FAQ zum Fissile Material (Cutoff) Treaty

Aus Piratenwiki
Wechseln zu: Navigation, Suche

Wo kann man viel zum FM(C)T nachlesen?

Hier: Annette Schaper: A Treaty on Fissile Material: Just Cutoff or More?, PRIF Reports, No. 109, 2011 http://hsfk.de/fileadmin/downloads/prif109_01.pdf, leider auf Englisch


Was ist der Fissile Material (Cutoff) Treaty?

Dieser Vertrag – seit vielen Jahren vorgeschlagen – soll die Produktion von Nuklearmaterial zur Verwendung in Kernwaffen verbieten. Nuklearmaterialien, die in Kernwaffen verwendet werden können, sind Plutonium, hochangereichertes Uran oder Uran-233. Die Produktion für die zivile Kernenergie bliebb davon unberührt. Der genaue Verbotstatbestand ist umstritten: Soll er nur die zukünftige Produktion verbieten („Cutoff“), oder soll er auch Regelungen für die riesigen Mengen des schon existierenden Materials enthalten, z.B. ihre Verringerung? Daher besteht sogar Uneinigkeit über den Namen des Vertrags. Wir setzen daher den Ausdruck „Cutoff“ in Klammern.

Der Vertrag ist in der Öffentlichkeit zu Unrecht völlig unbekannt. Während der Teststoppvertrag die qualitative Weiterentwicklung von Kernwaffen stoppen soll, soll der FM(C)T ihre quantitative Vermehrung beenden. Der Teststopp ist berühmt, weil Nukleartests spektakuläre und provozierende Ereignisse sind, die Produktion von Nuklearmaterial erfolgt dagegen im Stillen und ist unsichtbar, verursacht daher keine Schlagzeilen.

Warum ist der Vertrag wichtig?

  • Er führt ein Element der Irreversibilität in die Abrüstung ein, denn militärisches Nuklearmaterial kann dann nur noch reduziert werden.
  • Er baut Diskriminierung innerhalb des nuklearen Nichtverbreitungsregimes ab, denn er wird neue politische und technische Verpflichtungen für die Kernwaffenstaaten einführen. Für die Nichtkernwaffenstaaten sind die längst durch den Nichtverbreitungsvertrag („Atomwaffensperrvertrag“) abgedeckt.
  • Er führt das Konzept der “internationalen Verantwortung” ein: Bisher betrachteten die Kernwaffenstaaten ihre nukleare Produktion als rein nationale Angelegenheit – im Gegensatz zu den Nichtkernwaffenstaaten, die nach dem NVV der internationalen Gemeinschaft rechenschaftspflichtig sind. Ein FM(C)T würde hier eine neue Kultur einleiten.
  • Er triggert Disziplin in der nuklearen Materialbuchhaltung auch in den Kernwaffenstaaten, weil es dort dann auch internationale Verifikation geben würde. Das würde bessere Standards zur Folge haben und die Abzweigungsrisiken vermindern.
  • Er könnte die Staaten außerhalb des NVV in das Nichtverbreitungsregime miteinbeziehen.
  • Er bereitet die kernwaffenfreie Welt vor, denn in einer solchen wird in allen Staaten verifiziert, daß sich niemand heimlich Kernwaffen verschafft.

Was sind die wichtigsten Ereignisse in der Geschichte des FM(C)T

1946: Als Teil des „Baruch Plans“ schlagen die USA einen Produktionsstopp und die strenge Kontrolle dieser Materialien in der zivilen Kernenergie vor.

1954: Indien schlägt die weltweite nukleare Abrüstung und die Beendigung sowohl aller Nukleartests (Teststoppvertrag) als auch der Produktion von Nuklearmaterial für Kernwaffen (FM(C)T) vor. Seitdem viele Forderungen und U.N.-Resolutionen, ohne Erfolg.

1993 Wende: Die USA ändern ihre bis dahin ablehnende Haltung, und U.S. Präsident Clinton fordert vor der UN Generalversammlung einen FM(C)T, daraufhin eine UN-Resolution mit der Forderung nach Verhandlungen. Die Genfer Abrüstungskonferenz wird mit den Verhandlungen beauftragt.

