Benutzer:Michael Ebner/Wahlverfahren

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Aufstellungsversammlungen und Wahlverfahren

Die in letzter Zeit stattfindenden Aufstellungsversammlungen für die Landeslisten zur Bundestagswahl und das dortige Abschneiden der als weiblich wahrgenommenen Kandidaten haben mal wieder die Quotendiskussion befördert. Diese soll jedoch nicht Thema meines Beitrags sein. Statt dessen möchte ich bitten, mal quasi "einen Schritt zurück" zu treten und den Blick auch auf andere Parameter zu lenken, hier insbesondere auf das verwendete Wahlverfahren.

Das Wahlverfahren beeinflusst nicht nur maßgeblich, wie schnell man fertig ist, sondern nicht minder, welche Liste dann dabei heraus kommt. Die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Wahlverfahren ist somit keineswegs "neutral", sondern entscheidet in hohem Maße auch über die Chancen der einzelnen Kandidaten. Die gerade laufende LF-Abstimmung (https://lqpp.de/be/issue/show/900.html) sollte also mit Bedacht entschieden werden, auch wenn die Aufstellungsversammlung dann bezüglich des Wahlverfahrens das letzte Wort haben wird.

Es gibt dabei Wahlverfahren, welche die Entscheidung maximal hin zu den Wählenden ("der Basis") verlagern und für Absprachen und taktisches Verhalten recht unempfindlich sind. Und es gibt Verfahren, welche die Entscheidung deutlich zu den Kandidaten hin verlagern, wo man sich mit Absprachen und taktischem Verhalten große Vorteile verschaffen kann. Und natürlich gibt es Verfahren, deren Ergebnisse hochgradig zufällig sind - Helge hat da etwas vorgeschlagen, das in der Unvorhersehbarkeit der Ergebnisses nahe an einen Zufallsgenerator herankommt. Schauen wir uns das mal als erstes an:

Von hinten nach vorne

Die Initiative 12 Listenplätze, von hinten beginnend gewählt verlangt nicht nur von den Kandidaten eine Einschätzung, auf welchen Listenplätzen sie Chancen haben könnten, sondern auch von der Wählenden. Wenn ich jemand auf Platz 1 haben möchte, dann sollte ich ihn einerseits auf den Plätzen 12 - 2 nicht wählen, setze ihn damit aber auch der Gefahr aus, gar nicht auf die Liste zu kommen.

Zudem besteht latent die Gefahr, dass keiner der Kandidaten 50%+x bekommt und die Wahl damit beendet ist. Gut möglich, dass nur die Listenplätze 12 und 11 vergeben werden, dann alle Kandidaten an der Mehrheit scheitern und dem Landeswahlleiter nur die Plätze 11 und 12 gemeldet werden (spannende Frage, ob der das dann aus formalen Gründen zurück weist, oder daraus ganz pragmatisch die Plätze 1 und 2 macht...).

Helge begründet, dass dieses Verfahren die Wahl spannender macht. Diesbezüglich muss ich ihm uneingeschränkt zustimmen. Ob das Ergebnis auch nur halbwegs den Willen des Landesverbandes Berlin abbildet, darf allerdings bezweifelt werden.

Iterativ mit Mehrheitswahl

Die Initiative Aufstellung iterativ mit Mehrheitswahl ist ein Verfahren, wie es auch bei den etablierten Parteien praktiziert wird, mit dem Unterschied, dass bei uns dann nicht der Landesvorstand eine Liste zusammenstellen wird, welcher Kandidat auf welchem Platz anzutreten hat, sondern es wird viele Kandidaten für jeden einzelnen Platz geben. Die eigentliche Hürde ist dann nicht die Mehrheit in der Stichwahl, sondern überhaupt in die Stichwahl zu kommen.

