AG Drogenpolitik/Bundestagswahl 2013/gemeinsamer Antrag
Dieser Antragstext für Neumarkt wurde von vielen Pirateninnen und Piraten auf Basis der für Bochum eingereichten Antragstexte ausgearbeitet. Zusammengearbeitet haben die Gruppen
- AG Drogen- und Suchtpolitik
- IG_Sucht_und_Drogen - Bayern
- IG_Suchtpolitik - Berlin
- AK_Drogenpolitik - NRW
Die Liste der beteiligten Personen ist lang, so dass es dem Wikigärtner schwer fällt, niemanden zu vergessen #wegduck. Bitte tragt Euch ggf. selbst in der folgenden Liste nach (Sortierung nach Benutzernamen im Wiki...): Andi_nRw (NRW), Andrea (BY), Berliner (BE), Andreas (NRW), heide (BE), Axel (NRW), Sven (MV), Fard: florian d (BY), moonopool (BW), mwastel (NDS), NaturalBornChiller (NRW), Karin, Ralf (NRW), peterM, Stimmbürger (BW), Till (BW), TomKarla (RLP), UsualRedAnt (BE), Christine (HH), Du?
Details im Text und die Abschnittsüberschriften werden noch überarbeitet. Wir freuen uns auf Kritik, Anmerkungen und Vorschläge auf der Diskussionsseite.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Benennung im Wahlprogramm: Drogen- und Suchtpolitik
- 2 Neustart: Drogen- und Suchtpolitik
- 2.1 Mündigkeit braucht Bildung – Prävention ist die Grundlage
- 2.2 Nachhaltige Prävention fängt in der Schule an
- 2.3 Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
- 2.4 Keine Werbung für Drogen
- 2.5 Verbraucherschutz – auch für Drogenkonsumenten
- 2.6 Diamorphinprogramme ermöglichen – nicht verhindern
- 2.7 Zugang zu medizinischem Cannabis erleichtern
- 2.8 Entkriminalisierung der Konsumenten
- 2.9 Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes
- 2.10 Informationelle Selbstbestimmung stärken
- 2.11 Keine Willkür beim Führerscheinentzug
- 2.12 Keine Einschränkungen für e-Zigaretten
- 2.13 Umwandlung der Tabaksteuer
- 2.14 Alkoholwerbung unterbinden und Deklarationspflicht verbessern
- 2.15 Lizenzierte Fachabgabestellen – jetzt einführen
Benennung im Wahlprogramm: Drogen- und Suchtpolitik
Der Bundesparteitag möge beschließen, dass die Überschrift des Unterabschnittes "Drogen" im Wahlprogramm (gem. PA378 des BPT 2012.2) verändert wird zu "Drogen- und Suchtpolitik".
Begründung: Die gängige Begrifflichkeit für den Themenkomplex in der Politik und im Gesundheitswesen ist "Drogen- und Suchtpolitik". Der Begriff "Drogen" ist zu kurz gegriffen.
Neustart: Drogen- und Suchtpolitik
Die Piraten streben die Zusammenarbeit mit allen gesellschaftlichen Gruppen an, die sich vorurteilsfrei mit dem Konsum von psychotropen Substanzen und dessen Folgen auseinandersetzen.
Gemeinsam werden wir eine Politik betreiben, die riskantem Drogengebrauch durch Prävention entgegenwirkt, sowie Risiko-Konsumenten und Schwerstabhängigen durch Therapieangebote hilft.
Der Gesetzgeber darf nur dort eingreifen, wo die Schutzrechte anderer berührt sind. Er soll einen effizienten Jugend- und Verbraucherschutz sicherstellen und das organisierte Verbrechen eindämmen.
Mündigkeit braucht Bildung – Prävention ist die Grundlage
Das Ziel unserer Drogen- und Suchtpolitik ist eine selbstverantwortliche und sozialverträgliche Genusskultur. Wir wollen Menschen aller Altersgruppen zu einem achtsamen Umgang mit psychotropen Substanzen und einem selbstbestimmten Konsum befähigen.
Um Wirkungen und mögliche Gefahren besser einschätzen zu können, bedarf es einer kompetenten Aufklärung, die so früh wie möglich beginnen soll. Sie muss auch die Fähigkeit vermitteln, mit den unterschiedlichen, gebräuchlichen Drogen umzugehen. Wir glauben, dass die Stärkung von sozialer Kompetenz und Selbstbewusstsein eine wichtige Grundlage für wirksame Prävention ist.
Nachhaltige Prävention fängt in der Schule an
Die Maßnahmen zur Suchtprävention an Schulen und der Ausbildungsstand der Lehrkräfte sind unzureichend.
Pilotprojekte haben gezeigt, wie nachhaltig eine gute Prävention bereits ab dem Grundschulalter wirkt. Auf der Basis der dort gesammelten Erfahrungen ist ein bundesweites Aufklärungskonzept und sachgerechtes, undogmatisches Lehrmaterial für einen fundierten Unterricht zu entwickeln. Externe Fachreferenten sollen besonders in der Sekundarstufe das Wissen bei Lehrern und Schülern vertiefen.
