BE:Parteitag/2014.1/Antragskommission/Antragsportal/Sonstiger Antrag - 003

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Tango-preferences-system.svg Dies ist ein Antrag für den/die LMVB 2014.1. Die Antragsseiten werden kurze Zeit nach Erstellen durch die Antragskommission zum Bearbeiten gesperrt. Das Sammeln und Diskutieren von Argumenten für und gegen den Antrag ist auf der Diskussionsseite möglich
Tango-dialog-warning.svg Dieser Text ist (noch) keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland, sondern ein an den/die LMVB eingereichter Antrag. Jedes Mitglied ist dazu berechtigt, einen solchen Antrag einzureichen.

Version Antragsformular: 1.05

Antragsnummer

X003

Einreichungsdatum

Antragstitel

Positionspapier Justizvollzug

Antragsteller

Antragstyp

Sonstiger Antrag

Art des Programmantrags

Positionspapier

Antragsgruppe

-

Antragstext

Die Landesmitgliederversammlung möge folgenden Text als Positionspapier zum Justizvollzug und als Grundlage für zukünftige Wahlprogramme beschließen:

Positionspapier

"Um einen Staat zu beurteilen, muss man sich seine Gefängnisse von innen ansehen." - Lew Nikolajewitsch Tolstoi

Grundsätze

Die wichtigsten Aufgaben des Strafvollzugs bestehen darin, die Bevölkerung zu schützen und straffällig gewordenen Menschen dabei zu helfen, sich für ihr Leben neue Perspektiven aufzubauen und sich in die Gesellschaft neu einzugliedern. Diese beiden Ziele gehen naturgemäß Hand in Hand.

Ein humaner, auf Resozialisierung ausgerichteter Vollzug ist somit schlicht ein Gebot der Vernunft. Die Zeiten, in denen Menschen hinter Gefängnismauern bloß verwahrt wurden und gesellschaftliche Probleme damit "aus dem Blick" genommen wurden sollten endgültig vorbei sein.

Die Arbeit, die in Gefängnissen von Vollzugsbediensteten, Freien Trägern und auch ehrenamtlich geleistet wird verdient Anerkennung und Unterstützung. In einem modernen, humanen und gut ausgestatteten Justizvollzug kann sie dazu beitragen, vielen Menschen neue Chancen aufzuzeigen und unsere Gesellschaft sowohl sicherer als auch inklusiver zu gestalten.

Ersatzfreiheitsstrafen

In Berlin verbüßen jedes Jahr tausende Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe, weil sie eine gerichtlich verhängte Geldstrafe nicht bezahlen können. Naturgemäß betrifft dies vor allem finanziell schlecht gestellte und einkommensschwache Menschen.

Die weite Verbreitung von Ersatzfreiheitsstrafen ist in mehrfacher Hinsicht nicht wünschenswert. Zunächst setzt sie als Freiheitsstrafe die Betroffenen eine Strafintensität aus, die nach Würdigung aller Umstände vom Gericht eben gerade nicht für geboten gehalten wurde. Sie verursacht gleichzeitig in der Menge erhebliche Kosten für das Land Berlin, das entsprechend Haftplätze zur Verfügung stellen muss. Schließlich hat sie zwar wie die eigentliche Geldstrafe eine abschreckende Wirkung, aufgrund ihrer kurzen Dauer ist sie aber kaum für Maßnahmen der Resozialisierung geeignet - im Gegenteil ist damit zu rechnen, dass sie im Leben der Betroffenen eher destabilisierend wirken kann.

Aus diesen Gründen ist für uns die Reduzierung von Ersatzfreiheitsstrafen ein wichtiges Ziel. Wir befürworten die entsprechenden Arbeit-statt-Strafe-Programme, die ein Abarbeiten von Geldstrafen ermöglichen ("Schwitzen statt Sitzen"). Diese werden aber immer nur einen Teil erreichen können. Rechtspolitisch müssen "geringfügige" Straftatbestände darauf geprüft werden, ob sie abgeschafft oder zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft werden können. Dies ist unserer Ansicht nach etwa für den Straftatbestand des "Schwarzfahrens" - unabhängig von zivilrechtlichen Ansprüchen - der Fall.

Offener Vollzug

Der in Berlin praktizierte Umgang mit dem offenen Vollzug - insbesondere das sogenannte "Selbststellermodell", das einen unmittelbaren Haftantritt im offenen Vollzug ermöglicht - hat sich erwiesenermaßen bewährt.

Die beaufsichtigte und strukturierte Einübung in ein Leben "in Freiheit" ist ein wichtiger Ansatzpunkt für die Resozialisierung und sollte allen Gefangenen ermöglicht werden, bei denen kein Missbrauch dieser Möglichkeit zu befürchten ist. Sicherheitsbedenken bezüglich der derzeitigen Handhabung haben sich bei sinkenden Entweichungszahlen auf niedrigstem Niveau und einer zu vernachlässigenden Zahl an Straftaten aus dem offenen Vollzug heraus als unbegründet erwiesen.

Der Offene Vollzug und umsichtig gewährte Vollzugslockerungen sind kein Sicherheitsrisiko, sondern schaffen letztendlich einen Sicherheitsgewinn für uns alle. Hierfür gilt es auch bei einer nachvollziehbarerweise skeptischen Öffentlichkeit Verständnis zu schaffen.

