Benutzer:TurBor/Interviews/Hofmann

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Das Interview wurde privat am 03.11.09 in Würzburg aufgenommen.

Welche Schwächen sehen Sie im Urheberrecht und wie planen Sie grob, diese zu beheben?

Die Schwächen sowohl im deutschen Urheberrecht als auch in den international geforderten und beschlossenen Abkommen zum Schutz des sogenannten geistigen Eigentums bestehen in erster Linie darin, dass so wie es heute ausgelegt wird, die Rechte sich immer weiter von den eigentlichen Produzenten entfernen und immer mehr von den größeren Vertriebsgesellschaften und Mittelsmännern, wie jetzt in der Musik zum Beispiel die Labels oder in der Literatur die Verlage... dass die Bestimmungen des Urheberrechts in erster Linie für diese Parteien von Vorteil sind. Dadurch werden den Künstlern, also den Kulturschaffenden, von diesen Mittelsmännern sehr schwere Bedingungen aufgesetzt, weil sie sich dagegen auch nicht wehren können, weil eben durch diese Urheberrechtsbestimmungen die Labels oder die Verlage sehr große wirtschaftliche Macht erhalten. Was wir daran ändern wollen ist, dass wir das Urheberrecht wieder direkter zum Produzenten bringen und auch direkter zum Konsumenten, weil durch die Möglichkeiten, die die Digitalisierung und besonders das Internet bringt, ist es eben möglich, einen viel direkteren Weg zwischen Kulturschaffenden und Konsumenten zu errichten. Die Funktion dieser Mittelsmänner, dieser Vertriebsunternehmen, die bestand ja eben darin, einen Weg zwischen Kulturschaffenden und Publikum zu erleichtern und zu erschaffen und diese Funktion ist nicht mehr notwendig. Deshalb muss man auch die Rechtsgrundlage dafür reformieren, damit eben eine direktere Kommunikation zwischen Künstler und Publikum erleichtert und auch gefördert wird.

Sie haben schon über das geistige Eigentum gesagt, dass Sie nicht wirklich überzeugt davon sind. Das bringt mich zum ersten Thema, der Vererbbarkeit der urheberrechtlichen Rechtsansprüche, ob man es - wie es die Piratenpartei fordert - auf Lebenszeit begrenzt oder - wie es momentan geregelt ist - auf siebzig Jahre nach dem Tod. Nehmen wir an, ich habe ein Auto oder eine Immobilie, vererbe ich es ja auch. Warum sind Sie also der Überzeugung, dass man es nicht oder nicht mal beschränkt vererben sollte?