Vorurteile werden so durch Wissen überwunden. Die gewonnenen Erkenntnisse tragen die Schüler wie selbstverständlich in ihr soziales Umfeld.
Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Die umfassende Aufklärung über Drogen, ihren Gebrauch und mögliche Folgen darf sich nicht auf die Schule beschränken, sondern muss sich an die ganze Gesellschaft richten. Ärzte, Krankenhäuser, Bürgerämter, Sozialdienststellen, Jugendzentren und ähnliche Einrichtungen sollen geeignete Informationsmaterialen bereithalten und Ansprechmöglichkeiten bieten.
Präventionsprogramme sind zielgruppengerecht zu gestalten. Der Einsatz von Streetworkern und Sozialarbeitern ist auszubauen, vor allem in bisher unterversorgten Kleinstädten und ländlichen Gebieten, unter besonderer Berücksichtigung des Suchtstoffes Alkohol.
Es ist dringend notwendig, die Mittel für niedrigschwellige Hilfsangebote in der Suchthilfe deutlich aufzustocken. Die präventive Arbeit wird dabei stoffliche und nicht stoffgebundene Süchte gleichberechtigt einschließen.
Keine Werbung für Drogen
Die einseitig positive Darstellung von suchterzeugenden Substanzen zu vermeiden, ist ein wesentlicher Aspekt von Prävention. Wir fordern daher ein ausnahmsloses Werbe- und Sponsoringverbot für Produkte, die psychotrope Substanzen in einer Konzentration enthalten, die geeignet ist, Abhängigkeiten zu erzeugen.
Verbraucherschutz – auch für Drogenkonsumenten
Das Wissen um Wirkstoff und Beimengungen ist Grundlage risikoarmen Drogengebrauchs.
Umfassende, bedarfsgerechte Möglichkeiten zum Drugchecking sollen vor Ort ermöglicht werden.
Die Piraten fordern die Einrichtung einer bundesweiten Online-Meldestelle für problematische Substanzen zur Risiko- und Schadensminimierung für Drogenkonsumenten. Diese Meldestelle erfasst schädliche Streckmittel, ungewöhnlich hohe Dosierungen oder Reinheitsgrade sowie den Verkauf von Substanzen unter falschem Namen. Als ersten Schritt werden wir die Resultate kriminaltechnischer Untersuchungen von beschlagnahmten Drogen für Jedermann verfügbar machen.
Konsumbegleitende Programme und Hilfsangebote bei problematischem Konsum müssen ausgeweitet werden. Therapiemöglichkeiten sind so früh wie möglich anzubieten, nicht erst bei bestehender Abhängigkeit oder bei bereits eingetretenen Folgeerkrankungen. Sie dürfen nicht ausschließlich auf Abstinenz ausgerichtet sein.
Wir fordern ein bundesweites Angebot von Drogenkonsumräumen als weiteres wichtiges Element der Schadensverhütung und -minderung.
Diamorphinprogramme ermöglichen – nicht verhindern
Für Diamorphinbehandlungen werden dringend mehr Vergabestellen benötigt. Die Umsetzung von Diamorphin-Programmen muss erleichtert werden, damit mehr Betroffene Zugang erhalten, auch solche mit weniger schädlichen Konsummustern.
Bei der Durchführung gilt es, neben Injektion auch Inhalation und orale Einnahme zuzulassen und eine intensive psychosoziale Betreuung für die Teilnehmer bereitzustellen. Gegebenfalls ist in weitergehende Therapieangebote überzuleiten. Neben den Ärzten sind auch medizinisches Personal, Therapeuten und Mitarbeiter der sozialen Dienste zur fachbezogenen Weiterbildung zu verpflichten.
Zugang zu medizinischem Cannabis erleichtern
Cannabinoidhaltige Medikamente sollen anderen verkehrsfähigen Medikamenten gleichgestellt werden. Die Kosten sind von den Krankenkassen zu tragen.
Entkriminalisierung der Konsumenten
Der private Umgang mit psychotropen Substanzen muss komplett entkriminalisiert werden. Anbau und Herstellung für den Eigenbedarf dürfen nicht bestraft werden.
Die Piraten fordern als Sofortmaßnahme einen bundeseinheitlich geregelten Richtwert von 30 Gramm für den duldbaren Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum für Volljährige, um zumindest die Kriminalisierung der Cannabis-Konsumenten zu beenden und die Behörden zu entlasten.
Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes
Wir fordern eine Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes, in der die erfassten, psychotropen Substanzen neu bewertet werden: Nur wenn eine Fremdgefährdung realistisch nicht ausgeschlossen werden kann, dürfen die Freiheitsrechte des Einzelnen eingeschränkt werden.
Informationelle Selbstbestimmung stärken
Die informationelle Selbstbestimmung ist auch im Bereich der Drogen- und Suchtpolitik zu gewährleisten:
Auf Drogenkonsum bezogene Daten aus ergebnislos gebliebenen polizeilichen Ermittlungen müssen umgehend wieder gelöscht werden. Register über Drogenkonsum dürfen nicht geführt werden.
