Bundesparteitag 2011.2/Antragsportal/PA065

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Tango-preferences-system.svg Dies ist ein Antrag für den Bundesparteitag 2011.2. Das Sammeln und Diskutieren von Argumenten für und gegen den Antrag ist auf der Diskussionsseite möglich

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Tango-dialog-warning.svg Dieser Text ist (noch) keine offizielle Aussage der Piratenpartei Deutschland, sondern ein an den Bundesparteitag eingereichter Antrag.

Antragsübersicht

Antragsnummer PA065
Einreichungsdatum
Antragsteller

LunaLoof

Mitantragsteller
Antragstyp Wahlprogramm
Antragsgruppe Urheberrecht und Patentwesen„Urheberrecht und Patentwesen“ befindet sich nicht in der Liste (Arbeit und Soziales, Außenpolitik, Bildung und Forschung, Demokratie, Europa, Familie und Gesellschaft, Freiheit und Grundrechte, Internet und Netzpolitik, Gesundheit, Innen- und Rechtspolitik, ...) zulässiger Werte für das Attribut „AntragsgruppePÄA“.
Zusammenfassung des Antrags
Schlagworte
Datum der letzten Änderung 05.11.2011
Status des Antrags

Pictogram voting question.svg Ungeprüft

Abstimmungsergebnis

-

Antragstitel

Beauftragter für Gemeinfreiheit

Antragstext

Es wird beantragt im Wahlprogramm zur nächsten Bundestagswahl und Europawahl an geeigneter Stelle einzufügen:

Es sollen ein Europäischer Beauftragter für die Gemeinfreiheit als unabhängige Behörde innerhalb der EU-Institutionen sowie parallele Behörden auf nationaler Ebene eingerichtet werden. Durch die Übertragung des Konzepts des Datenschutzbeauftragten auf den Bereich der Gemeinfreiheit soll die auch institutionell einseitige Immaterialgüterrechtspolitik ausgeglichen werden. Zu diesem Zweck würden sie alle für die Gemeinfreiheit relevanten rechtlichen Entwicklungen überwachen, indem er u. a. an allen Gesetzesverfahren hierzu zu beteiligen ist und Beschwerden von Einzelpersonen prüft.

Antragsbegründung

Die Begründung wurde komplett übernommen aus einem Artikel von Univ.-Prof. Dr. iur. Alexander Peukert, der Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt im internationalen Immaterialgüterrecht, Goethe-Universität Frankfurt/M. ist, übernommen. Der Artikel wurde in der Zeitschrift Multimedia und Recht 2011, S. 73 ff. veröffentlicht. Mich hat diese Begründung überzeugt, daher gebe ich sie hier verbatim wieder:


Die Geschichte des Immaterialgüterrechts ist die Geschichte seiner Expansion. Die Gesetzgebung der EU erstrebt für die Rechte des geistigen Eigentums seit vielen Jahren ein „hohes Schutzniveau” (z.B. ErwGrd. 9 der Urheberrechts-RL 2001/29).

Die hierin zum Ausdruck kommende Eigentumslogik (T. Dreier) droht jedoch zuwiderlaufende Interessen und Grundrechte wie die Meinungs-, Kunst- und nicht zuletzt die wirtschaftliche Handlungsfreiheit über Gebühr einzuschränken.

Eine Ursache für diese expansive Tendenz ist eine asymmetrische Verteilung von Interessen, Machteinflüssen und Institutionen. Gegenwärtige und künftige Inhaber von Immaterialgüterrechten – man denke an Filmproduzenten, die pharmazeutische Industrie oder Hersteller von Luxus-Markenprodukten – bilden einen relativ kleinen „interessierten Kreis” mit einem starken Anreiz, den Immaterialgüterrechtsschutz möglichst zu stärken.

Die Kosten einer solchen Politik in Gestalt von Zugangshindernissen zu vorhandenem Wissen treffen hingegen jedermann; sie sind also weit gestreut und deshalb für den Einzelnen wenig spürbar. Nach den Erkenntnissen der Public-Choice-Theorie können die starken lobbyistischen Einflüsse der „interessierten Kreise” in einer solchen Situation auch zu ineffizienten Politikzielen und Regelungen führen.

Es verwundert daher nicht, dass trotz der hieran seit einigen Jahren formulierten Kritik weiterhin daran gearbeitet wird, den Schutz und die Durchsetzung der Immaterialgüterrechte zu stärken. Hinzuweisen ist insoweit auf das jüngst ausgehandelte „Anti-Counterfeiting Trade Agreement” (ACTA), dessen Regelungsziele erst auf erheblichen öffentlichen Druck transparent gemacht worden waren. Abgeschottet von externer Expertise unterbreitete die EU-Kommission ferner einen Vorschlag, die Dauer der Leistungsschutzrechte ausübender Künstler und Tonträgerhersteller um 45 Jahre zu verlängern.

