AG Geldordnung und Finanzpolitik/ThemaTarget

Aus Piratenwiki
Wechseln zu: Navigation, Suche
Geldsystem-Coin-Logo.png

Organisatorisches: Selbstverständnis der AG | Ziele der AG | Geschäftsordnung | Kommunikationsmittel | Protokolle | Pads | Podcasts
Inhaltliches: Mehrheitsmeinung in der AG | Aufbereitete Themen | Podiumsdiskussionen | Grillfeste | Bildungsveranstaltung | AG-Videos | Abstimmungen und Ergebnisse
Sonstiges: Quellen | Zusammenarbeit mit anderen Gruppen | Blog | Mitglieder

Vorbemerkung Vorbemerkung:
Dies ist eine Meinung, die derzeit von dem Mitglied Nicolai Hähnle vertreten wird und spiegelt nur die Meinung einiger Mitglieder der Piratenpartei oder der AG Geldordnung und Finanzpolitik wider. Wer Anmerkungen/Fragen hat schreibt diese bitte auf die Diskussionsseite zu diesem Artikel.


Das Schlagwort TARGET2 ist seit Ausbruch der Finanzkrise in Europa immer wieder in den Medien aufgetaucht und heiß debattiert worden. Von großen Target-Salden ist die Rede. Aber was verbirgt sich dahinter eigentlich? Wir wollen Licht ins Dunkel bringen.

Executive Summary

  1. Target-Salden sind ein Artefakt der unvollständigen Integration der nationalen Zentralbanken in der Eurozone.
  2. Target-Salden sind ein Symptom volkswirtschaftlicher Ungleichgewichte.
  3. Target-Forderungen einer nationalen Zentralbank an das Target-System können nach den heutigen Mechanismen nicht ausfallen, es sei denn die jeweilige nationale Zentralbank tritt aus dem Eurosystem aus. Forderungen des Target-Systems an eine nationale Zentralbank können nur beim Zerfall des Euro bzw. dem Austritt des jeweiligen Landes ausfallen.
  4. Der Erhalt von Target-Forderungen ist aus deutscher Perspektive ein Argument für den Erhalt des Euro.
  5. Die deutschen Target-Forderungen können nur abgebaut werden indem Deutschland mehr Geld ins Ausland schickt als umgekehrt. Umgekehrt können die Target-Verbindlichkeiten anderer Länder nur abgebaut werden, indem diese Länder mehr Geld empfangen.
  6. Ein Ausgleich der Target-Salden wird am besten durch einen Ausgleich der Handelsbilanzen erreicht. Dafür ist ein Umdenken in Deutschland notwendig; dieses Umdenken ist aber im Eigeninteresse der deutschen Bürger.


Was sind Target-Salden?

Es ist für uns im Alltag selbstverständlich, dass wir per Überweisungsträger oder im Onlinebanking Überweisungen in Auftrag geben können und auf diese Weise Zahlungen tätigen können, sprich: Geld verschieben. Um Target zu verstehen, müssen wir zumindest im Grundsatz verstehen, wie der Zahlungsverkehr im Eurosystem funktioniert. Einen Einstieg darin, wie Zahlungssysteme grundsätzlich funktionieren, findet Ihr im Artikel "Wie funktionieren Überweisungen". Hier wiederholen wir nur die wichtigsten Details.

Das Zahlungssystem

Nicht-Banken, also insbesondere Privatpersonen und Unternehmen der Realwirtschaft, haben (Giro-)Konten bei Banken. Diese Girokonten stehen in unserer privaten Bilanz auf der Aktivseite, sind also unser Vermögen. In der Bilanz der Bank stehen sie dementsprechend auf der Passivseite, es sind also Verbindlichkeiten ("Schulden") der Bank.

Analog haben Banken Konten bei der Zentralbank. Diese Zentralbankkonten stehen auf der Aktivseite der Bilanz der Bank, und auf der Passivseite der Zentralbank. In Deutschland ist die Bankleitzahl in der Regel gleichzeitig die Nummer des Zentralbankkontos der Bank. Das Geld auf den Zentralbankkonten wird traditionell "Reserven" genannt, moderner und klarer ist der Begriff "Zentralbankgeld" (ZBG).