Allgemeine und verdachtsunabhängige Drogentests am Arbeitsplatz lehnen die Piraten ab. Sie sind auf gefährliche Berufe und Tätigkeiten zu begrenzen.
Keine Willkür beim Führerscheinentzug
Die Gefährdung des Straßenverkehrs unter Einfluss von Rauschmitteln kann nicht geduldet werden.
Aber die automatische und pauschale Sanktionierung des Konsums von Drogen und Medikamenten durch die Führerscheinbehörde nehmen wir nicht hin:
Als Kriterium für den Entzug der Fahrerlaubnis müssen wissenschaftlich abgesicherte Grenzwerte für Wirkstoffkonzentrationen festgelegt werden, die eine akute Fahruntüchtigkeit nachvollziehbar definieren.
Es muss ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Konsum und dem Führen des Kraftfahrzeuges vorliegen.
Allein die Vermutung oder die Feststellung, dass eine Person Drogen oder Medikamente konsumiert oder konsumiert hat, lässt keine Rückschlüsse auf die aktuelle Fahrtüchtigkeit zu und rechtfertigt keinen vorbeugenden Entzug der Fahrerlaubnis.
Keine Einschränkungen für e-Zigaretten
Der derzeit freie Handel und Gebrauch liquidverdampfender E-Zigaretten soll nicht über den Jugendschutz hinaus eingeschränkt werden. Stattdessen fordern wir die Schaffung von Qualitätsstandards für Produktion und Handel von E-Zigaretten und Liquids.
E-Zigaretten ins Nichtraucherschutzgesetz aufzunehmen, oder eine Besteuerung nach dem Tabaksteuergesetz lehnen wir hingegen ab.
Umwandlung der Tabaksteuer
Tabak und Nikotin müssen in die allgemeine Drogenaufklärung und Suchtprävention integriert werden, um den Tabak aus der Wahrnehmung als "Alltagsdroge" herauszuführen und sein Gefahrenpotential deutlich zu machen. Damit wird die Grundlage für eine verantwortungsvolle Selbstbestimmung im Umgang mit Tabak gelegt.
Öffentliche Tabakwerbung ist unvereinbar mit diesen Zielen. Daher streben die Piraten ein allgemeines Werbeverbot für Tabak an.
Die Piraten fordern die Umwandlung der Tabaksteuer in eine zweckgebundene Abgabe. Diese ist für Aufklärung, Suchtprävention und suchtbezogene Forschung, Entzugs- und Entwöhnungsbehandlungen und als Beitrag zu den Folgekosten im Gesundheitsbereich zu verwenden.
Alkoholwerbung unterbinden und Deklarationspflicht verbessern
Das vom Alkohol ausgehende Suchtpotential wird im gesellschaftlichen Alltag nur unzureichend wahrgenommen. Dem sollte durch verstärkte Einbeziehung des Alkohols in die allgemeine Drogenaufklärung und Suchtprävention entgegengewirkt werden.
Die Piraten wenden sich gegen Werbung für alkoholische Getränke, alkoholhaltige Getränke und als frei verkäufliche Arzneimittel deklarierte, hochprozentige Alkoholika. Alle diese Produkte sind geeignet, Abhängigkeiten hervorzurufen.
Bei allen zum Verzehr geeigneten, alkoholhaltigen Produkten ist deutlich lesbar und gut sichtbar auf der Vorderseite der Verpackung anzugeben, wieviel Alkohol das Produkt enthält. Jeder enthaltene Alkohol muss angegeben werden. Vorhandene Lücken in der Deklarationspflicht sind zu schließen.
Bei alkoholischen und alkoholhaltigen Getränken muss deutlich sichtbar auf das Suchtpotential hingewiesen werden.
In der Gastronomie sollen mehrere alkoholfreie Getränke angeboten werden, die günstiger sind als das billigste alkoholische Getränk.
Lizenzierte Fachabgabestellen – jetzt einführen
Wir fordern Modellversuche für lizenzierte Fachabgabestellen. In diesen erfolgt der Verkauf von Tabak, Liquids für e-Zigaretten, Spirituosen und anderen psychotropen Substanzen. Jugendliche haben dort keinen Zutritt. Qualifiziertes Personal soll Beratung zu verantwortungsvollem Gebrauch und möglichen Gefährdungspotentialen anbieten. Wie alle Genussmittel, müssen die angebotenen Substanzen dem Verbraucherschutz unterliegen und einer regelmäßigen Qualitätskontrolle unterzogen werden.
Die Produkte dürfen nicht künstlich verteuert werden, damit ein Bezug über den Schwarzmarkt keine Alternative darstellt. Perspektivisch soll es möglich sein, derzeit illegale psychotrope Substanzen auch legal anzubauen oder herzustellen.
Begründung: Dieser Antragstext wurde von Piraten aus der AG Drogen- und Suchtpolitik, der IG Sucht und Drogen (Bayern), der IG Suchtpolitik (Berlin) und dem AK Drogenpolitik (NRW) ausgearbeitet. Basis waren alle zu diesem Themenbereich für den BPT 2012.2 in Bochum eingereichten Antragstexte.