Also erstens ist das Urheberrecht an sich in Deutschland nicht übertragbar und auch nicht vererbbar, die Verwertungsrechte sind übertragbar und vererbbar. Wobei das Problem ist - Sie haben es auch angesprochen - das Gesamtkonzept vom geistigen Eigentum, das die Idee vermittelt, es handele sich einfach nur um eine andere Art von Eigentum. Genauso wie ich jetzt ein Auto in meinem Eigentum haben kann oder einen PC kann ich eine Idee oder irgendein Werk in meinem geistigen Eigentum haben. Und diese Idee an sich empfinden wir als absolut falsch, weil das ist im Endeffekt eine Analogie, weil ein Werk oder eine Idee besitzt nicht die Eigenschaften, die ein materielles Gut besitzt. Deshalb kann man auch nicht sagen, dass wir die selben Regeln fürs Eigentum, wie sie für materielle Dinge gelten, auch auf immaterielle Güter ausweiten. Außerdem, sogar wenn wir diese Analogie angenommen hätten, folgt daraus auch nicht das, was im heutigen Urheberrecht steht. Wenn ich zum Beispiel ein Auto kaufe, wird es mein Eigentum. Dann kann mir der Verkäufer nicht sagen, was ich damit machen kann, dass ich zum Beispiel damit nur von zu Hause zur Arbeit fahren darf und nicht einen Ausflug. Aber das passiert praktisch, wenn ich ein Buch kaufe. Dann sind da gesetzliche Regelungen vorgesehen, die besagen, dass ich mit diesem Buch bestimmte Sachen machen darf - ich darf es zum Beispiel lesen - und bestimmte Sachen nicht machen darf. Ich darf es zum Beispiel eigentlich nicht kopieren. Die Privatkopie ist zwar im deutschen Urheberrecht vorgesehen, aber ich darf es auch nicht weitergeben beziehungsweise auch nur begrenzt weitergeben. Deshalb wollen wir zuerst mal ganz grundsätzlich eben eine Bearbeitung des Begriffs des geistigen Eigentums. Um auf die direkte Frage zurückzukehren, zu den Schutzfristen, empfinden wir die bestehenden Regelungen zu lang als auch die Tendenz absolut falsch, weil die Tendenz geht dahin, dass Schutzfristen immer weiter ausgeweitet werden. Die liegen dann bei 70 Jahren nach dem Tod, 95 Jahren nach dem Tod des Urhebers. Das heißt dann im Endeffekt, dass ein Werk komplett geschützt bleibt bis zu mehr als 100 Jahren nach der Schaffung von diesem Werk, dass die Allgemeinheit keinen Zugriff auf dieses Werk hat. Die Idee vom Urheberrecht und vom Leistungsschutz an sich ist es ja, es für einen Künstler lohnenswert zu machen, neue Werke zu erschaffen. Diese greift offensichtlich nicht, wenn der Urheber schon 100 Jahre tot ist. Und es sind auch Studien durchgeführt worden. Darunter war auch eine Anfrage an den Supreme Court der USA gezeichnet von 10-15 Wirtschaftswissenschaftlern, darunter auch einige Nobelpreisträger, die eben sehr stark bezweifelt haben, dass - rein vom wirtschaftlichen Standpunkt her - eine solche Ausdehnung der Schutzfristen irgendwelchen Nutzen bringt und dass dieser Nutzen die Kosten, die für die Allgemeinheit die durch diese Ausdehnung entstehen ausgleicht. Und wir stehen auch auf diesem Standpunkt, dass die Schutzrechte eine Zeit lang gelten müssen in begrenztem Umfang, aber es darf nicht ins Unendliche ausarten.

Bei diesem Punkt stimme ich eigentlich ziemlich genau mit Ihren Forderungen überein. In meiner Arbeit stelle ich die Rechtsnormen, Ihre Forderungen und die Auswirkungen dar und versuche am Schluss noch einen Kompromiss zu finden. Der Kompromiss, den ich für sinnvoll halte wäre der, dass man die Schutzrechte 2-3 Jahre über den Tod hinaus gelten lässt. Ein aktuelles Beispiel ist Michael Jackson. Auf seine Alben gab es unmittelbar nach seinem Tod einen unglaublichen „Run“. Wäre das für Sie ein Kompromiss, mit dem Sie sich abfinden könnten, dass man die Schutzrechte auf 2-3 Jahre nach dem Tod begrenzt und es so den Angehörigen ermöglicht, den - durch das Versterben bedingte - Nachfrageschub abzuschöpfen?

Es werden eigentlich mehrere Möglichkeiten zu Kompromissen in Betracht gezogen. Die eine Möglichkeit wäre, dass nicht ab dem Tod des Urhebers abgerechnet wird, sondern ab der Schaffung des Werkes und dass ab dem Zeitpunkt dann ein fixer Zeitraum - in Gesprächen werden etwa 15-20 Jahre genannt - geschützt werden soll.

Das wäre dann ja noch bedeutend kürzer als die Forderung, die Schutzrechte auf Lebzeiten zu begrenzen.

Das ist eventuell kürzer als Lebzeiten, wobei andererseits - wie Sie schon sagten - ein Künstler, vor allem bei Rockstars passiert das ziemlich oft, stirbt ziemlich früh...

Naja, aber da müssen wir ja nicht anfangen, über das zu erwartende Alter zu spekulieren. Als Extrembeispiel könnte ich jetzt auch Tokio Hotel anführen, die mit ca. 15 Jahren ihre ersten Werke veröffentlicht haben. Diese wären dann schon weit vor ihrem Tod nicht mehr geschützt. Die Frage war ja, ob Sie konkret einem Kompromiss zustimmen würden, der vorsieht, die Schutzrechte 2-3 Jahre über den Tod auszuweiten.

Wir wollen - das scheint eine Mehrheitsmeinung zu sein - auch eine kurze Zeit nach dem Tod den Schutz erhalten, um eben diesen Nachfrageschub - besonders bei bekannten Künstlern - nutzbar zu machen. Andererseits, wo wir dann etwas weiter gehen, ist eben indem wir sagen, dass auf Lebzeiten, wenn das dann auch auf 50-60 Jahre hinausläuft, dass das dann auch zu lange ist. Wir arbeiten da noch an konkreten Forderungen.

