grundsatzprogramms zur Geschlechter- und Familienpolitik darüber hinaus, indem sie auch Familien mit mehr als zwei Elternteilen berücksichtigt.

Zudem sind die aktuellen Elterngeldregeln zu unflexibel und werden der Vielfalt der Lebensformen von Eltern und Kindern kaum gerecht. Daher sollte der Elterngeldanspruch nicht länger an eine gemeinsame Wohnung mit dem Kind gekoppelt sein. In anderen Ländern wie zum Beispiel in Island ist dies bereits der Fall, dort ist das Sorgerecht das entscheidende Kriterium, unabhängig von einer gemeinsamen Wohnung.

Wer während der Elternzeit den Kontakt zum Berufsleben hält, steigt nach der Auszeit leichter wieder ein. Nach der aktuellen gesetzlichen Regelung wird jedoch jeder Zuverdienst auf das Elterngeld angerechnet, selbst ein 400-Euro-Job. Es gibt auch für Selbständige keine Freibeträge. Das bedeutet: Von einem Zuverdienst bleibt kaum etwas übrig. Wenn von diesem Geld auch noch eine Kinderbetreuung finanziert werden muss, lohnt sich der Zuverdienst oft überhaupt nicht mehr.

Ehegattensplitting

Das Ehegattensplitting bevorzugt auf nicht mehr zeitgemäße Weise die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinsschaften. Es begüngstigt Ehepaare, auch wenn sie keine Kinder haben, und subventioniert das Ein-Verdiener-Familienmodell mit dem Vater als Alleinverdiener in dem der Vater der Alleinverdiener ist. Ist die Mutter anstelle des Vaters die Hauptverdienerin, so entgehen der Familie in der Zeit, in der die Mutter beim neugeborenen Kind bleibt und nicht arbeitet, unter Umständen erhebliche Steuerersparnisse. Diese können durch das Kindergeld kaum kompensiert werden. Ein-Verdiener-Familien mit Vätern als Hauptverdiener profitieren hingegen in vollem Umfang von der Steuerersparnis. Zwei ansonsten gleiche junge Familien, in der einmal die Mutter und einmal der Vater der Hauptverdiener ist, sind also durch das Steuerrecht sehr unterschiedlich gestellt.

Hinzu kommt, dass das Ehegattensplitting die Arbeitsanreize für Frauen, die Zweitverdienerinnen sind, erheblich senkt. Das Ehegattensplitting schafft also Anreize, Familien in die klassische Rollenverteilung zu drängen, während Eltern, die sich Erwerbs- und Familienarbeit aufteilen, im Vergleich dazu benachteiligt sind.

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Datum der letzten Änderung

10.10.2012


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