Benutzer:Michael Ebner/Ansichten HH

Aus Piratenwiki
Wechseln zu: Navigation, Suche

Ansichten zur Bürgerschaftswahl in Hamburg

Das Ergebnis bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft 2015 kann uns nicht gefallen. Ich möchte jedoch davor warnen, darauf mit simplifizierten Erklärungen oder einseitigen Schuldzuweisungen zu reagieren. Wir haben hier eine Gemengelage von externen Faktoren, die wir ohnehin quasi gar nicht beeinflussen können, langfristigen Tendenzen, die den Hamburger Piraten nicht zuzuordnen sind, aber auch Fehler, die konkret in diesem Wahlkampf und vor Ort gemacht wurden.

Im Folgenden möchte ich meine Sicht der Dinge darlegen, Anmerkungen dazu gerne auf der Diskussionsseite.

Externe Faktoren

Beginnen wir der Einfachheit halber mit den externen Faktoren:

  • Hamburg ist ein Stadtstaat, großstädtisches Millieu ist vorteilhaft für uns.
  • Wahlalter ab 16 nutzt uns.
  • Winterwahlkampf schadet massiv: Es demotiviert Wähler und Helfer und bringt alle Parteien in eine ziemliche Abhängigkeit von den Medien, was uns derzeit massiv schadet.
  • Extreme Themenarmut im Wahlkampf. Hier dagegen gehalten zu haben scheint uns nicht genutzt zu haben.

Langfristige interne Tendenzen

  • Der Hype ist lange vorbei.
  • Wir kommen in den Medien als "nicht relevant" gerade noch dann vor, wenn es um unsere Kernthemen geht oder wir eine interessante Aktion machen.
  • Es gibt derzeit kein aktives "Gesicht", das für die Piraten steht.
  • Die Motivationslage der Gesamtpartei ist derzeit schlecht bis desaströs. Einige wenige Piraten haben sehr engagiert geholfen, aber die große Mehrheit hat es nicht mal geschafft, durch fleißiges retweeten zu helfen.


Der konkrete Wahlkampf

Kandidatenlage

Die aufgestellte Landesliste empfinde ich als ausgesprochen gut. Wir haben auf den ersten sechs Plätzen sehr verschiedene Menschen, die Hälfte davon sehr stark in der programmatischen Arbeit. In rhetorischer Hinsicht und bezüglich Pressearbeit haben die meisten noch "Luft nach oben", was in diesem Wahlkampf jedoch wenig zum tragen gekommen ist. Es spricht jedoch einiges dafür, langfristig Piraten "aufzubauen".


Flügelstreitigkeiten

Der Konflikt zwischen Sozialliberalen und Linksprogressiven spielt in Hamburg traditionell keine Rolle und hat den Wahlkampf quasi gar nicht belastet.


Organisation

Die Organisation des Wahlkampfes erfolgte in der WKK, die sich jeweils am Donnerstag traf (erst 14-tägig, dann wöchentlich), und in der alle Entscheidungen von den jeweils anwesenden Piraten in einer Mischung aus Konsens-Prinzip, Mehrheitsentscheidung und Einzelentscheidung der stellv. Landesvorsitzenden getroffen wurden. Da die Gruppe sich bei jeder Sitzung anders zusammensetze, konnten Entscheidungen bereits eine Woche später wieder revidiert werden.

Nach meiner Beobachtung wurden alle Diskussionen zwar rechtzeitig angegangen, die Entscheidung jedoch nur durch akuten Zeitdruck finalisiert.

Mir schein eine solche Struktur wenig geeignet, um einen Wahlkampf zu führen: Sie ist ineffektiv, es gibt keine Verantwortlichkeiten und viel zu spät gesicherte Planungsstände. Die Fachkenntnis einzelner Beteiligten wird wenig geachtet bis komplett ignoriert.

Nach meinem Dafürhalten wäre es sinnvoller, einen oder mehrere Beauftragte zu ernennen (vom LaVo) oder zu wählen (vom LPT), die dann den Wahlkampf verantwortlich führen, also auch die Entscheidungen treffen. Wenn es funktioniert, nimmt man sie das nächste mal wieder, wenn es nicht funktioniert, nimmt man das nächste mal andere.

Der Informationsfluss erfolgte primär beim wöchentlichen Stammtisch am Dienstag und bei der WKK-Sitzung am Donnerstag. Wer informiert sein wollte, kam um den Besuch dieser Sitzungen nicht drum herum. In's Mumble bekam man die Hamburger quasi gar nicht.


Themensetzung

Die Themensetzung erfolgte über die 8 Hauptplakatthemen, dabei erfolgte eine Mischung aus Kernthemen (Transparenz, Bürger müssen Mitreden, Menschenrechte schützt man anders) und in der Bevölkerung vorherrschende Themen (Wohnraum, ÖPNV). Als zusätzliche Themen wurden in Kleinserien weitere Themen ergänzt, teilweise Exotenthemen (Chrononormativität).

Die Frage, ob eine andere Themensetzung ein besseres Ergebnis hätte bringen können, kann nur spekulativ beantwortet werden. Es kann jedoch als sicher gelten, dass es mit dieser Themensetzung nicht gelungen ist, nennenswert Nichtwähler zu mobilisieren.

[Basaltpirat] Vielleicht einfach mal schauen, aus welchen Bevölkerungsgruppen die meisten Nichtwähler kommen? Um dann zu erkennen, dass die sog. "sozial schwachen" Wählerschichten sich gerade nicht mit diesen sog. Kernthemen (Transparenz, Bürger müssen Mitreden, Menschenrechte schützt man anders) identifizieren können. Sozialpolitische Themen mögen zwar immer noch nicht als "piratig" angesehen werden, aber was meint Ihr denn, womit die LINKE ihre Stimmengewinne macht?