Goufp-target-bilanzen1.png

Wenn Nicht-Banken Zahlungen zwischen verschiedenen Banken tätigen, dann müssen die Banken diese Zahlungen ausgleichen, damit die Bilanzen in Ordnungen sind.

Beispiel: Wenn im Laufe eines Tages 185 Mio. € von Kunden der Bank A an Kunden der Bank B überwiesen werden, und umgekehrt nur 179 Mio. €, dann bedeutet das, dass die Bank B netto 6 Mio. € Schulden der Bank A gegenüber den Kunden übernimmt: die Passivseite der Bilanz der Bank B wächst um 6 Mio. €. Um das auszugleichen, überweist Bank A nun 6 Mio. € Zentralbankgeld von ihrem Zentralbankkonto auf das Zentralbankkonto von Bank B. Dann sind die Bilanzen wieder ausgeglichen.

Goufp-target-bilanzen2.png

Also: Banken überweisen Zentralbankgeld zwischen Zentralbankkonten, so wie Nicht-Banken Giralgeld zwischen Girokonten überweisen, und sie reflektieren damit den Zahlungsverkehr zwischen Nicht-Banken.

Wie funktioniert die Überweisung zwischen Zentralbankkonten? In einem normalen Währungssystem ist das kein großer Akt: die beteiligten Banken weisen die Zentralbank dazu an, die Überweisung durchzuführen, und die macht das dann, sofern auf dem Zentralbankkonto des Senders genügend Geld vorhanden ist.

TARGET2 ist primär der Name des Systems, über das Überweisungen zwischen Zentralbankkonten innerhalb der Eurozone getätigt werden. In einem normalen Währungssystem wäre die Geschichte hier zu Ende.

Die Eurozone

Die Eurozone ist in vieler Hinsicht kein normales Währungssystem.

Eine Hinsicht ist, dass man bei der Schaffung der Eurozone nicht wirklich konsequent gehandelt hat, und deshalb die nationalen Zentralbanken nicht aufgelöst wurden. Deswegen führen Banken ihr Zentralbankkonto nicht bei der EZB, sondern bei der nationalen Zentralbank des Herkunftslandes. Alleine dadurch entsteht noch kein Problem.

Ein Problem entsteht dadurch, dass nicht nur das Eurosystem eine Gesamtbilanz führt und veröffentlicht, sondern auch die einzelnen nationalen Zentralbanken individuelle Bilanzen aufstellen.

Wenn jetzt im Laufe der Zeit von Banken in Land A mehr Geld an Banken im Land B überwiesen wird als umgekehrt, dann sammeln sich die steigenden Guthaben an Zentralbankgeld der Banken auf der Passivseite der Bilanz der Zentralbank von Land B, und genauso schrumpft die Passivseite der Bilanz der Zentralbank von Land A, und die Bilanzen der Zentralbanken sind nicht mehr ausgeglichen.

Goufp-target-zentralbank-bilanzen.png

Dieses Problem wird ganz einfach über die Target-Salden behoben. Die nationalen Zentralbanken fügen in ihren Bilanzen einen Posten ein, der das Ungleichgewicht in den Zahlungsflüssen widerspiegelt. Da Land B mehr Geld empfängt als es sendet, sammeln sich diese Gelder auf der Passivseite der nationalen Zentralbank, und als Ausgleich steht eine Target-Forderung auf der Aktivseite. Land A sendet dagegen mehr Geld als es empfängt. Die Passivseite der nationalen Zentralbank schrumpft, und als Ausgleich wird eine steigende Target-Verbindlichkeit auf der Passivseite eingefügt.

Zu beachten ist, dass die Zentralbanken diese Forderungen und Verbindlichkeiten nicht direkt untereinander haben, sondern jeweils gegenüber dem Target-System. Das Target-System ist fester Bestandteil des Eurosystems, aber konzeptuell kann eine eigene Bilanz wie im Bild oben aufgeschrieben werden.

Durch die Terminologie der Bilanzführung entstehen leider Missverständnisse. Der Target-Saldo der nationalen Zentralbank von Land B steht auf der Aktivseite und wird deshalb eine Forderung genannt. Aber wegen der oben erklärten Funktionsweise von Target kann dieser Target-Saldo nur dadurch abgebaut werden, dass Banken in Land B mehr Zentralbankgeld an Banken in anderen Ländern als umgekehrt. Also: obwohl der Target-Saldo von Land B formal eine Forderung ist, muss Land B Geld in andere Länder versenden, damit der Saldo abgebaut werden kann. Für Land A ist der Target-Saldo formal eine Verbindlichkeit, die aber nur abgebaut werden kann, indem andere Länder Geld an Land A schicken.