Dann zum Thema der Privatkopie; da habe ich ein Zitat aus dem Wahlprogramm. Da musste ich mir ehrlich gesagt beim ersten Durchlesen das Lachen etwas verkneifen:

„Anstatt den alten Geschäftsmodellen nachzutrauern und sie mit unzumutbaren Eingriffen in die Privatsphäre der Bürger künstlich am Leben erhalten zu wollen, fordern die PIRATEN dazu auf, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Diese Geschäftsmodelle sollen es den Urhebern der digitalen Kulturgesellschaft ermöglichen, auf marktwirtschaftliche Art und Weise Erlöse aus der Verwertung ihrer Werke oder deren Umfeld zu erzielen, wenn sie dies anstreben.“

Ich habe mal die grammatikalischen Fehler ausgebessert. Das Ganze steht unter der Überschrift „Neue Geschäftsmodelle fördern“. Wenn man das überträgt auf die Wirklichkeit und ich habe eine Bratwurstbude, dann kommt die Piratenpartei her, zerschlägt meine Bratwurstbude und schreibt dann drüber „Neue Geschäftsmodelle fördern“ klingt das für mich leicht ironisch oder zynisch.

Also wenn wir schon bei Analogien sind: Es hab mal eine Zeit, da wurde Eiscreme per Hand hergestellt. Das war ein sehr aufwendiger Prozess. Da musste man ziemlich viel investieren und es hat dementsprechend viel gekostet. Dann ging die technische Entwicklung voran und irgendwann konnte jeder sein Eis ziemlich billig und ohne großen Aufwand herstellen. Jetzt nehmen wir an, dass jemand eine Eisbude hatte und in dieser Eisbude produzierte er eben dieses handgemachte Eis. Dann stellt sich jemand neben dran und produziert das Eis mit der neuen Technik und verkauft es dann natürlich um ein Vielfaches günstiger. Was jetzt praktisch gefordert ist und was unter diesem Absatz zu verstehen ist, ist, dass es nicht sein kann, dass der alte Besitzer sagt „der macht mit der neuen Technik mein ganzes Geschäft kaputt, deshalb verbietet diese Technik!“. Das ist auch das selbe - wurde von uns wahrscheinlich auch zu oft erwähnt - als die Eisenbahn erfunden wurde. Da gab es ein ziemlich großes Segment von Leuten, die dadurch ihre Arbeit verloren. Denn es gab die Postkutschenhersteller, es hab die Pferdezüchter, die die Pferde für die Postkutschen und den Transport züchteten, es hab die Hufschmiede und und und. Das war wirklich ein Wirtschaftszweig, der durch die Erfindung der Eisenbahn innerhalb weniger Jahre eigentlich aufhörte, zu existieren. Aber wir können wiederum nicht im Ernst unterstützen wollen, dass jemand kommt und sagt „ok, das ist eine Technik, die den Hufschmieden und den Postkutschenfahrern und den Pferdezüchtern das Geschäftsmodell kaputt macht. Und deshalb müssen wir die Benutzung von Eisenbahnen einschränken, weil wir die Hufschmiede vor dem Einstürzen ihres Geschäftsmodells schützen wollen.“ Das Geschäftsmodell zum Beispiel in der Musikbranche mit Tonträgern das ist ja nicht aus heiterem Himmel entstanden, sondern das ist entstanden im 20. Jahrhundert. Das muss man auch mal erwähnen, dass das nicht von Anbeginn der Zeit so war, sondern erst seit dem 20. Jahrhundert, als Tonträger erfunden wurden und auch zugänglich wurden. Seitdem gibt es das Modell, bei dem eine ziemlich teure Produktion eines Studioalbums, das auf Tonträger aufgenommen und verkauft wurde, wobei das Label die Aufnahme und Werbung finanziert und dafür einen Großteil des Profits der Tonträger einstrich. Für den Zeitpunkt war der Stand der Technik, dass man ein Musikstück, wenn man es verkaufen wollte, so dass jeder es zu Hause hören kann, auf Tonträger spielen musste. Jetzt ist aber die Technik weitergekommen und wir sind jetzt nicht mehr darauf angewiesen, dass es da wirklich physische Tonträger gibt. Sondern wir sind da angekommen, dass eine digitale Kopie keinen Träger außer einem PC Bedarf. Es ist kein Grund da, dass sich jetzt die Gesetzgeber, also die Legislative irgendwie zur Verteidigung des Wirtschaftsmodells mit dem Handel mit Tonträgern aufgerufen fühlt. Und umso mehr als dass dieses Geschäftsmodell wirklich in erster Linie einen Profit für die entsprechende Industrie schafft und nicht für die Künstler im Gegensatz zum Beispiel zu Live-Auftritten oder auch dem durch das Internet ermöglichten direkten Kontakt zwischen Künstler und Publikum.

