Bundesparteitag 2010.2/Antragskommission/Anträge 2010.2/2010-10-20 - Liquid Feedback aussetzen und an datenschutzrechtliche Gesetzgebung anpassen

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Antragsnummer

Z006

Einreichungsdatum

2010-10-20

Antragstitel

Liquid Feedback aussetzen und an datenschutzrechtliche Gesetzgebung anpassen

Antragsteller

  • Matthias Heppner

Antragstyp

Sonstiger Antrag

Antragstext

Der Bundesparteitag möge beschliessen:

1. Die bislang aktive Testinstanz des LQFB (Liquid Feedback, Bundesinstanz) wird vorübergehend ausgesetzt und die Datenbank inkl. aller Sicherungen derselben gelöscht, bis die nachstehenden Bedingungen erfüllt sind.

2. LQFB wird mit einem Kreis freiwilliger Piraten im Sinne und den Vorgaben des Bundesdatenschutzes, des Telemediengesetzes und unter Beachtung der Maßgaben des Parteiengesetzes um- und weiterentwickelt. Dabei sind auch Alternativen wie z.B. Adhocracy zu berücksichtigen.

3. Sollten Testabstimmungen im LQFB-Testsystem durchgeführt werden, werden diese mit Kontrollgruppen verglichen und die Ergebnisse wissenschaftlich validiert.

4. Der Bundesvorstand wird beauftragt, eine unabhängige und transparente Kommission einzusetzen, die die Entwicklung und Validierung wissenschaftlich begleitet. Eine gleichzeitige Mitarbeit an der aktiven Entwicklung von Liquid Feedback und in der Kommission ist auszuschließen. In dieser Kommission sollen insbesondere Juristen, Programmentwickler und Sozialforscher mitarbeiten.

5. Die Arbeit und Ergebnisse dieser Kommission werden regelmäßig veröffentlicht. Die Möglichkeit für eine Mitwirkung der Piraten, um z.B. Verbesserungsvorschläge zu machen, muss geschaffen werden.

6. Es sollte eine Delegationsbeschränkung eingebaut sein, die eine unverhältnismäßige Einflussnahme einzelner Mitglieder verhindert.

Antragsbegründung

Die Idee der Liquid Democracy, die hinter LQFB steht, ist einer grundlegenden Ansätze, wie die von uns Piraten geforderte Beteiligung der Bürger an der praktischen Politik umgesetzt werden kann. Der Versuch, dies durch Installation eines Meinungsbildungstools von der theoretischen Forderung zur konkreten Praxis umzusetzen, ist eine der größten Leistungen der Piratenpartei im vergangenen Jahr.

Angesichts dieser Bedeutung ist jedoch auch erforderlich, dieses Vorhaben in einer Weise zu gestalten, die sich in die rechtlichen Rahmenbedingungen einbettet. Ein Projekt, das unter dem Damoklesschwert der Rechtswidrigkeit ausgeführt wird, birgt die Gefahr des Scheiterns.

Dies gilt es gerade bei LQFB, wegen der großen Bedeutung, die es für piratige Politik besitzt, zu verhindern. Um es auch dauerhaft einsatzfähig halten und zu einem Symbol der von Piraten geforderten Politik 2.0 machen zu können, muss es daher in einer Weise ausgestaltet werden, die im Einklang mit der aktuellen Rechtslage steht. Dies umso mehr, soweit es um Bestimmungen des Datenschutzes geht.

In der derzeitigen Fassung begegnet LQFB erheblichen, gerade in diesem Bereich ernsten rechtlichen Bedenken sowohl nach dem Telemediengesetz (TMG) als auch dem Bundesdatenschutzgesetz.

Das TMG verlangt in § 13:

(4) Der Diensteanbieter hat durch technische und organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass

1. der Nutzer die Nutzung des Dienstes jederzeit beenden kann,

2. die anfallenden personenbezogenen Daten über den Ablauf des Zugriffs oder der sonstigen Nutzung unmittelbar nach deren Beendigung gelöscht oder in den Fällen des Satzes 2 gesperrt werden,

3. der Nutzer Telemedien gegen Kenntnisnahme Dritter geschützt in Anspruch nehmen kann,

4.die personenbezogenen Daten über die Nutzung verschiedener Telemedien durch denselben Nutzer getrennt verwendet werden können,

5.Daten nach § 15 Abs. 2 nur für Abrechnungszwecke zusammengeführt werden können und

6.Nutzungsprofile nach § 15 Abs. 3 nicht mit Angaben zur Identifikation des Trägers des Pseudonyms zusammengeführt werden können.

Jedenfalls gegen Ziff. 2, wohl aber auch gegen Ziff. 6 dürfte LQFB in der derzeitigen Fassung verstoßen.