Beurteilung

Entstehung der gegenwärtigen Target-Salden

In den vergangenen Jahren haben sich im Eurosystem Target-Salden in einer Höhe aufgebaut, die beeindruckend klingt. Die Bundesbank weist in ihrer Bilanz von 2011 Target-Forderungen in Höhe von ca. 463 Mrd. € aus. Diesen stehen hauptsächlich Target-Verbindlichkeiten einiger südlicher Euro-Mitglieder und vor allem Irlands gegenüber. Zum Vergleich: das Statistische Bundesamt weist für 2011 einen Aufuhrüberschuss von 158 Mrd. € aus. Die Target-Verbindlichkeiten entsprechen also ca. drei Jahren deutscher Exportüberschüsse.

Diese Salden sind erst seit der Finanzkrise entstanden. Zuvor waren die Target-Salden stets nahezu ausgeglichen. Was war also die Situation vor und nach der Finanzkrise?

Es ist allgemein bekannt, dass es in der Eurozone große Handelsungleichgewichte gibt - wie oben bereits angedeutet. Deutschland hat mit sehr hohen Netto-Exporten die unausgeglichenste Handelsposition. Die meisten, aber nicht alle anderen Eurostaaten sind Netto-Importeure, so dass die Eurozone insgesamt mit dem Rest der Welt eine weitgehend ausgeglichene Handelsposition hat.

Die großen positiven Target-Salden, als Target-Forderungen, liegen bei den Netto-Exporteuren, besonders bei Deutschland, Die großen negativen Target-Salden, als Target-Verbindlichkeiten, liegen bei Netto-Importeuren. Aber: auch vor der Finanzkrise gab es die Handelsungleichgewichte, während Target-Salden ausgeglichen waren.

Damals wurden die Geldströme, mit denen der Handel bezahlt wurde, durch umgekehrte Geldströme ausgeglichen, die dadurch entstanden sind, dass die Profiteure der Exporte mit den Exportgewinnen zum Beispiel Staatsanleihen, aber auch private Anleihen aus den Netto-Import-Ländern gekauft haben. Dieser Vorgang wird von Ökonomen "Kapitalfluss" genannt.

Goufp-target-waren-kapital.png

In Folge der Finanzkrise haben die Exporteure die Zahlungsfähigkeit der Importeure in Frage gestellt und deswegen diese Anleihenkäufe nicht mehr getätigt, während sie gleichzeitig weiter exportiert haben. So gab es also nur noch Geldflüsse aus den Importländern in die Exportländer, und die haben sich in den Target-Salden gesammelt.

Goufp-target-waren-ohne-kapital.png

Ausgleichsmöglichkeiten

Wie bereits erklärt können die deutschen Target-Forderungen nur abgebaut werden, indem Deutschland mehr Geld ans Ausland schickt als umgekehrt. Dafür gibt es grundsätzlich drei Handlungsoptionen:

  1. Deutschland schenkt anderen Ländern Geld. Dadurch werden die deutschen Exportüberschüsse der letzten Jahre nachträglich offiziell zu Geschenken erklärt.
  2. Deutschland investiert in anderen Ländern, zum Beispiel in den Bau von Solaranlagen, Fabriken, und so weiter.
  3. Deutschland erhöht die eigenen Importe und reduziert dadurch die Exportüberschüsse bzw. wird sogar zum Netto-Importeur.

Ein wichtiger Nachteil der Punkte 1 und 2 ist, dass sie an den grundlegenden Ursachen der Ungleichgewichte vermutlich nichts ändern werden. Nach wenigen Jahre, bzw. spätestens bei der nächsten Krise, wären wir vermutlich wieder in der gleichen Situation.

Punkt 3 ist die einzige nachhaltige Variante und gleichzeitig die wohl beste für Deutschland, da wir dabei im Gegenzug für unser Geld reale Waren und Dienstleistungen in Anspruch nehmen können.

