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Verhinderung jeglicher staatlicher Überwachung der Privatsphäre durch das Grundgesetz

Der Bundesparteitag möge beschließen den folgenden Vorstoß zur Abschaffung des großen Lauschangriffs sowie der Eingriffe in das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis in das Wahlprogramm zur nächsten Bundestagswahl aufzunehmen:

Die Piratenpartei setzt sich für die bedingungslose Bewahrung der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger gegenüber staatlicher Überwachung in jedweder Form ein.

Um dies zu erreichen strebt die Piratenpartei die Abschaffung des großen Lauschangriffs sowie die Abschaffung der Eingriffe in das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis durch eine Grundgesetzänderung an.


Zur Abschaffung des großen Lauschangriffs sollen dazu konkret die Absätze 3 bis 6 des Art. 13 Grundgesetzt (GG) wieder entfernt werden.

Zur Abschaffung der Eingriffe in das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis soll dazu konkret der Absatz 2 des Art. 10 Grundgesetz (GG) entfernt werden.

Die Erfahrungen z.B. mit dem "Staatstrojaner" haben gezeigt, dass der Staat einen verantwortungsvollen Umgang mit Eingriffen in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger nicht gewährleisten kann und dass weiterhin kein Konzept für eine wirksame Kontrolle existiert.

Begründung

Die o.g. Absätze der Art. 10 und 13 des GG stellen im Wesentlichen nachträgliche Änderungen gegenüber der ursprünglichen Fassung des GG von 1949 dar, die die im Grundgesetz verankerten Bürgerrechte einschränken, um die Überwachung der Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen.

Mit der Umsetzung dieses Antrages durch eine Grundgesetzänderung wird das Grundgesetz in Bezug auf Art. 13 in seine ursprüngliche Fassung von 1949 zurückgesetzt und in Bezug auf Art. 10 gegenüber seiner ursprünglichen Fassung den Schutz der Privatsphäre betreffend noch verschärft, so dass im Ergebnis eine Überwachung der Privatsphäre überhaupt gar nicht mehr möglich ist.

Das Beispiel des "Staatstrojaners" hat uns allen deutlich gemacht, dass das Einzige, was uns noch vor dem Überwachungsstaat schützt die Inkompetenz der Überwacher ist, die nur noch von ihrer Ignoranz gegenüber den gesetzlichen Grenzen der Überwachung übertroffen wird. Wenn man denen den kleinen Finger gibt, nehmen sie sich gleich die ganze Hand. Als Partei der Bürgerrechte sollten wir dem entschieden Einhalt gebieten und uns mit konkreten Vorschlägen klar dagegen positionieren. Als Taktik möchte ich vorschlagen, durch eine Maximalforderung den Überwachungsmöglichkeiten des Staates bereits im Grundgesetz jeden Boden zu entziehen.

Die aktuelle Situation des grundsätzlichen Gestattens von staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre "unter strengen Auflagen", die dann in weiteren undurchsichtigen Gesetzen und Verordnungen geregelt werden und in der Praxis nachweislich nicht so umgesetzt werden (können), wie man uns das im politischen Diskurs um die Grundgesetzänderungen verkauft hat, sollten wir gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Erkenntnisse um den "Staatstrojaner" entschieden ablehnen.

Im Folgenden soll auf einzelne Überwachungsmaßnahmen genauer eingegangen werden, die durch die hier angestrebte Grundgesetzänderung abgeschafft werden:

Akustische und optische Wohnraumüberwachung (großer Lauschangriff)

Der durch die Ergänzung der Absätze 3 bis 6 im Art. 13 GG (Verabschiedet im Bundestag 16.01.1998) ermöglichte große Lauschangriff stellt eine bis heute auch unter Experten und insb. Juristen äußerst umstrittene Maßnahme dar.

Einerseits ist diese Maßnahme der schwerste Eingriff in den Kernbereich privater Lebensgestaltung der Bürgerinnen und Bürger und für Ermittlingsbehörden mit einem extrem hohen Aufwand verbunden. Andererseits weist sie jedoch eine geringe Erfolgsquote auf. So können nach einer Untersuchung im Auftrag des Bundesjustizministeriums nur etwa 30% der angeordneten Maßnahmen als erfolgreich oder bedingt erfolgreich eingestuft werden.(Quelle 1, S.327)

Weiterhin ist die im Gesetz (§101, Abs. 4, Satz 4 StPO) festgeschriebene Benachrichtigung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger unzureichend umgesetzt: Nach einer Untersuchung im Auftrag des Bundesjustizministeriums wurden in 36% der Fälle die Betroffenen nicht benachrichtigt.(Quelle 1, S.266)

Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und damit Verbunden auch die Quellen TKÜ (Staatstrojaner)

Die TKÜ stellt einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis dar, die durch Absatz 2 Art. 10 GG bzw. dessen Ergänzung (verabschiedet im Bundestag 30.05.1968) ermöglicht wird.