Designlinie

Das Wahlkampfdesign setzt auf ausdrucksstarke Fotos, die Portraits von einzelnen Kandidaten wurden spät und auch nur in kleiner Auflage gehangen. Das Design war zweifelslos handwerklich sehr professionell.

Die Frage, ob ein weniger professionelles, dafür aber frecheres Design ein besseres Ergebnis hätte bringen können, kann nur spekulativ beantwortet werden.


Pressearbeit

Der Versuch, die Pressearbeit auf externe Helfer auszulagern, scheiterte an mangelndem Vertrauen in die Fähigkeiten dieser Helfer, unklarer und laufend veränderter Aufgabenstellung sowie mangelnder Zuarbeit. Eine nennenswerte eigene Pressearbeit hat nicht stattgefunden.

Dass die Piraten in der Presse nur sehr rudimentär vorgekommen sind, dürfte damit korellieren.

Der Resonanz auf die Aktion "HVV für lau" hat gezeigt, dass wir es derzeit noch mit solchen Aktionen in die Presse schaffen. Allerdings gab es dann keine weiteren solchen Aktionen.


Social Media

Die (unabhängig von eigenem Versagen derzeit immer vorhandenen) Schwierigkeiten, in der Presse vorzukommen, hätte man durch Aktivitäten auf Social Media vielleicht ein Stück weit kompensieren können. Ernst zu nehmende Versuche in dieser Richtung gab es nur von einem hessischen Mitglied.


Großevent

In Erfurt hat mutmaßlich stark die Anger-Party als großes Wahlkampfevent geholfen. In Hamburg wurde versucht, das mit der Wahlkampfendspurtparty zu wiederholen. Dabei wurde jedoch kein konsistentes Konzept verfolgt. Einserseits wurde die Veranstaltung extra auf den Freitag gelegt, um der Presse noch zu ermöglichen, darüber am nächsten Tag zu schreiben, auf der anderen Seite wurde der Beginn dann auf 20:00 Uhr gelegt, da vorher auf dem Spielbudenplatz zu wenig los ist. Als Ausrichtung wurde einerseits Wahlkampfwirksamkeit angestrebt, andere Piraten sahen darin eine eher interne Veranstaltung.

Für die Veranstaltung gab es viele gute Reden von Landtagsabgeordneten, die dann in der Nacht und am nächsten Tag auf Youtube gestellt wurden (mangels ausreichend Zeit nur ganz grob geschnitten), diese kamen jedoch wohl zu spät, um da noch Wirkung zu entfalten. Die Idee, dass die Redner abschließend mit den Zuhörern in's Gespräch kommen, scheiterte auch an der Temperatur (Heizpilze waren explizit unerwünscht - "wem kalt ist, der soll saufen").

Künftig sollten solche Events wieder eine Woche vor der Wahl und tagsüber stattfinden.

Fazit

Nach meiner Beobachtung gibt es nur zwei Wege für die Piraten in die Landesparlamente:

  • Die Piraten befinden sich gerade in einer Hype-Phase - solange dann keine grundlegenden Fehler gemacht werden, die diese Phase beenden, sind Wahlen dann ein Selbstläufer.
  • Einige Wochen vor der Wahl müssen 3% + x erreicht werden, damit eigener Balken in den Umfragen, damit konkrete Abfrage bei der nächsten Umfrage, damit bessere nächste Umfrage, damit so nah an die 5% oder drüber, dass das Argument der verlorenen Stimme nicht mehr zieht.

Der Zeitpunkt für 3% + x hätte zur Weihnachtszeit oder kurz danach liegen müssen, also zu einer Zeit, in der entsprechende Aufmerksamkeit extrem schwer herzustellen wäre. Vermutlich war somit ein Einzug in die Bürgerschaft eine Aufgabenstellung, die für die Hamburger im derzeitigen Umfeld ohnehin nicht zu schaffen war.

Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass mutmaßlich ein deutlich besseres Ergebnis möglich gewesen wäre, sofern oben angesprochene Fehler nicht gemacht worden wären.


Zentrale Wahlkampfkoordination

Derzeit bauen wir für jeden Wahlkampf erneut Know-How und Erfahrung vor Ort auf, und nutzen es dann auf viele Jahre nicht mehr. Das scheint mir nicht effektiv zu sein. Es spricht vieles dafür, Aufgaben im Wahlkampf zu zentralisieren. Voraussetzung dafür wäre jedoch, dass die Landesverbände diese Aufgaben dann auch abgeben.


Nachtrag 1

Auf Twitter gibt es gerade eine Diskussion um den Begriff Hype und woran ich das festmache. Dazu möchte ich feststellen:

  • Nein, wir befinden uns aktuell nicht in einer Hype-Phase. Bitte auch den Satz davor lesen und berücksichtigen.
  • Würden wir uns in einer Hype-Phase befinden, dann hätten wir in Hamburg auch über 5% abgeschnitten.
  • Woran ich es festmache, dass man in einer Hype-Phase wenig falsch machen kann: In einer solchen Phasen hatten wir drei erfolgreiche Landtagswahlkämpfe (SL, SH, NRW), mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, unterschiedlichen Designs, und letztlich ziemlich ähnlichen Ergebnissen, bis hinein zu Wählerzusammensetzung und solchen Dingen. Ich ziehe daraus den Schluss: Es kam damals auf solche Dinge schlicht nicht an. Die Piraten waren bundesweit in der Öffentlichkeit, Wahlerfolge waren damals "low hanging fruits".