Benutzer:Michael Ebner/Unterm Strich

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Unterm Strich - Eine Antwort

Eine Antwort auf den Kommentar "Unterm Strich" von Jörg Eigendorf in der Welt vom 4. November 2013 (http://www.welt.de/print/die_welt/article121503466/Unterm-Strich.html).


Sehr geehrter Herr Eigendorf,

sich beim Thema Prostitution nicht auszukennen, ist ja keine Schande. Es wäre dann jedoch eine Überlegung, sich nicht dazu zu äußern - Dieter Nuhr hat dieses Prinzip noch ein wenig prägnanter formuliert...

Konkret:

Sie schreiben: Betrachten wir es zunächst unter dem strafrechtlichen Aspekt. Da tut sich ein Abgrund auf: Nur 40 weibliche und vier männliche Prostituierte sind sozialversichert. Hingegen schätzt das Bundesamt für Statistik den Umsatz der Branche auf 14,6 Milliarden Euro. Was dazwischen liegt, ist illegal.

Nein, ist es nicht.

  • Das Prostitutionsgesetz hat die Möglichkeit geschaffen, Prostitution sozialversicherungspflichtig auszuüben - eine Pflicht dazu besteht nicht.
  • So wie es für viele andere Berufe und Arbeitgeber interessant ist, statt Arbeitsverträge Werk- oder Dienstverträge zu schließen (auch der Springer-Verlag setzt freie Mitarbeiter ein...), so zieht es auch die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter nicht unebdingt in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Das hindert sie jedoch nicht daran, privat vorzusorgen.
  • Erschwerend kommt hinzu, dass zum Beispiel das gesamte Arbeitsschutzrecht nicht auf diese Branche hin angepasst wurde. Wer mal sauber durchdekliniert, was auf einen Arbeitgeber in diesem Gewerbe zukommen würde (nur mal zum Beispiel die Nachrangigkeit der persönlichen Schutzausrüstung, was in dieser Branche dann wohl die Kondome wären), und das bei einem eingeschränkten Direktionsrechts gegenüber dem Beschäftigten, der sieht schnell ein, warum da keine regulären Arbeitsverträge geschlossen werden.
  • Zudem sollten wir nicht vergessen, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter immer noch erheblich diskriminiert werden und es somit nachvollziehbar sein sollte, dass diese öfters auch mal unter leicht abweichenden Berufsbezeichnungen versichert sind.
  • Warum dies zudem noch "der strafrechtliche Aspekt" sein soll, erschließt sich dann auch nicht. Es gibt durchaus strafrechtliche Aspekte bei dieser Branche, das soll ja gar nicht beschönigt werden - dies aber ist keiner.

Sie schreiben: Elf Jahre nachdem die rot-grüne Bundesregierung per Gesetz Prostitution liberalisierte, sehen sich von den 80 größten Städten 20 außerstande, überhaupt eine Zahl der Prostituierten vor Ort zu nennen. Die Finanzämter kassieren zwar auf Straßenstrichen und in Bordellen – meist offiziell Zimmervermietungen – Kopfgeld ab. Doch ansonsten haben die Behörden keine Ahnung. Manche Kommunen behaupteten auf Nachfrage sogar, dass Prostitution in ihrer Stadt kein Problem sei.

  • Die Behauptung könnte ja durchaus darauf zurückzuführen sein, dass Prostitution in der betreffenden Stadt tatsächlich kein Problem ist.
  • Wie viele Kommunen würden sich denn imstande sehen, die Zahl der IT-Freiberufler vor Ort zu nennen? Und diese sind noch nicht mal ein Gewerbe, bei dem Diskretion zum Geschäftsmodell gehört.

Sie schreiben: Nein, der Grund ist, dass Polizei und Stadtverwaltung ihren Job machen. Das Kommissariat verfolgt, was sich im Rotlichtmilieu abspielt, Prostitution auf der Straße ist verboten.

  • Nein, es ist der Job von Polizei, alles zu verfolgen, was sich im Rotlichtmilieu abspielt - sondern alles zu verfolgen, was eine Straftat ist. Eine Verfolgung darüber hinaus wäre selbst eine Straftat (§344 StGB, "Verfolgung Unschuldiger").

Sie schreiben: Wenn man die Augsburger Zahlen hochrechnet, dann sind es mindestens 200.000 Prostituierte in Deutschland – und die meisten sind schutzlos ihren Zuhältern und Peinigern ausgeliefert.

  • Die weit überwiegende Mehrheit der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter in Deutschland arbeitet ohne Zuhälter und "Peiniger".
  • Sie wäre ihnen auch nicht schutzlos ausgeliefert: Deren Handlungen sind sowohl nach den allgemeinen als auch nach den branchenspezifischen Vorschriften der Strafgesetzbuchs Straftaten, alle Polizeigesetze kennen erweiterte Befugnisse der Polizei für Orte, an denen üblicherweise der Prostitution nachgegangen wird, sowohl staatliche als auch private Stellen bieten Ausstiegsprogramme an.
  • Wenn die in der Branche Tätigen etwas weitgehend schutzlos ausgeliefert sind, dann sind das einerseits der Schikanierung durch Polizei und Behörden, und andererseits den überzogenen Renditeerwartungen der Betreiber insbesondere von Laufhäusern; hier verhindert der Staat durch Sperrbezierksverordnungen und Gewerbebeschränkungen einen Wettbewerb, sorgt dadurch für Monopolpreise, und nimmt die Profiteure über das sogenannte Vermieterprivileg auch noch von den strafrechtlichen Schutzvorschriften aus.

Sie schreiben: Umso fassungsloser macht es, dass es seit 2002 keine Bundesregierung geschafft hat, ein missratenes Prostitutionsgesetz zu reformieren.

  • Die Einschätzung, dass das ProstG missraten ist, teilen wir ja zumindest. Die von Seiten von Union und SPD angedachten Reformideen gehen jedoch in die völlig falsche Richtung.

Sie schreiben: Solange das anders ist, sollte sich jeder Kunde einer Prostituierten fragen, wen er da berührt. Mit großer Wahrscheinlichkeit ein Opfer von Ausbeutung, Menschenhandel oder Missbrauch. Wer dafür bezahlt, fördert diese Verbrechen.

  • Die größte Gruppe stellen derzeit Osteuropäerinnen, die nicht viel Alternativen haben, Ihre Familien zu ernähren. Für die weit überwiegende Mehrheit ist das sicher nicht der Traumjob, aber dann doch das kleinere Übel.
  • Wer dagegen vorgehen möchte, müsste die Armut in diesen Ländern bekämpfen. Also mal nicht Subventionen dafür, dass Betriebe nicht nach Rumänien verlagert werden, sondern Subventionen dafür, dass sie verlagert werden. Welcher Politiker hätte dazu den Mut (und wenn ja, wie lange bliebe er noch im Amt)?
  • Wer einem Bettler ein paar Groschen in den Hut wirft, fördert das auch. Auch in diesem Umfeld gibt es mafiöse Strukturen (Zugang zu den lukrativen Plätzen gegen Schutzgeld u.ä.).
  • Ein Boykott der Prostitution mag auf den ersten Blick ein interessantes Mittel sein. Bei genauerem Hinsehen würde er jedoch den jetzigen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern die wirtschaftliche Existenz entziehen und deren Armut vergößern, während die Kriminellen der Branche sich dann halt ein anderes (dann halt riskanteres oder weniger lukratives) Geschäftsfeld suchen.

Micha Ebner

Autor des Buches "Berufsratgeber für Huren"