Wenn jetzt die private Vervielfältigung erlaubt wird, auch wenn das Downloaden aus dem Internet von File-Sharing-Systemen oder sonstigen Kopien erlaubt wird, wie glauben Sie, dass sich das auf den Tonträgermarkt auswirken wird? Glauben Sie, dass er einbricht, also dass dieses Stützbein der Musikindustrie wegbricht? Denn das wird in dem Wahlprogramm der Piratenpartei bezweifelt. Ich habe es nicht mehr wortwörtlich im Kopf, aber sinngemäß steht dort, dass es negative Auswirkungen geben könnte, diese aber sehr unwahrscheinlich seien und stark angezweifelt werden müssten.

Wenn man die Entwicklung der Musikbranche in den letzten 10 Jahren sagen wir mal verfolgt, dann gibt es eine konstante Abnahme von den Tonträgerverkäufen - das stimmt. Da weiß ich jetzt keine genauen Studien, aber natürlich wird File-Sharing und auch allgemein das Internet als einer der Gründe dafür angeführt.

Da muss ich kurz unterbrechen. Zu diesem Thema gibt es diverse Studien, deren Ergebnisse zwar stark variieren, aber die alle trotzdem in die gleiche Richtung gehen. Sie besagen, dass die Rückgänge der Tonträgerverkäufe zwischen 33% und knapp 100% durch illegale Vervielfältigungen verursacht wurden.

Ok, kann gut sein, aber Tonträgerverkäufe sind ja nicht die einzige Umsatzquelle der Musikbranche. Wenn man aber die drei Säulen der Musikindustrie, Tonträgerverkäufe, Internetverkäufe - wobei bei Internetverkäufen eigentlich alles zusammengezählt wird; das sind Verkäufe von Läden wie iTunes, Erträge von verschiedenen Internetradios die da mit einfließen und andere - und eben als dritte Marktsegment die Live-Konzerte addiert, dann ist da ein genauso konstantes Wachstum. Also nicht in derselben Größenordnung, aber trotzdem - wenn man jetzt auf diese Summe schaut - dann hat es sogar im Jahr 2008 wo eigentlich schon die Weltwirtschaftskrise angefangen hat sich auszuwirken, sogar da gab es noch eine positive Veränderung von der Gesamtsumme im Vergleich zum Vorjahr. Das heißt Tonträgerverkäufe nehmen ab und ich glaube nicht daran, dass es irgendeinen drastischen Einsturz geben wird wenn wir die Gesetze entsprechend unseren Forderungen reformieren werden. Aber ich glaube, dass unabhängig von der Gesetzeslage, wenn jetzt nicht drakonisch verschärft wird, die Tonträgerverkäufe auch weiter abnehmen werden. Allerdings ist zu bezweifeln - besonders ausgehend von den Entwicklungsdaten für die letzten Jahre - dass diese Abnahme der Tonträgerverkäufe wirklich für eine Gesamtabnahme der Umsätze der Musikbranche verantwortlich sein wird. Und ein zweiter Aspekt, der immer wieder übersehen wird, ist, dass die Umsätze der Tonträgerverkäufe und die Umsätze der Konzertverkäufe - wenn man sich anschaut, was dann mit dem Geld passiert, nachdem es ausgegeben wurde -, da gibt es zwei absolut unterschiedliche Bilder. Die Umsätze von den Tonträgerverkäufen gehen zu einem Löwenanteil - meistens über 90% - an die Labels, die Umsätze von Konzerten gehen zu einem deutlich größeren Anteil direkt an die Künstler oder die Band. Und deshalb ist, auch wenn wir von der Gesamtsumme absehen, die ja immer noch wächst trotz des File-Sharings, auch die Umstrukturierung, wobei die Ticketverkäufe einen immer größeren Wert einnehmen gegenüber den Tonträgerverkäufen, wenn als Ziel die Stimulierung und Förderung der Kultur vorausgesetzt wird, diese Entwicklung weg von den Tonträgerverkäufen und hin zu Konzerttickets durchaus positiv zu sehen, sogar wenn es irgendwann mal soweit ist, dass die Summe von Umsätzen insgesamt schrumpft.