Vollzugsplanung

Im bundesweiten Vergleich liegt Berlin weit hinten, was die in § 57 Strafgesetzbuch als Regelfall definierte vorzeitige Entlassung nach zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe angeht.

Die Praxis der Vollzugsplanung im Berliner Strafvollzug muss vor diesem Hintergrund auf den Prüfstand gestellt werden. Auf eine vorzeitige Entlassung muss bereits von Anfang an hingearbeitet werden. Dazu bedarf es nicht nur organisatorischer Maßnahmen, sondern auch einer ausreichenden Ausstattung mit Mitteln und qualifiziertem Personal.

Ein besonderer Fokus ist auf das Übergangsmanagement zu legen, um Gefangen nach der Entlassung aus dem Vollzug nicht im luftleeren Raum stehen zu lassen. Wenn therapeutische Maßnahmen und Hilfen bei der Vorbereitung auf eine geregelte Lebensführung nach der Entlassung im schlimmsten Fall schlicht versanden, da die Vollzugsbehörden nicht mehr zuständig sind, ist damit niemandem geholfen und die Gefahr eines Rückfalls in straffälliges Verhalten deutlich erhöht. Die Vorbereitung auf diesen Bruch muss bereits deutlich vor der voraussichtlichen Entlassung beginnen.

Mediennutzung

Das Internet hat als weltweite Kommunikationsinfrastruktur eine erhebliche gesellschaftliche Bedeutung erlangt und ist aus kaum einem Bereich unseres Alltagslebens wegzudenken. Ein moderner Vollzug muss sich daher der Bereitstellung eines kontrollierten Internetzugangs für Gefangene öffnen, so wie er dies einst für Telefonie getan hat. Im Sinne der gesetzlich festgeschriebenen Angleichung des Lebens im Justizvollzug an das in der Freiheit, dem unverzichtbaren Kontakt zu Menschen außerhalb der Anstalt und den Chancen, die ein Zugang zum Internet für die Resozialisierung bieten kann - etwa im Bereich der Weiterbildung - braucht es eine gesetzliche Regelung, die Gefangenen ein Recht auf Internetnutzung gewährt.

Der Zugang zu Kommunikationsmitteln muss so ausgestaltet sein, dass er allen Gefangenen grundsätzlich zur Verfügung steht. Im Bereich der Telefonie ist dies derzeit durch die Auslagerung an einen privaten Monopolisten mit überhöhten Tarifen nur eingeschränkt der Fall; auch hier kann die Freigabe von Internetkommunikation Abhilfe schaffen.

Die derzeitigen Bestrebungen, in den Berliner Justizvollzugsanstalten flächendeckend Mobilfunkblocker einzusetzen, halten wir nicht für zielführend. Wenn ein Mobiltelefonverbot trotz aller Bemühungen nicht durchsetzbar ist, sollten eher Möglichkeiten verfolgt werden, die bestehenden Regelungen zur Gefangenentelefonie auf ein kontrolliertes mobiles Angebot anzuwenden, als enorme Geldsummen für technische Aufrüstungen mit Mobilfunkblockern auszugeben.

Sicherungsverwahrung

Die Sicherungsverwahrung als Freiheitsentzug von Menschen, die ihre Strafe bereits verbüßt haben, sehen wir allgemein kritisch. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die das "Abstandsgebot" zwischen Sicherungsverwahrung und Strafvollzug gestärkt und den Ländern einen klaren Regelungsauftrag dazu gegeben hat, begrüßen wir.

In Berlin ist die gesetzliche Grundlage dafür inzwischen geschaffen, auch wenn einige Regelungen noch zu sehr dem restriktiven Geist des Strafvollzugs verhaftet sind. Das neue Gesetz muss sich nun auch in der Umsetzung bewähren. Dabei können auch Impulse für Neuerungen im restlichen Justizvollzug gewonnen werden.

Fußfessel

Die elektronische Fußfessel zur Überwachung des Aufenthaltsorts unter entsprechenden Auflagen freigelassener Straftäter ist aus unserer Sicht von zweifelhaftem Sinn. Einem hohen technischen und somit finanziellen Aufwand steht dabei letztlich nur die Einführung eines zusätzlichen Sanktionsinstruments entgegen, das keinen Beitrag zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft leistet und dessen abschreckende Wirkung umstritten ist.

Die nunmehr begonnene Umsetzung der bundesrechtlichen Vorgaben in Berlin werden wir weiter kritisch begleiten. Eine Ausweitung der Anwendung von Fußfesseln über den derzeitigen engen Rahmen hinaus lehnen wir auch in Anbetracht der Erfahrungen aus anderen Staaten ab: Weder konnte bisher zweifelsfrei ein positiver Effekt dieser Anwendung festgestellt werden noch haben sich selbst bei massenhaften Einsatz Hoffnungen erfüllt, die elektronische Fußfessel könne den Justizvollzug entlasten.

Antragsbegründung

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Liquid Feedback

https://lqpp.de/be/initiative/show/2769.html

Ja: 61 (100%) · Enthaltung: 2 · Nein: 0 · Angenommen

Piratenpad

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Antragsfabrik

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Datum der letzten Änderung

23.02.2014

Status des Antrags

Pictogram voting keep-light-green.svg Geprüft