Benutzer:Teasertrailer/Kandidatur/Interview

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"Die alten Regeln gelten einfach nicht mehr"

Da die ZEIT sich - ziemlich unpiratig - bereits final auf Kandidaten festgelegt zu haben scheint, gebe ich mir - wenig schizophren - mein Interview einfach selbst (Fein auch deshalb, weil ich mir keine unangenehmen Fragen stellen muss; das überlasse ich euch!) ;-)


M.: Hallo Marc, schön dass du die ZEIT gefunden hast für ein kurzes Gespräch.

Marc: Hallo Marc, die Freude ist ganz auf meiner Seite!


M.: Marc, du hast dich für den Bundesvorsitz der Piratenpartei beworben. Bisher bist du dort ja wenig in Erscheinung getreten. Vielleicht stellst du dich kurz mal vor.

Marc: Ja, ich bin erst am 14. September 2011 in die Piratenpartei eingetreten. Davor war ich über 10 Jahre Mitglied der FDP. Ich habe mich bei den Liberalen politisch immer aufgehoben gefühlt, weil ich ein zutiefst liberaler Mensch bin, mich aber thematisch in den vergangenen Jahren zunehmend nicht mehr wiedergefunden.

Bereits bei den Bundestagswahlen 2009 habe ich aus Überzeugung die Piratenpartei gewählt, bin dann ausgetreten und habe im September vergangenen Jahres beschlossen, mich bei den Piraten zu engagieren.


M.: Warum so spät?

Marc: Dazu fällt mir ein ALF-Zitat ein: "Es ist nie zu früh und selten zu spät!" Ich bin Anfang 2011 vom Bodensee, meinem Studienort, in meine alte Heimat Aachen zurückgekehrt. Für mich ist damit ein Lebensabschnitt zu Ende gegangen und ich habe, natürlich auch beeinflusst von Widersprüchen die sich aus meinem Studium und den kontemporären Problemen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zur Zeit manifestieren, begonnen zu überlegen wo ich stehen will und wie ich mich am sinnvollsten in die Gesellschaft einbringe.

In Friedrichshafen habe ich Wirtschaftswissenschaften und Ökonomie in einem multi-curricularen Umfeld studiert. Das heißt anteilig auch Kultur- und Kommunikationswissenschaften sowie Politik- und Verwaltungswissenschaften.

Ich war schon immer ein Wanderer zwischen den Welten.


M.: Kannst du das genauer erläutern?

Marc: Ich bin relativ sorglos aufgewachsen - man könnte auch sagen ziemlich prädestiniert. Da fällt es einem natürlich leichter, sich grundsätzlichen Existenzängsten zu entziehen. Trotzdem habe ich mich nie irgendwo abgegrenzt und versucht allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen. Mir ist im Gegenzug aber auch vollkommen egal was andere über mich denken. Ich bin seit meiner frühen Jugend in diversen Szenen unterwegs und habe einen ziemlich heterogenen Freundes- und Bekanntenkreis.

Berührungsängste sind mir fremd. Ich mag interessante Menschen - Oberflächlichkeit und bewusste Abgrenzung nerven mich. Ein Teil davon ist natürlich auch meiner eher untypischen Biografie geschuldet. Ich habe nach meinem kaufmännischen Abitur nahtlos als strategischer IT-Berater selbstständig gemacht und so mein Hobby quasi zum Beruf gemacht. Erst 2004 habe ich mich dann entschlossen, noch zu studieren, um meine theoretischen ökonomischen Kenntnisse zu fundieren und Interdependenzen zu anderen Disziplinen besser zu verstehen. Das Studium hat aber mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben, weil mir schnell klar wurde, dass die alten Tools und Theorien gerade in der Ökonomie nicht mehr tragen. Trotzdem werden sie allenthalben als Grundlage vermittelt.

Die selben Problematiken kann man bei uns heute auch in der Politik beobachten - es wird überhaupt nichts mehr neu gedacht, sondern immer nur versucht, das Schlechte zu verbessern oder an Teilsystemen herumzuschrauben aber es traut sich niemand, auch mal den Reset-Button zu drücken. Das wäre aber dringend geboten, weil einen die Realitäten ansonsten ständig überholen und das Primat der Politik in existenziellen Fragen verloren geht. In diesem Zusammenhang kann man eine zunehmende Entfremdung von Regierenden und Regierten feststellen. Bei den Bürgern machen sich zunehmend Resignation und Lethargie breit.

Wenn eine Gesellschaft aber keine Träume mehr hat über zukünftige gesellschaftliche Gestaltung, dann fängt sie an nur noch an den Symptomen zu laborieren. Uns fehlen Zukunftsvisionen.

Erschwerend kommt hinzu, das sich durch die stark steigende Geschwindigkeit in unseren Systemen in Zukunft diese Problematiken durch selbstverstärkende Prozesse noch verschlimmern werden. Hierzu zählt auch eine immer weiter zunehmende Komplexität der politisch relevanten Entscheidungsprozesse.