Frühe 90er Moratorien: Die USA, Rußland, Frankreich und Großbritannien kündigen ein Moratorium ihrer Produktion an, das sie bis heute einhalten. China hat seine Produktion ebenfalls beendet, hat dies aber nie hochrangig verkündet. Man vermutet, daß Israel seine Produktion ebenfalls beendet hat. Indien und Pakistan produzieren fleißig und bauen ihre Kernwaffenarsenale aus.

1994: Die Genfer Abrüstungskonferenz einigt sich auf eine Verhandlungsmandat, (genannt „Shannon-Mandate“), in dem der Streit über den Verbotstatbestand (nur „Cutoff“ oder noch mehr Abrüstung) bereits reflektiert wird.

1996: Die Genfer Abrüstungskonferenz beendet die Verhandlungen zum Teststoppvertrag (1994-1996) mit einem Vertragstext, und soll nun mit den Verhandlungen zum FM(C)T beginnen. Es kommt stattdessen zu Blockaden, die bis heute andauern. Die Gründe sind vielfältig, aber eine wichtige Rolle spielt die Uneinigkeit über den Verbotstatbestand.

1995: Die Überprüfungs- und Verlängerungskonferenz zum NVV erklärt in den „Prinzipien und Zielen künftiger NVV-Überprüfungen“ einen Teststopp und einen FM(C)T für wichtige Maßnahmen zur Implementierung des Artikel VI (vollständige nukleare Abrüstung).

Welche Kategorien von Nuklearmaterial gibt es?

Es macht Sinn, alle Nuklearmaterialien entsprechend ihrer Tauglichkeit für Kernwaffen zu kategorisieren. Dies macht auch die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO), die verschiedene juristische Kategorien anhand dieses Kriteriums definiert, z.B. die Kategorie des „unmittelbar verwendbaren Materials“.

Unmittelbar verwendbar sind Plutonium und hochangereichertes Uran (HEU, highly enriched uranium). Schwach angereichertes Uran, das im üblichen Brennstoff für Leichtwasserreaktoren enthalten ist, muß erst noch weiter angereichert werden, bevor es in Kernwaffen verwendet werden kann. Mischoxidbrennstoff (MOX), der auch in vielen Kernkraftwerken verwendet wird, gilt auch als direkt verwendbar, da der technische Aufwand, das Plutonium aus diesem herauszulösen, vergleichsweise gering ist.

Für einen FM(C)T und den weiteren nuklearen Abrüstungsprozeß macht es darüberhinaus Sinn, die Nuklearmaterialien anhand ihrer Verwendung und politischen Bedeutung zu kategorisieren. Eine sinnvolle Einteilung ist:

  • Waffentaugliche Materialien in Waffen, für militärische Zwecke oder als Überschuss
  • Waffentaugliche Materialien, die offiziell als Überschuss deklariert sind
  • Waffentaugliche Materialien, die IAEA-Sicherungsmaßnahmen („Safeguards“) unterliegen
  • Waffentaugliche Materialien, die schon entsorgt sind
  • Waffentaugliche Materialien, die zivil verwendet werden

Ziel der nuklearen Abrüstung sollte es sein, die erste Kategorie auf Null herunterzufahren. Ein FM(C)T wird dies vermutlich noch nicht leisten, aber er könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein.

Wieviel direkt waffentaugliches Nuklearmaterial gibt es?

Die Mengen sind riesig, ausreichend für mehrere zehntausend Kernsprengköpfe. Das wenigste wird von der IAEO kontrolliert. Eine Übersicht ist hier:

Waffentaugliche Materialien weltweit


Welche Varianten des Verbotstatbestandes sind denkbar?

1. Keinerlei Regelungen zu schon existierendem Material: Also nur ein Verbot zukünftiger Produktion („Cutoff“). Damit könnten die Kernwaffenstaaten theoretisch wieder auf die Höchstzahlen während des Kalten Krieges aufrüsten, auch ohne weitere Produktion. Mehrere andere Vorteile des Vertrages hätte man aber trotzdem. (siehe Warum ist der Vertrag wichtig?)

2. Vollständige Abrüstung: Das andere Extrem: Der Vertrag müßte einen Zeitplan festlegen. Damit wäre er aber gleich eine Kernwaffenkonvention, die zwar wünschenswert ist, aber leider noch utopisch. Viele Delegationen würden sich nicht darauf einlassen.

3. Irreversibilität durch Verbot der Umwidmung – einmal zivil ist immer zivil: Damit wäre die Abrüstung eine Einbahnstraße. Dieser Verbotstatbestand dürfte akzeptabel und diplomatisch durchsetzbar sein.