Diese Entwicklung habe ich auch in der Form mehr oder weniger in meiner Arbeit herausgefunden. Das Problem der meisten Plattenfirmen ist, dass sie sich fast ausschließlich auf die Tonträger konzentrieren und andere Firmen - bei größeren Künstlern durchaus auch die eigene - bei der Konzertvermarktung die Gewinne abschöpft. Eine Lösung wäre, dass man sich direkt von Anfang an bei der Unterstützung eines neuen Künstlers die Rechte an der Konzertvermarktung sichert und so den Wegfall des Tonträgermarktes durch den Konzertmarkt kompensieren kann. Dazu dann die nächste Frage: Wie glauben Sie wird sich die Anzahl der Konzerte, die ein Künstler geben muss und damit verbunden die Zeitdauer, die er weniger an Freizeit hat, sowie die Eintrittspreise für Konzerte verändern?

Wenn man die Entwicklung der Konzertpreise ansieht, da sind die Daten für die letzten 30 Jahre glaube ich erhoben worden, erkennt man einen sehr starken Anstieg der Preise - inflationsbereinigt. Die Konzertpreise sind also in den letzten Jahrzehnten immer gestiegen und auch ziemlich stark gestiegen und es gibt eigentlich keinen besonderen Grund, dass sich das ändern sollte, unabhängig davon, wie die Debatte um das Urheberrecht ausgeht. Einerseits stimmt es, dass es für die Künstler und für die Plattenfirmen - wobei diese von Konzerten in der Regel nicht sehr viel bekommen - profitabel ist, Konzerte zu geben und dass dementsprechend versucht wird, in diesem Bereich mehr Gewinn zu machen. Andererseits lässt die Nachfrage für Konzerte nicht nach. Und besonders wenn man den allgemeinen Wohlstand betrachtet, der ja in den westlichen Ländern eigentlich stetig wächst - wenn auch nicht immer gleich schnell - steigt die Nachfrage nach Konzerten weiter. Und noch ein Punkt: Das passiert ja jetzt schon im Internet, dass jeder Zugang zu weitaus mehr Musik hat. Das heißt, wenn ich vor etwas 20 Jahren zu einem Konzert ging, dann musste ich entweder davor eine CD oder damals noch eine Kassette kaufen und dafür schon ziemlich viel Geld ausgeben, um mir überhaupt anzuhören: „Wer ist denn das?“. Jetzt mit der Möglichkeit, sich die Musik im Vorhinein anzuhören.

Da muss ich wieder kurz nachhaken. Die Möglichkeit besteht doch auch heute schon. Jeder Nutzer kann sich bei Amazon über die Musik eines Künstlers informieren oder dieser kann selbst Stücke auf Youtube oder MySpace stellen. Dafür brauchen wir keine Reformen.

Natürlich, aber diese Möglichkeit ist erst mal möglich geworden durch die Digitalisierung und durch das Internet. Und es gibt jetzt auch ziemlich viele legale Möglichkeiten. Wie du sagtest kann einerseits der Künstler das selber ins Netz stellen, andererseits auch Services wie Internetradio, die vertraglich mit den Labels und Künstlern zusammenarbeiten. Aber im Endeffekt erfährt man zu einem Nullpreis, was das für eine Musik ist und so ist man, wenn man wirklich zu einem Konzert gehen will, bereit mehr zu bezahlen. Natürlich ist man eher bereit, für etwas zu zahlen, das man sich schon im Vorhinein angehört hat und runtergeladen hat und wo man die Musik kennt, da ist man auch bereit, für ein Konzert mehr zu zahlen, als wenn das praktisch etwas Unbekanntes ist. Und dadurch werden die Konzertpreise auch noch mal höher getrieben.