M.: Hat dich das zu den Piraten geführt?

Marc: Ja. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir einen neuen, gesamtgesellschaftlichen Konsens brauchen. Die Piratenpartei ist meiner Meinung nach die einzige politische Kraft in Deutschland, die unvorbelastet die Themen anpackt und hier ihre große Stärke hat. Und ich bin überdies der festen Überzeugung das die etablierten Parteien, die akuten und noch kommenden Probleme nicht dauerhaft lösen können werden. Nicht, weil sie nicht in der Lage dazu wären, sondern weil die etablierten politischen Routinen es nicht zulassen. Die alten Regeln gelten einfach nicht mehr.

Es ist in diesem Zusammenhang übrigens interessant zu sehen, wie Außenstehende immer wieder versuchen, die Piraten einem bekannten politischen Spektrum zuzuordnen. Hier fängt der Denkfehler jedoch schon an.


M.: Woran liegt das deiner Meinung nach?

Marc: Es ist das oben beschriebene Problem. Man schaut zurück, und versucht Neues mit Altem in Deckung zu bringen. Menschlich völlig verständlich - bei einfachen Sachverhalten auch legitim - solche haben wir aber kaum noch, weil durch den rasanten technischen Fortschritt in fast allen Disziplinen die Interdependenzen immer größer werden und deshalb völlig neue Denkansätze erfordern.


M.: Ist das jetzt gut oder schlecht?

Marc: Gut - sehr gut sogar, weil damit auch ein rasanter Anstieg der Produktivität und unseres Wohlstands einhergeht.


M.: Schon recht links wirkt der jüngste Parteitagsbeschluss der Piratenpartei für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens.

Marc: Wenn das mal kein ZEIT-Zitat ist. ^^

Zunächst einmal: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist nicht "links" und schon gar nicht "sozialistisch" sondern höchstens "avantgardistisch". Es stellt quasi die kommende Stufe in unserer zivilisatorisch-evolutionären Wohlstandsentwicklung dar. Und obwohl ich auch kein großer Fan dieser Terminologie bin, halte ich diesen Sachverhalt ausnahmsweise wirklich einmal für "alternativlos". Das BGE wird kommen - die Frage nicht ob sondern nur wann.


M.: Was macht dich da so sicher?

Marc: Das große Problem ist, dass in unseren Köpfen die meisten Menschen noch in Selbstversorgungsmentalität leben und deshalb das BGE als sozialistische Utopie empfinden. Heute kann sich aber kaum noch jemand selbst versorgen, wir sind, bis auf ganz wenige Ausnahmen, auf die Leistungen unserer Mitmenschen angewiesen.

Aus diesem Grund sind wir in einer gesellschaftlichen Realität gelandet, wo niemand mehr für sich selbst arbeitet. Wo jeder davon abhängig ist, dass Andere für ihn leisten. Wo jeder damit rechnen muss, dass Andere mit seiner eigenen Leistung rechnen.

Das ist, im gesamthistorischen Zusammenhang betrachtet, jedoch für unser gesellschaftliches Bewusstsein ziemlich neu aber auch verständlich. Noch vor einhundert Jahren hat ein überwiegender Großteil unserer Bevölkerung in Selbstversorgungssituationen gelebt. Unsere Sozial- und Steuersysteme fußen in Gesamtheit auf diesem Umstand, sind also auf einem präindustriellen Sockel gewachsen.

Wir haben also heute die rechtlichen Rahmenbedingungen, die der Selbstversorgung gerecht werden - nicht aber der Fremdversorgung. Dies führt bei vielen zu kognitiver Dissonanz.

Ich kann nämlich heute als Einzelner den Grund für meine Tätigkeiten nicht mehr in meinen eigenen Bedürfnissen suchen, sondern finde diese in den Bedürfnissen meiner Mitmenschen. Hier muss ganz dringend ein Umdenken stattfinden, denn in unseren Köpfen leben wir nach wie vor in einer Selbstversorgungsideologie. Die meisten Menschen denken sie "leben von ihrem Einkommen". Die meisten Menschen denken "wir müssen sparen, damit wir später von unserer Rente leben können" oder noch besser "von unserem Ersparten". Das jedoch ist eine irre Illusion. In der Fremdversorgungswirtschaft leben wir von der Initiative unserer Mitmenschen. Hieraus begründet sich auch unser Wohlstand - nicht aus unserer Arbeit.

In diesem Licht muss man auch den Paradigmenwechsel von binnenwirtschaftlichen Verhältnissen zu weltweiter Arbeitsteilung betrachten. Nichts anderes meint der vielgescholtene Begriff "Globalisierung".

Unser Hauptproblem ist, dass wir heute versuchen die weltweite Arbeitsteilung mit einem System zu bewältigen, was gerade noch in der Binnenwirtschaft austariert werden konnte. Das wird - das kann nicht funktionieren.


M.: Wo siehst du den Mehrwert für die Piratenpartei falls du gewählt wirst?