Das BDSG verlangt daneben die Möglichkeit der Löschung bzw. Sperrung der Nutzerdaten, wenn der Betroffene dies nach Beendigung des Vertrages verlangt (§§ 20, 35 BDSG).

Dem Bundesvorstand war diese Problematik bei der Einführung des Systems bekannt. In dem Bestreben, den systemimmanenten Verstoß gegen § 13 Abs. 4 Ziff. 2 TMG sowie §§ 20, 35 BDSG zu heilen, wurde dann in den Nutzungsbedingungen eine Klausel eingefügt, die auf einen Verzicht des Löschungs- bzw. Sperrungsanspruches der Nutzer nach dem TMG und dem BDSG hinauslaufen soll.

Doch diese Klausel in den Nutzungsbedingungen ist unwirksam. So stellt § 6 Abs. 1 BDSG unmissverständlich klar:

"Die Rechte des Betroffenen auf Auskunft (§§ 19, 34) und auf Berichtigung, Löschung oder Sperrung (§§ 20, 35) können nicht durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen oder beschränkt werden."

Es besteht daher die Gefahr, dass ein Nutzer aus LQFB aussteigt, anschließend die Löschung, mindestens aber die Sperrung der Daten verlangt und - weil dies nicht möglich ist - die Piratenpartei Deutschland, vertreten d. d. Bundesvorstand, vor den ordentlichen Gerichten auf Löschung verklagt.

Hierbei darf nicht ignoriert werden, welchen z. T. heftigen Widerstand gerade der Ausschluss der datenschutzrechtlich gebotenen Lösch- bzw. Sperrmöglichkeit schon innerhalb der Piratenpartei provoziert hat. Diese Diskussion könnte leicht auch nach außen getragen werden. Der politische Schaden, den dies der Piratenpartei zufügen würde, dürfte mutmaßlich immens sein. Den Nimbus der Datenschutzpartei würden die Piraten - jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung - schlagartig verlieren.

Die Nutzungsbedingungen und die Datenschutzerklärung des Betreibers des LQFB verstoßen nicht nur gegen das Datenschutzgesetz, sondern ebenfalls gegen verfassungsrechtliche Grundsätze. Zwar ist es richtig, dass das PartG in § 15 Abs. 2 nur von geheimen Personenwahlen spricht, jedoch sind die Liquid Feedback Abstimmungen mit ihrer Nachvollziehbarkeit zum Klarnamen und die Abspeicherung derselben für einen längeren Zeitraum i.V.m. dem Anbieten eines Datenbankdumps nicht mehr als bloße Abstimmungen zu definieren. Zum Einen ist es demokratischer Brauch, per Minderheitenquorum verbindlich geheime Abstimmungen beantragen zu können, was in LQFB derzeit nicht möglich ist und auch nicht simuliert werden kann. Und da zum Anderen LQFB sowohl konkret durch Priorisierung von LQFB-Anträgen auf Bundesparteitagen als auch abstrakt durch zu erwartende massive Beeinflussung des Abstimmungsverhaltens der Mitglieder auf einem Bundesparteitag wirken wird, ist es gerechtfertigt, die Prinzipien des PartG i.V.m. dem GG auf Liquid Feedback anzuwenden.

LQFB hat, auch wenn dies vehement verneint wird, große Ähnlichkeiten mit einem Wahlcomputer. LQFB-Anträge sollen mit großer Wahrscheinlichkeit in Zukunft gegenüber anderen Antragseinreichungen priorisiert werden, sodass hier eine konkrete Ungleichbehandlung zu erwarten ist. Damit diese jedoch legitimiert werden kann, muss LQFB, auch wenn hier die Anträge nicht konkret abgestimmt werden, sich den Kriterien eines Wahlcomputers stellen und hier kann es die Kriterien, wie jeder andere Wahlcomputer auch, nicht erfüllen.

Zudem ist davon auszugehen, dass LQFB, gerade wegen der personellen Nachvollziehbarkeit, eine hohe Beeinflussung auch auf Parteitagen ausüben wird, was ja auch durchaus gewollt ist (Stichwort Alternatives Delegiertensystem). Jedoch muss dann genau die Beeinflussung, die deswegen stattfindet, weil die Mitglieder darauf vertrauen, dass die Abstimmungsergebnisse von echten Mitgliedern stammen, wiederum den Kriterien eines Wahlcomputers genügen, da ansonsten LQFB zwar abgeschwächt, aber in der Sache grundsätzlich als ein vorverlagerter Wahlcomputer fungieren würde.

Da Art. 21 Abs. 1 GG postuliert, dass die demokratische Grundordnung einer Partei demokratischen Grundsätzen entsprechen muss, ist LQFB entsprechend so umzugestalten, dass der Datenschutz und damit einhergehend der Minderheitenschutz gewahrt bleibt. Solange dies nicht gewährleistet ist, ist der Betrieb von LQFB auszusetzen.

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