Ein wesentlicher Kritikpunkt an der Telekommunikationsüberwachung ist der inflationäre Gebrauch dieser Maßnahme, der aus der mangelhaften Kontrolle durch die Ermittlungsrichter resultiert. So werden TKÜ Maßnahmen aus Gründen der Bequemlichkeit von den Ermittlungsbehörden gewissermaßen automatisch aufgrund des Vorliegens einer Katalogstraftat nach §100a Absatz 2 StPO angefordert, wobei eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen des $100a StPO (Schwere der Tat nach Absatz 1 Satz 2, Aussichtslosigkeit der Erforschung des Sachverhalts nach Absatz 1 Satz 3, Komplizenschaft nach Absatz 3, Eindringen in den Kernbereich privater Lebensgestaltung nach Absatz 4) in der Regel nicht erfolgt. Laut einer Untersuchung im Auftrag des Bundesjustizministeriums sind nur etwa 23,5% der Beschlüsse von TKÜ Maßnahmen substantiell begründet. "Regelmäßig werden polizeiliche Anregungen auf eine TKÜ durch die Staatsanwaltschaft und in der Folge durch den Ermittlungsrichter übernommen. Die Begründungstätigkeit erfolgt ausweislich der Akten und nach Selbsteinschätzung befragter Kriminalbeamter nahezu ausschließlich durch die Polizei. Häufig verbleibt sodann von einem umfassenden polizeilichen Ermittlungsvermerk und einem bereits wesentlich knapperen staatsanwaltschaftlichen Antrag ein weiter verkürzter Beschluss."(Quelle 2, S.447)

So kann konstatiert werden, dass der Richtervorbehalt in der Praxis nicht gelebt wird, da es für einen Richter wesentlich aufwändiger ist eine angeregte TKÜ Maßnahme als unbegründet zurückzuweisen, als die Begründung der Ermittlungsbehörde zu übernehmen und der Forderung stattzugeben. Auch hier ist die im Gesetz (§101, Abs. 4, Satz 6 StPO) festgeschriebene Benachrichtigung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger unzureichend umgesetzt: Nach einer Untersuchung im Auftrag des Bundesjustizministeriums erfolgte in zwei Dritteln der überwachten Anschlüsse gar keine Benachrichtigung. Weiterhin kann aufgrund der Streubreite der Maßnahmen eine Vielzahl unbeteiligter Personen betroffen sein, was für sich alleine schon problematisch ist. Weiter sind diese dann auch alle zu benachrichtigen. Jedoch erfolgt in der Praxis entgegen den gesetzlichen Vorgaben lediglich eine Benachrichtigung der Beschuldigten und ggf. der Anschlussinhaber, nicht jedoch aller Beteiligten, die mit dem Beschuldigten einen Telekommunikationskontakt hatten.(Quelle 2, S.450f)

Zusammenfassung

Die oben dargestellten Kritikpunkte der einzelnen Maßnahmen zeigen deutlich, dass der Staat einen verantwortungsvollen Umgang mit Eingriffen in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger nicht gewährleisten kann. Eine wirksame Kontrolle der staatlichen Abhörmaßnahmen ist nicht erkennbar, weder ex ante durch den Ermittlungsrichter (Richtervorbehalt), noch ex post durch die betroffenen Bürgerinnen und Bürger auf Basis der gesetzlich vorgeschriebenen Benachrichtigung. In der unzureichenden Umsetzung der Benachrichtigung der Betroffenen muss ein grunsätzliches Problem gesehen werden. In Unkenntnis der Eingriffe in unsere Privatsphäre können wir uns so kein eigenes Bild von der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen machen und somit auch als Bürgerinnen und Bürger keine wirksame Kontrolle ausüben.

Quellen

(1) Meyer-Wieck, Hannes: Rechtswirklichkeit und Effizienz der akustischen Wohnraumüberwachung
http://www.forum.mpg.de/archiv/veranstaltung13/hintergrund/gutachten_lauschangriff.pdf
(2) Albrecht, H.-J., Dorsch, C. & Krüpe, C.: Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation
http://www.mpicc.de/shared/data/pdf/k115.pdf

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Beschluss

Dieser Antrag wurde auf dem Landesparteitag Bayern 2012.1 in Straubing als P105 angenommen (Protokoll).