Marc: Zunächst einmal ist mir wichtig zu sagen: Ich kann mich mit allen Themen, die die Piratenpartei bisher angepackt und verabschiedet hat, zweifelsfrei identifizieren und trage diese voll und ganz mit.

Womit ich ein großes Problem habe, ist dass bis jetzt so gut wie nichts nach Außen kommuniziert wurde. Zwei Beispiele: Wir haben auf dem letzten Bundesparteitag in Offenbach zwei, meiner Meinung nach, sehr wichtige und richtige Dinge beschlossen - den Wunsch nach einem bedingungslosen Grundeinkommen und die Legalisierung von Drogen. Beides richtig und wichtig aber hochkomplex und deshalb in höchstem Maße in der Öffentlichkeit erklärungsbedürftig.

Das "Wieso" und "Warum" den Menschen zu erklären wird in Zukunft über Wohl und Weh der Politik entscheiden.

Verkürzte Darstellungen von öffentlichkeitswirksamen Themen bringen niemanden wirklich weiter. Im Gegenteil - ich bin der festen Überzeugung, dass sich dies als kontraproduktiv erweisen wird und sich die Bürger noch stärker von der Politik abwenden. Ein schönes Beispiel: Keine Stunde nach dem Beschluss in Offenbach flimmerte die Meldung "Piratenpartei will Drogen legalisieren" über die Großbildschirme der Frankfurter U-Bahn. Das klingt natürlich erst mal für Außenstehende so, als wollten wir uns jeder unsere tägliche Ration Gras sichern. Die Reaktion auf dem Bahnsteig: Stirnrunzeln und Kopfschütteln.

Der Gesamtkomplex - Entkriminalisierung von Schwerstabhängigen, Prävention durch Aufklärung gerade junger Menschen, den Entzug der Grundlage eines Schattenmarktes, der außerhalb jeglicher fiskalischer Zugriffsmöglichkeiten die gleichen Umsätze erzielt wie die Automobilindustrie, schlußendlich eine Kontrolle der Stoffreinheit - dies alles bleibt bei derart verkürzter medialer Darstellung natürlich auf der Strecke und führt zu einem Ablehnungsreflex in der Öffentlichkeit.

Beim bedingungslosen Grundeinkommen stellt sich die Sache noch schwieriger dar, da um verständlich zu machen, warum das Grundeinkommen langfristig in unseren reifen Marktwirtschaften unumgänglich sein wird erst eine Menge ökonomischer und fiskalischer Grunddinge verstanden sein müssen. Denn wenn wir im gesamtgesellschaftlichen Kontext das Neue kreieren wollen, dann müssen wir es vorher denken können. Hierfür sind zwei Punkte essentiell: Man kann neue Dinge nur denken, wenn man sie überhaupt versteht und man kann Probleme niemals mit der selben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Diese Grundsätze werden in Zukunft angesichts zunehmender Komplexität immer wichtiger werden.

Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass jemand die Dinge darstellt und erklärt. Man kann von den Menschen nicht verlangen sich selbst in derart komplizierte Sachverhalte einarbeiten.


M.: Siehst du hier grundsätzlich ein Problem der Politik?

Marc: Ja, ganz klar. Die Menschen haben es satt, vor vollendete Tatsachen gestellt und von der Politik nicht mitgenommen zu werden. Je komplexer die zu entscheidenden Sachverhalte aber werden, desto erklärungsbedürftiger sind sie. Ein "friss oder stirb" wird uns in Zukunft nicht mehr weiterbringen - es wird auch nicht mehr widerspruchslos hingenommen, das hat der ACTA-Komplex in den vergangenen Monaten sehr deutlich gezeigt. Die Bürger müssen sich einfach mehr erstgenommen und weniger "entkoppelt" fühlen, dann löst sich auch das Problem der Politikverdrossenheit.


M.: Bist du zuversichtlich, dass wir die drängenden Probleme unserer Zeit lösen werden können?

Marc: Ja, denn ich bin aus der Tiefe meines Herzens heraus Optimist. Wo wir aufpassen müssen ist, dass jene Prozesse die unsere Probleme lösen können, derart tiefgreifend und umfassend sein werden, dass sie sehr lange Zeiträume für ihre Umsetzung beanspruchen. Aufgrund der zum Teil hohen Latenz der berührten Prozesse (z.B. Demografie oder Klimawandel) wird es auf dem Weg zu den notwendigen Transformationen jedoch Punkte geben, an denen eine Korrektur von verpassten Änderungen nicht oder nur unter Inkaufnahme von großen Nachteilen möglich sein wird. Wir müssen also so schnell wie irgend möglich damit beginnen.


M.: Und die Finanzierung?

Marc: Stellt überhaupt kein Problem dar - die Konzepte liegen alle bereit. Wir müssen es nur wollen.


M.: Deine größte Schwäche?

Marc: Ich bin der unpünktlichste Mensch der Welt. Zu jeder Gelegenheit komme ich zu spät - sorry ALF!


M.: Vielen Dank für das Gespräch.

Marc: Es war mir ein Vergnügen!