Es wird aber viele Jahre in Anspruch nehmen, die Handelsungleichgewichte, die sich über eine lange Zeit aufgebaut haben, wieder zurück zu drehen. In der Zwischenzeit muss man die hohen Target-Salden in Kauf nehmen. Die Exportüberschüsse reduziert man übrigens am besten, indem man die Importe erhöht. Das wiederum funktioniert bei uns am besten über den Konsum, da Deutschland selbst Exporteur von Kapitalgütern ist und auch bleiben sollte. Das wiederum funktioniert am besten, indem man den Menschen, die am wenigen Geld haben, mehr Geld zukommen lässt, z.B. über Lohnerhöhungen. Diese Menschen haben die geringste Sparquote und deswegen hat das Geld dort den größten positiven Einfluss auf Konsum und Importe. Gleichzeitig ist es eine aus sozialen Aspekten gute Lösung.


Risiken

Wenn einzelne Länder aus dem Euro austreten, so können deren Target-Verbindlichkeiten verloren gehen. Insofern ergibt sich aus dem Target-System ein Risiko.

Solange der Euro bestehen bleibt ergibt sich aus dem Target-System allerdings kein Risiko.


Szenario eines Austritts

Wir betrachten hier nur den Fall, dass ein einzelnes Land mit Target-Verbindlichkeiten aus dem Euro austritt. Komplexere Szenarien verhalten sich letztlich analog.

Der Fall eines Austritts ist nicht geregelt. Es muss also im konkreten Fall erst verhandelt werden, was mit den Forderungen des Target-Systems an die Zentralbank des ausgetreten Landes passiert. Dabei sind verschiedene Szenarien denkbar, zum Beispiel:

  1. Die Forderungen an das ausgetretene Land bleiben in Euro bestehen und werden in einen lange laufenden Kredit umgewandelt. Dieser Kredit belastet die Wirtschaft des ausgetretenen Landes und es kann deshalb irgendwann später zu einem Zahlungsausfall kommen.
  2. Die Forderungen werden in einen Kredit umgewandelt, der in der neuen Landeswährung beziffert ist. Dann kann ein Zahlungsausfall vermieden werden. Allerdings wird wohl durch die Abwertung der Landeswährung ein Wertverlust entstehen.
  3. Die Target-Forderung geht ersatzlos verloren.

Es gibt also Verhandlungsspielraum. Im Folgenden gehen wir vom schlechtest möglichen Ergebnis aus, nämlich dem Totalverlust der Target-Forderungen. In der theoretischen Bilanz des Target-Systems geht dadurch ein Posten auf der Aktiv-Seite verloren:

Goufp-target-austritt-verlust.png

Die zentrale Frage ist, wie mit dem fehlenden Posten auf der Aktivseite umgegangen wird. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Handlungsmöglichkeiten:

  1. Als Ausgleich wird das Eigenkapital der EZB angegriffen. Je nach Höhe der verschwundenen Forderungen wird das Eigenkapital der EZB dadurch negativ. Dann würde man die verbleibenden Euro-Mitgliedsstaaten auffordern, neues Kapital einzuzahlen. Dies erhöht die Haushaltsdefizite dieser Staaten bzw. verleitet die Politik zu weiteren Sparmaßnahmen, durch die die Wirtschaftsleistung geschädigt wird.
  2. Man führt einen neuen Sonderposten ein, der den Verlust der Target-Forderungen in der Bilanz ausgleicht. In diesem Fall müssen die Euro-Mitgliedsstaaten kein Kapital einzahlen.

Goufp-target-austritt-sonderposten.png

Bereits heute wird in der öffentlichen Debatte implizit nur die erste Handlungsmöglichkeit überhaupt in Erwägung gezogen. Wir sollten davon ausgehen, dass das orthodoxe Establishment in der Ökonomie auch im Ernstfall nicht über diesen Tellerrand hinaus sehen wird.

Die zweite Handlungsmöglichkeit ist in der Tat unorthodox und eine außergewöhnliche Sondermaßnahme. Sie ist aber für die Bürger besser, weil es nicht zu einer extremen Belastung der Staatshaushalte und damit verbundener Sparpolitik kommt. Zudem ist der Austritt eines Mitgliedsstaates de facto eine Art Währungsreform, also ein ohnehin außergewöhnliches Ereignis. Es ist angebracht, dem mit entsprechend außergewöhnlichen Methoden Herr zu werden.