Benutzer:Zaphod2210/Datenschutzkritik: Warum wir wissen sollten, was Durex so verkauft

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Warum wir wissen sollten, was Durex so verkauft

Nach der letzten Präsidentschaftswahl in Kenia kam es zu gewalttätigen Aufständen, in deren Verlauf zwischen 1000 und 2000 Menschen getöten wurden. Zwischen 300 000 und 600 000 wurden zu Flüchtlingen, zahllose weitere wurden verletzt, vergewaltigt, gefoltert und mit HIV infiziert. Während ich in Kenia lebte und mit eben diesen Flüchtlingen arbeitete, fragte ich mich immer wieder: Hätte man das nicht irgendwie verhindern können?

Hätte man. Es gab bereits vorher einen Hinweis, mit dem man das alles hätte voraussehen können: Der rasante Anstieg des Machetenverkaufes. Über Wochen stieg die Nachfrage so stark an, dass eine große Supermarktkette bekannt gab, künftig nur noch eine Machete pro Person zu verkaufen, um die Nachfrage überhaupt noch decken zu können.

Das zeigt, dass der Verkauf einzelner Produkte gesellschaftlich relevante Fragen beantworten kann, die uns andernfalls verborgen bleiben. Was wir kennen, sind die Umsatzzahlen einzelner Unternehmen, wieviel aber von welchem Produkt verkauft wird bleibt unbekannt. Dies öffentlich zu machen wiederspricht dem Datenschutz der betroffenenen Unternehmen. Es gibt jedoch bei bestimmten Fällen, hier und heute, ein berechtigtes öffentliches Interesse, das für Gesellschaft und Staat Vorrang haben sollte vor Datenschutzbestimmungen. Wem ein Beispiel aus Kenia zu abgefahren ist, der kann sich stattdessen auch an Rostock Lichtenhagen zurück erinnern, und anerkennen das gewalttätige Ausschreitungen in großem Stil leider nicht so weit weg sind, wie wir es uns wünschen. Geschieht so etwas, so ist es das Recht aller Menschen, so früh wie möglich von Warnzeichen zu erfahren. Oder anders gesagt: Wenn in einem Gebiet mit hoher Neonazi-Dichte plötzlich deutlich mehr Baseballschläger, Schlagringe oder Brennspiritus verkauft werden, möchte ich das wissen und möchte, das jeder die Möglichkeit hat, das zu wissen.

Aber nicht nur bei Waffen sollten wir freie Informationen haben. Wenn die Verkaufszahlen für Kondome plötzlich rückläufig sind, lassen sich auch daraus Rückschlüsse auf das Verhalten der Bevölkerung ziehen. Und neben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollten auch Gynäkologen, Lehrer, Sozialarbeiter und Eltern diese Information erhalten um durch Aufklärung gegensteuern zu können, möglichst noch bevor die Infektionsraten für HIV und Geschlechtskrankheiten in die Höhe schnellen. Ebenso ist es für jeden, der privat oder beruflich mit Alkoholikern zu tun hat, wichtig zu wissen wie der Konsum in der Gesamtbevölkerung aussieht. Angesichts dessen, dass Aufklärung über Alkohol, Verhütung etc. eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe ist, über deren Optimierung bereits Generationen von Psychologen gebrütet haben, bietet die zeitnahe Offenlegung von Verkaufszahlen darüber hinaus eine weitere Möglichkeit: ein Feedback über die Effizienz dieser Aufklärung beinahe in Echtzeit.

Genauso relevant sind Arzneimittel – speziell bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten fehlt uns jegliche Information, wo wann womit mediziert wird. Steigt der Verbrauch von nicht verschreibungspflichtigen Mitteln generell an, so lässt es Rückschlüsse auf die Auswirkungen aktueller Gesundheitspolitik zu (die Praxisgebühr und die daraus folgende häufigere Selbstmedikation war dafür ein Beispiel, als es sie noch gab). Werden einzelne Medikamente, wie zum Beispiel Schmerzmittel verstärkt konsumiert, wirft dies die Frage auf ob chronische Schmerzen in der Bevölkerung häufiger auftreten – bis hierzu verlässliche Forschungsergebnisse vorliegen, können Monate oder Jahre vergehen. Je früher die involvierten Berufsgruppen darüber Bescheid wissen, umso schneller kann den Betroffenen effektiv geholfen werden. Und verglichen mit sich weiter verschlimmernden chronischen Krankheiten ist weniger Datenschutz von Konzernen das geringere Übel.

Zusammenfassend bin ich für eine Pflicht zur Veröffentlichung von Verkaufszahlen, bei Produkten über deren Verwendung ein öffentliches Interesse besteht. Dies sind sämtliche Waffen oder Gegenstände, die sich als Waffen benutzen lassen, Verhütungsmittel, Arzneimittel und Genussmittel wie Alkohol und Nikotin. Veröffentlicht werden sollten diese so zeitnah wie möglich, für jeden einsehbar für einzelne Regionen.

Was spricht dagegen? Der Datenschutz des Verbrauchers wäre nicht betroffen, da nicht ersichtlich wäre, wer was kauft. Der Datenschutz von Unternehmen allerdings schon, da mit einer Offenlegung automatisch auch für Konkurrenzunternehmen einzusehen wäre, welche Produkte, Werbekampagnen usw. wie erfolgreich sind. Eine Lösung, die dieses Problem reduzieren kann, wäre zum Beispiel, dass in Deutschland verkaufende Unternehmen verpflichtet werden, ihre Verkaufszahlen an die jeweils relevante staatliche Stelle schicken, wie etwa die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die anschließend die Zahlen aller Unternehmen für ein Produkt zusammenzählt und die Summe veröffentlicht, so dass Lisa Normalverbraucherin nur erfahren kann, wieviel Paracetamol letzten Monat verkauft wurde, ohne zu wissen wie viel davon von welchem Pharmakonzern. Vorteile wären die Möglichkeit, polizeiliche, gesundheitliche oder gesundheitspolitische Interventionen präziser, schneller und effizienter durchführen zu können, und vor allem Transparenz gegenüber der Gesamtbevölkerung, was zu größerer Awareness gegenüber aktuellen gesellschaftlichen Problemen führen kann. Zusammen können diese Faktoren die Gesundheit und Sicherheit der Gesellschaft langfristig verbessern. In Anbetracht dieser Chance sollten wir dem Datenschutz von Durex und Ratiopharm eine Abfuhr erteilen.