Dabei werden dann Absprachen und taktisches Verhalten wichtig. Halbwegs aussichtsreiche Kandidaten mit sich überschneidenden Unterstützerkreisen werden sich absprechen, auf unterschiedlichen Plätzen zu kandidieren, damit sie sich nicht gegenseitig Stimmen wegnehmen. Gegen aussichtsreiche Gegenkandidaten geht man dann mit den "bewährten Methoden" des öffentlichen wie nichts-öffentlichen Drucks sowie der Verbreitung von Gerüchten vor (Semper aliquid haeret...), zudem macht es viel Sinn, gegen aussichtsreiche Gegenkandidaten ähnliche Kandidaten zu positionieren, damit sich die Stimmen darauf aufteilen. (Beispiel: Wenn ein aussichtsreicher Gegenkandidat, den ich vermeiden möchte, z.B. eine junge Frau mit Kompetenz in Netzpolitik ist, die stark die eine Frauenquote befürwortet, dann sorge ich dafür, dass a) ein paar andere junge Kandidaten auf diesen Platz antreten, dass b) ein paar andere Frauen auf diesen Platz antreten, dass c) ein paar kompetente Netzpolitiker antreten und d) ein paar dezidierte Unterstützer einer Frauenquote antreten, so dass bei jedem der Gründe, diese Person zu wählen, mehrere Alternativen zur Wahl stehen, auf die sich die Stimmen aufteilen können).

Und da dieses Spiel viele Kandidaten beherrschen, werden wir viele Kandidaten für die ersten Listenplätze bekommen, denen völlig klar ist, dass sie überhaupt keine Chance haben, und die nur kandidieren, um andere Kandidaten auf die Plätze 3 und folgende zu drücken und sie damit aus der Stichwahl zu halten. (Dazu kommen noch die ganzen Karrieristen - besonders wenig Kandidaten würde ich da jetzt nicht erwarten...)

Am Rande: Für nur 10 Listenplätze (und nach der Erfahrung mit der AGH-Liste könnte man ja versucht sein, großzügigere Listen aufzustellen, damit man auch bei ein paar Rückziehren in Kombination mit einem guten Wahlergebnis noch Nachrücker hat) wird man 20 Wahlgänge benötigen, weil es bei allen 10 Listenplätzen zu einer Stichwahl kommen wird. Da man diese Wahlgänge nicht schachteln kann (man kann erst dann den nächsten Wahlgang durchführen, wenn der davorliegende ausgezählt ist), wird der reine Abstimmungsmarathon (ohne Kandidatenvorstellungen) mindestens 10 Stunden brauchen.

Der Vollständigkeit halber

Der Vollständigkeit halber erwähne ich hier auch noch die Initiative Wahlverfahren für die Aufstellung der Bundestagsliste. Sie legt eigentlich kein Wahlverfahren fest, sondern nur, dass die ersten fünf Plätze einzeln und die anderen Plätze en bloc zu wählen.

Schulze-Verfahren

Bei der Initiative Aufstellung mit Schulze-Verfahren bin ich befangen - ich habe sie erstellt. Wer sich dafür interessiert, warum ich diese bevorzuge, liest in der Begründung nach.

Noch zwei Anmerkungen. Erstens: Das Schulze-Verfahren gilt als sehr unempfindlich gegen Absprachen und taktisches Verhalten. Die oben beschriebenen Probleme werden - wenn überhaupt - nur in sehr geringem Maße auftreten.

Zweitens: Von Monika kam noch eine Anregung, auf negative Stimmgewichtung zu verzichten - ich habe darauf leider nicht geantwortet (zu spät entdeckt) und möchte das hier tun: Meine Initiative legt sich diesbezüglich nicht fest, das könnte also im Rahmen einer zweiten Ini gemeinungsbildet werden, das letzte Wort wird auch hier die Aufstellungsversammlung haben. Klar ist: Wenn die Aufstellungsversammlung mehrheitlich der Meinung ist, dass sie "abstrafen" möchte, dann wird das eine vorherige LF-Ini nicht verhindern können - egal, wie sie ausgefallen ist.