Besonders bemerkenswert ist schließlich, dass die Politik der IP-Expansion i.R.d. eigentlich neutralen EU-Kommission bereits institutionell verankert ist. Seit April 2009 existiert die „Europäische Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie”, deren Ziel es unter Beteiligung privater Akteure ist, „unser Wissen über das gefährliche Phänomen der Marken- und Produktpiraterie [zu] vertiefen” und „einen Beitrag zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit zu leisten”. Art. 28 Abs. 4 ACTA wird eine solch informelle Kooperation zwischen Hoheitsträgern und privaten „Stakeholdern” zur völkerrechtlichen Pflicht machen.

Um diese auch institutionell einseitige Immaterialgüterrechtspolitik auszugleichen, wird hiermit vorgeschlagen, einen europäischen Beauftragten für die Gemeinfreiheit als unabhängige Behörde innerhalb der EU-Institutionen sowie parallele Behörden auf nationaler Ebene einzurichten.

Dieser Vorschlag überträgt das Konzept des Datenschutzbeauftragten auf den Bereich der Gemeinfreiheit. Mit Gemeinfreiheit ist die jedermann zukommende, gleiche Freiheit zur ungehinderten Nutzung von Werken, Erfindungen und anderen immateriellen Gütern gemeint, die nicht – sei es überhaupt nicht (z.B. mathematische Formeln), nicht mehr (nach Ablauf der Schutzdauer) oder jedenfalls nicht im Hinblick auf bestimmte Nutzungen (z.B. Zitatrecht) – Gegenstand des Immaterialgüterrechtsschutzes sind.

Hinter dieser institutionellen Anleihe beim Datenschutzrecht steht die Erkenntnis, dass sowohl das Interesse am ungehinderten Zugang zu öffentlichem Wissen (Gemeinfreiheit) als auch das Interesse, über die eigenen Daten bestimmen zu können, wichtige Grundrechte betreffen, die allerdings leicht beeinträchtigt werden können.

So wie persönliche Daten von staatlichen Instanzen und privaten Unternehmen verwendet werden, ohne dass es hiergegen effektiven individuellen Rechtsschutz gibt, okkupieren Hoheitsträger und Private ohne rechtliche Konsequenzen die Gemeinfreiheit, ganz als ob sie ihnen gehört. Z.B. macht die EU an allen Texten, die über die EUR-Lex-Datenbank abrufbar sind, Urheberrechtsschutz geltend, obwohl etwa das deutsche Urheberrecht amtliche Werke, also insbesondere Gesetze und andere amtliche Erlasse, von vornherein gar nicht urheberrechtlich schützt.

Trotz der in § 5 Absatz 1 UrhG ausdrücklich angeordneten Gemeinfreiheit gerichtlicher Entscheidungen behauptet das BVerfG ebenfalls ein pauschales „Copyright” an seinen Urteilen, die nur für den nicht gewerblichen Gebrauch „frei” seien, während die „kommerzielle Nutzung nur mit Zustimmung des Gerichts” erfolgen dürfe. Wenn nicht einmal das BVerfG die objektiven Grenzen des Urheberrechts achtet, verwundert es nicht, dass sich vergleichbare Behauptungen angeblich bestehenden Rechtsschutzes auch in vielen Verlagspublikationen gemeinfreier Werke finden.

Im digitalen Zeitalter werden gemeinfreie Nutzungen zudem einzelvertraglich verboten und durch den Einsatz technischer Schutzmaßnahmen faktisch unmöglich gemacht. Individuelle Beschwerden oder gar Zivilprozesse wegen solcher Praktiken gibt es kaum, weil die einzelne Beeinträchtigung ebenso wie die zu erwartende Sanktion (insbesondere Schadensersatz) gering erscheint. In der Gesamtschau wird das Allgemeininteresse am ungehinderten Zugang zu gemeinfreiem Wissen jedoch erheblich beeinträchtigt.

Für Deutschland ist die Idee eines unabhängigen Beauftragten für die Gemeinfreiheit besonders naheliegend, weil es bereits einen Bundesbeauftragten für die Informationsfreiheit gibt, der den Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz realisieren helfen soll; dabei wird institutionell sowie im Hinblick auf die Aufgaben und Befugnisse an den Bundesdatenschutzbeauftragten angeknüpft (§ 12 IFG). Von der Wahrung des freien Zugangs zu amtlichen Informationen ist es aber nur ein kleiner Schritt zur Wahrung des freien Zugangs zu sämtlichen gemeinfreien Informationen.