Der nächste Punkt bezieht sich auf die Künstler, die unterstützt werden. Sehen Sie die Gefahr, dass die Plattenfirmen sich sagen „wir nehmen den Künstler und vermarkten denjenigen, der eine möglichst breite Kundenbasis anspricht.“? Man würde sich hauptsächlich über Konzerte finanzieren und um diese gewinnbringend zu vermarkten braucht man eine große Nachfrage. Glauben Sie, dass irgendwelche ich nenne es mal „Wegwerf-Künstler“ à la DSDS, Popstars oder allgemein seichte Popmusik, die die größte Kundengruppe anspricht, andere Musikrichtungen, wie Reggae, Jazz oder Blues, bei denen die Nachfrage nicht so groß ist, verdrängen könnte?

Das sehe ich absolut nicht so. Wenn da ein Effekt auf die Struktur der Musikszene anzumerken sein wird, dann denke ich eher in die umgekehrte Richtung. Denn ein Teil der Ideen unserer Reformen zielt darauf ab, dass die Plattenfirmen weniger zu sagen haben. Die Künstler selber, die sich dann auch über Internet, über die verschiedenen direkten Kommunikationsmöglichkeiten vermarkten, die sind dann eben nicht daran gebunden, was der Manager von der Plattenfirma denkt, was es da für Potential und für eine Profitmarge gibt. Denn das ist ja gerade das, was im heutigen Modell, in dem alles über die Labels läuft, passiert. Da sagt sich das Label „So, der hat ein größeres Vermarktungspotential, der hat ein geringeres Vermarktungspotential.“ und der mit dem geringeren Vermarktungspotential bekommt keinen Vertrag und wird nicht bekannt.

Zu diesem Thema habe ich auch eine Studie gelesen. Ein Beispiel: Ich bin ein junger, noch sehr unbekannter Künstler und möchte Geld mit meiner Musik verdienen. Mit meinem Bekanntheitsgrad habe ich nie die Möglichkeit, einen Konzertsaal zu füllen, so dass ich wirklich davon leben könnte. Das heißt gerade für junge Künstler, die nicht der typischen Popmusik nachgehen, ist es eben wichtig, dass sie an Tonträgerverkäufen profitieren. Und diese Möglichkeit würde wegfallen. Natürlich haben diese Künstler die Möglichkeit, ihre Werke auf MySpace oder ähnliche Seiten zu stellen, um so Bekanntheit zu erlangen. Allerdings werden sie auf dem Weg dahin kein Geld verdienen und können so oft nicht Musik als ihren Beruf ausleben.

Das, was Sie beschrieben haben, ist ja eigentlich, wie es heutzutage aussieht. Denn da ist es für einen Künstler außerhalb der "stinknormalen" Popmusik deutlich schwieriger, bei einem Label einen Vertrag zu bekommen. Und ohne Möglichkeit, die eigene Bekanntheit aus eigener Kraft zu steigern hat er dann auch weniger Chancen, irgendwas zu erreichen. Die Eigenvermarktung übers Internet ist vom Kosten/Nutzen-Verhältnis unvergleichbar zum klassischen Tonträger. Zu den Zahlen, was gerade ein junger Künstler an den Tonträgern verdient, gibt es sehr bissige Beispiele - das sind jetzt keine Studien. Eines davon ist von Steve Albini, einem Indie-Producer, ein anderes ist von Courtney Love, die eine ähnliche Kalkulation aufgestellt hat. Da sieht man eigentlich, wie schlecht so ein Künstler oder eine unbekannte Band bei den ersten Verträgen wegkommt. Bestenfalls verdienen sie auf einem Niveau von Sozialhilfe. Und normalerweise ist es so, dass sie nach den ersten zwei bis drei Alben noch metertief in der Schuld von den Labels stehen und somit gezwungen sind, auch noch weiter unter schlechten Bedingungen zu arbeiten. Es sind wirklich nur Einzelfälle, die über Labelverträge so bekannt und berühmt worden sind, dass die sich eine bestimmte Selbstständigkeit erkämpfen konnten.