4. Deklarationen von „überschüssigem Nuklearmaterial“ Die USA, Rußland und Großbritannien haben dies teilweise schon getan. Der Vertrag könnte hierzu eine Verpflichtung einbauen und mehr Transparenz schaffen.

5. Safeguards auf alles deklarierte, überschüssige Material: Und dies natürlich irreversibel. Auch diese wäre eine realistische Verhandlungsposition.

6. Verbot, HEU als Brennstoff für nuklear getriebene U-Boote zu produzieren: Diese Möglichkeit wollen sich die USA und Großbritannien offenhalten, aber auch andere Kernwaffenstaaten sympathisieren damit. Sie würde eine Lücke im Vertrag lassen, die ihn stark entwerten würde. Ein Verbot der Produktion von HEU für U-Boot-Brennstoff sollte ungedingt durchgesetzt werden.

Wie soll ein FM(C)T verifiziert werden?

Theoretisch müßte er genauso verifiziert werden wie der Nichtverbreitungsvertrag in den Nichtkernwaffenstaaten, nämlich durch gründliche Safeguards seitens der IAEO auf den gesamten zivilen Kernenergiebrennstoffkreislauf. Der Unterschied zwischen den Kernwaffen- und Nichtkernwaffenstaaten bestünde dann nur noch darin, dass erstere noch Restbestände von Nukelarmaterialien für ihre noch existierenden Kernwaffen besitzen dürfen, die den Kontrollen entzogen sind.

Über die Gründlichkeit der Verifikation gehen die Meinungen auseinander. Gegen die gründliche Verifikation werden zu hohe Kosten angeführt, aber auch einfach der Unwillen der Kernwaffenstaaten.

Es gibt eine Reihe von speziellen Schwierigkeiten, die durch die bisherige Verquickung des zivilen und militärischen Brennstoffkreislaufs in Kernwaffenstaaten, durch die dortige andere Kultur, und die fehlende Erfahrung mit internationalen Kontrollen entstehen. Diese muß man ernst nehmen, aber man sollte daran arbeiten, sie zu lösen. Geeignet hierfür wäre eine regelmäßig tagende Expertengruppe. Eine solche hatte es auch jahrzehntelang für den Teststoppvertrag gegeben. Die Verhandlungen wäre ohne die Ergebnisse dieser Gruppe ("Group of Scientific Experts" = GSE) nie so schnell, nämlich innerhalb von zwei Jahren, zu einem Abschluss gekommen.

Warum gibt es immer noch keine Verhandlungen?

Die Geschichte des verschiedenen Blockaden in der Genfer Abrüstungskonferenz ist lang und komplex. Ein Grundproblem besteht darin, daß die Konferenz nicht nur alle Entscheidungen über ihre Inhalte im Konsens trifft, sondern auch alle Entscheidungen über ihr Arbeitsprogramm. So kann eine einzige Delegation verhindern, daß die Konferenz überhaupt arbeitet.

Mindestens eine Delegation ist immer sichtbar als Verursacher der Blockade, aber des öfteren verstecken sich hinter dieser weitere Delegationen. Zur Zeit, wie auch schon oft früher, ist es Pakistan, das jeden Forschritt blockiert. Es fordert die Einbeziehung auch des frühere produzierten Materials. Gleichzeitig halten die Pakistaner aber die Angaben über ihre eigenen Bestände und Produktion geheim, was ein Widerspruch ist. Beobachter vermuten, daß die Pakistaner noch mehr Nuklearmaterial produzieren wollen, und dass sie den Indern ihren Nukleardeal mit den USA und anderen westlichen Staaten neiden (anderes Thema, siehe Harald Müller/Carsten Rauch, Der Atomdeal. Die indisch-amerikanische Nuklearkooperation und ihre Auswirkung auf das globale Nichtverbreitungsregime, HSFK-Report Nr. 6/2007, Frankfurt/M., http://hsfk.de/fileadmin/downloads/report0607.pdf ) und von der internationalen Gemeinschaft einen ähnlichen Deal erpressen wollen.

Man muß sich fragen, ob die Verhandlungen nicht einfach außerhalb der Genfer Abrüstungskonferenz, erst mal mit den Gutwilligen, begonnen werden sollen.


Transparentia

Kategorie:AG_Außen-und_Sicherheitspolitik