Europäische und nationale Beauftragte für die Gemeinfreiheit würden vor diesem Hintergrund als „Wächter” der Gemeinfreiheit agieren (entsprechend zu Datenschutzbeauftragten: EuGH, MMR Jahr 2010 Seite 352 m. Anm. Petri/Tinnefeld, Rdnr. 23). Sie wären dafür verantwortlich, sicherzustellen, dass die zu Grunde liegenden Grundrechte und Interessen von Organen und Einrichtungen der EU sowie von Mitgliedstaaten und nicht zuletzt privaten Akteuren geachtet werden.

Zu diesem Zweck würden sie alle für die Gemeinfreiheit relevanten rechtlichen Entwicklungen überwachen;

  • diese müssten ihnen von den Organen der EU bzw. der Mitgliedstaaten zur Kenntnis gebracht werden (vgl. Artikel 28 Absatz 1 und 2 EU Datenschutz-RL 46/95);
  • alle Organe und Einrichtungen der EU (einschließlich der Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie) sowie der Mitgliedstaaten von sich aus oder im Rahmen einer Konsultation in allen Fragen beraten, die die Gemeinfreiheit betreffen (vgl. Artikel 41 Absatz 2, Artikel 46 lit. d VO 45/2001);
  • Beschwerden einzelner Personen auf Grund einer Beeinträchtigung der Gemeinfreiheit hören und prüfen (vgl. Artikel 28 Absatz 4 RL 46/95);
  • Verfahren, die beim EuGH oder anderen Gerichten anhängig sind, nach Maßgabe des anwendbaren Verfahrensrechts beitreten (vgl. Artikel 47 Absatz 1 (i) VO 45/2001);
  • Einschränkungen der Gemeinfreiheit zur Kenntnis der Öffentlichkeit, der Parlamente oder anderer politischer Institutionen bringen (vgl. Artikel 28 Absatz 3 RL 95/46);
  • regelmäßig Berichte über ihre eigene Tätigkeit sowie über besondere Themen veröffentlichen (vgl. Artikel 28 Absatz 5 RL 46/95);
  • mit anderen Beauftragten für die Gemeinfreiheit zusammenarbeiten, soweit dies zur Erfüllung der jeweiligen Pflichten erforderlich ist, insbesondere durch den Austausch aller sachdienlichen Informationen, um sicherzustellen, dass der Schutz der Gemeinfreiheit in der ganzen EU beachtet wird (vgl. Artikel 28 Absatz 6 RL 46/95).

Um die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit dieser Aktivitäten zu gewährleisten, müssten Beauftragte für die Gemeinfreiheit ihre Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahrnehmen. In der Ausübung ihres Amtes dürften sie niemanden um Weisung ersuchen und keine Weisungen entgegennehmen (vgl. Artikel 28 Abs. 1 RL 46/95; Artikel 44 VO 25/2001).

Nicht zuletzt müssten die Beauftragten mit dem für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Personal und den erforderlichen finanziellen Mitteln ausgestattet werden. Der Europäische Beauftragte für den Datenschutz beschäftigt derzeit ca. 35 Mitarbeiter, der BfDI ca. 70. Ein kleiner Bruchteil des hierfür verwendeten Budgets würde genügen, um den freien Verkehr von Wissen und Innovationen im Binnenmarkt, den die EU-Kommission im Grünbuch „Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft” immerhin als „fünfte Grundfreiheit” bezeichnet, maßgeblich zu fördern.

Zu betonen ist, dass dieser Vorschlag ebensowenig wie die Einrichtung von Datenschutzbeauftragten darauf abzielt, eine einseitige Sichtweise durch eine andere einseitige Sichtweise zu ersetzen. Vielmehr geht es um die Etablierung einer unabhängigen Institution, die individuelle und allgemeine Interessen an einer lebendigen Gemeinfreiheit repräsentiert und damit die dargestellten strukturellen und institutionellen Ungleichgewichte im gegenwärtigen Immaterialgüterrechtssystem ausgleicht. Beauftragte für die Gemeinfreiheit würden zu einem ausgewogenen Immaterialgüterrecht beitragen, das seine Ziele erreicht: Kreativität und Innovation fördern – und nicht behindern.

Diskussion

  • Vorangegangene Diskussion zur Antragsentwicklung: {{{diskussionVorher}}}
  • [{{{antragsdiskussion}}} Pro-/Contra-Diskussion zum eingereichten Antrag]


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