Noch mal zu der Chance auf Verkäufe: Gehen wir mal davon aus, dass die Piratenpartei bei der nächsten Wahl die absolute Mehrheit erreicht, regiert alleine, setzt ihre Forderungen bezüglich des Urheberrechts durch, private Vervielfältigung ist erlaubt, Tonträgerverkäufe sind zu gewinnbringenden Preisen quasi nicht mehr möglich. Wenn ich mich in die Lage des Kunden versetze, wäre ich viel eher bereit, eine CD eines jungen Künstlers zu kaufen, als sein Konzert zu besuchen. Ich weiß nicht, ob er live gut ist, wie sein Auftritt abläuft, ob sich die weite Reise und das Geld lohnt etc. Was ich damit sagen will ist, dass die Hemmschwelle, eine CD zu kaufen viel geringer ist, als ein Konzert zu besuchen. Und das wird gerade bei unbekannten Künstlern dazu führen, dass sie Musik nur hobbymäßig betreiben können.

Erstens gibt es ja auch im Onlinebereich moderne Möglichkeiten von Tonträgerverkäufen. Da wären zum Beispiel diese Pay-as-you-can Modell.

Eine Frage nur: Wie würden Sie sich entscheiden, wenn Sie - vereinfacht ausgedrückt - auf einer großen Seite das Lied gratis laden könnten und auch einer anderen 1€ zahlen müssten. Um es mal böse auszudrücken grenzt das für mich an Augenwischerei.

Also Augenwischerei hin oder her. Die Beispiele, wie zum Beispiel Radiohead, die haben mit dem Pay-as-you-can Modell - da konnte man die Lieder kostenlos runterladen und neben dem Download-Button war ein zusätzlicher Donate-Button - mehr Geld verdient als mit dem Anteil der Tonträgerverkäufe, die sie bei einem konventionellen Verkauf über Labels erhalten hätten. Ok, Radiohead ist jetzt nicht das beste Beispiel für einen unbekannten Künstler, aber ab sich gibt es genug Beispiele, wie auch aufgrund von freiwilligen sozusagen Spenden oder Donations, dass da Projekte unterstützt werden. Auch außerhalb vom Musikbereich gibt es diese: Wikipedia lebt von freiwilligen Donations, viele Open Source Projekte oder sonstige Freeware-Anbieter haben als einzige Einkommensquelle diese Donations. Die Sache stellt sich ja anders dar, als Sie es in der Frage geschildert haben. Ich würde natürlich in Ihrem Beispiel die kostenlose Variante wählen, aber beim Pay-as-you-can Modell habe ich die Möglichkeit, mit im Vorhinein die Musik kostenlos zu laden und - sofern mir die Musik gefällt - im Nachhinein freiwillig einen Donate zu machen. Und das mache ich auch gerne, egal ob das Musik oder Software ist. Bloß wenn das so gestellt wird, dass man entweder sofort zahlt und es ohne Rückgaberecht kauft, ist das der falsche Ansatz. Das ist ja wie beim normalen Tonträgerverkauf. Andere Möglichkeiten sind zum Beispiel Werbeeinnahmen. Die File-Sharing-Seiten, zum Beispiel Piratebay, die haben ja einen Riesenansturm von Besuchern...

...von denen sich die Piratenpartei ausdrücklich distanziert, oder?

Naja, was heißt distanzieren. Wir betonen, dass die Piratenpartei, auch die schwedische Piratenpartei und Piratebay absolut verschiedene Organisationen sind, die miteinander überhaupt nicht verknüpft sind...

...höchstens in Interviews...

Ja, aber das sind absolut unterschiedliche Organisationen, wobei wir natürlich anstreben, dass solche Seiten möglich sind. Aber - um wieder zurückzukehren - solche Seiten haben eine riesige Besucheranzahl. Und Besucher lassen sich heutzutage ziemlich schnell und effektiv in Werbeeinnahmen umwandeln. Und wir plädieren ja nur dafür, dass die Vervielfältigung und die Verbreitung und die Kopie zu privaten Zwecken legalisiert wird. Wenn der Zweck kommerziell ist - und eine Seite, die Werbeeinnahmen erzielt, ist kommerziell - dann müssen diese Werbeeinnahmen auch zum Teil an die Urheber zurückfließen. Die Werbefinanzierung ist jetzt ja auch kein revolutionäres Konzept, denn alle privaten TV-Sender finanzieren sich auf diese Weise, die Hälfte der Zeitschriften finanzieren sich auf diese Weise, 75% der Startups im Internet finanzieren sich auf diese Weise. Also da ist nichts revolutionäres dran; wir erproben kein neues Geschäftsmodell. Wir wollen es nur auf eine andere Schiene umstellen.

Dann bedanke ich mich herzlich für das Interview.

Datei:Interview0311.odt